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PRESS-SCHLAGGesprächstherapie

■ Berti Vogts setzte bei der Vorbereitung auf die Europameisterschaft auf schlichte Bescheidenheit

Berti Vogts, der als trocken und phantasielos bekannte Bundestrainer der deutschen Fußballer, ist neuerdings anfällig für bedeutungsschwangere Gesten. Erstes Indiz: Berti erklomm in Bremen die Haube des 640 PS starken Silberpfeils, ließ die Kraft des Gefährts in sich wirken und verkündigte solcherart bedröhnt: „Noch nie ist ein Weltmeister auch Europameister geworden. Das wollen wir als erste Mannschaft schaffen.“ Sprach's, setzte sich in seine Dienstlimousine und trat die bisher wichtigste Reise in seiner 13jährigen Amtszeit als DFB-Trainer an.

Sehr exotisch war das Ziel seiner Fahrt nicht, aber ebenfalls — Indiz Nummer zwei — voller vielversprechender Erinnerungen: die Sportschule Malente, idyllisch an der holsteinischen Seenplatte gelegen. „Malente war für alle deutschen Nationalmannschaften immer ein gutes Omen“, sagte Vogts. Und schon schwelgt der „Terrier“ in Erinnerungen an damals, als er selbst vor dem WM-Titelgewinn 1974 sechs Wochen lang in der Hütte kaserniert war. Schön war es seinerzeit, als man noch elf Freunde hatte und der Ball so rund war wie die Mannschaft.

Solcherart verklärt, hält er die spartanischen Möglichkeiten der jugendherbergsartigen Unterkunft auch für die verwöhnten Spieler der Moderne für ideal. „Die Einsamkeit und die Enge der Sportschule braucht die Mannschaft, um näher zusammenzurücken. Dort haben wir nicht den Komfort der Fünf- Sterne-Hotels, sondern müssen uns die Zimmer teilen. Das wollen wir für viele Gespräche nutzen.“ So gemütlich soll es werden, daß das traute Heim erst unmittelbar vor dem vorletzten EM-Test am kommenden Samstag gegen die Türkei in Gelsenkirchen aufgegeben wird. Dann siedelt das Team nach Kaiserau um.

Neben der Arbeit am sozialen Mannschaftsgefüge will Berti ein differenziertes Trainingsprogramm durchziehen. Um 8.15 Uhr bittet der Vater zum Waldlauf mit verschärftem Tempo, danach erhalten die einzelnen individuelle Aufgaben. Geschont werden hierbei die Italiener, die noch bis vergangenen Sonntag in der italienischen Division zutreten mußten. Zuweilen werden Zuschauer und Medienvertreter ausgesperrt, denn dann wird's top-secret. „Wir wollen in Schweden mit einigen neuen Variationen bei Standardübungen überraschen“, begründet Vogts das heimliche Treiben.

Noch aber sucht Vogts zwischen Gesprächstherapie und Geheimtraining seinen Ersatzmann für Lothar Matthäus, bevor es am 12. Juni beim ersten EM-Spiel gegen die GUS ernst wird. Im Test ist momentan Matthias Sammer, der sich am Samstag gegen die Türken im defensiven Mittelfeld beweisen soll. Im Tor wird dann Andreas Köpke (Nürnberg) stehen. Gegen Nordirland eine Woche später in Bremen soll dann die Elf stehen, die auch die erste EM-Partie bestreiten soll.

Fest steht, daß Andreas Brehme mit von der Partie sein wird. Brehme, dessen Vertrag bei Inter Mailand ausläuft und der noch keinen neuen Arbeitgeber hat, erhielt von Vogts einen Freifahrtschein. „Ihm verdanken wir wegen des Elfmetertores in Rom den WM-Titel. Wegen seiner Verdienste darf er mit, das sind wir ihm einfach schuldig.“ Über die fußballerischen Fähigkeiten Brehmes verlor der Teamchef kein Wort. Und so erhärtet sich der Verdacht, daß er nur seinem Aberglauben frönen will, mit Brehme als Maskottchen. miß

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