Gespaltener Fußballklub in Spanien: Aus Trotz oder Strategie?

Rayo Vallecano ist mit seinen linken Fans das „St. Pauli des spanischen Fußballs“. Doch der Besitzer ist offen gegenüber Frauenhass und Rechtsextremen.

Raúl Martín Presa steht mit Maske auf der Ehrentribüne im Stadion

Der umstrittene Boss von Rayo Vallecano, Raúl Martín Presa, auf der Ehrentribüne Foto: Jorge Ropero/imago

Am Weltfrauentag gab es wieder so eine Merkwürdigkeit bei Rayo Vallecano. Per Twitter gedachte der Madrider Fußball-Erstligist allen Corona-Opfern, „da sich der Beginn der schrecklichen Pandemie in unserem Land zum zweiten Mal jährt“. An sich eine feine Geste – die für viele Fans durch die Verbindung der Daten allerdings einen faden Beigeschmack erhielt. Denn die These, dass erst feministische Großdemonstrationen am 8. März 2020 den Virus entscheidend verbreiteten, ist in Spanien so etwas wie rechtes Standardlatein.

Freilich ist so ein Tweet natürlich nur eine Petitesse im Vergleich zu der Angelegenheit, die Spanien vor einem Monat erschütterte. Da war eine alte Sprachnachricht des Trainers der Rayo-Frauenmannschaft aufgetaucht, in der dieser der Gruppenvergewaltigung das Wort geredet hatte. „Dieser Betreuerstab ist unglaublich, aber noch fehlt uns etwas. Uns fehlt, ich sage es immer wieder, etwas zu tun wie die von Arandina (drei Spieler des nordspanischen Vereins hatten 2017 eine 15-Jährige sexuell missbraucht, d. Red.). Uns fehlt, dass wir uns eine nehmen, aber eine Volljährige, damit es keinen Ärger gibt, und sie alle zusammen fertig machen. So was eint einen Stab und eine Mannschaft.“ Arandina hätte so den Abstieg vermieden.

In jedem Unternehmen mit minimalen Ethikrichtlinien wären solche Äußerungen ein Grund für die sofortige Entlassung. In jedem Sportklub wohl doppelt und bei einer Frauenmannschaft dreifach. Nur bei Rayo Vallecano ist der betreffende Trainer, Carlos Santiso, weiter im Amt. Bei Rayo? Die Sache wird dadurch geradezu surreal, dass dessen Fanszene wie keine andere Spaniens als sozial, feministisch und links gilt.

Ein Gang um das ziemlich baufällige Stadion im Arbeiterstadtteil Vallecas fühlt sich an wie einer auf das Klo einer Punkkneipe: Alles ist voller antirassistischen und antikapitalistischen Aufklebern, Flyern und Graffitis. Neben Tor 16 stehen am Mittag nach dem Weltfrauentag in lilafarbener Wandmalerei die Forderungen „Santiso Rücktritt“, „Würde für die Frauen“ und „Vallekas gegen Vergewaltigungskultur“ geschrieben. Außerdem: „Presa, beschissener Frauenhasser.“

Geleckter Stil aus dem reichen Norden

Raúl Martín Presa ist seit einem guten Jahrzehnt der Besitzer und Präsident von Rayo – und damit verantwortlich für die Botschaften aus dem Verein, die so schwer zum Verein passen. Für die Fans passte er von Beginn an nicht nach Vallecas. Das begann schon bei seinem eher geleckten Stil, der eher nach dem reichen Madrider Norden aussieht als nach dem armen Süden.

Alteingesessene behaupten entgegen seiner Beteuerungen, ihn früher nie im Stadion gesehen zu haben. Analytische Kritiker wundern sich, warum er nicht investiert, etwa zur Renovierung des maroden Stadions, oder die Vermarktbarkeit der Identität eines „St. Pauli Spaniens“ ausschöpft. Und die tonangebende, ultralinke Fangruppierung Bukaneros hielt ihn bald für einen Komplizen der konservativen Stadtregierung, um sie aus Stadion und Öffentlichkeit zu treiben.

Längst ist das Tischtuch zerschnitten, das Klima hoffnungslos vergiftet. „Presa hau’ ab“ gehört zu den Standardgesängen bei Heimspielen, derweil der Präsident, ob aus Trotz oder Strategie, auffällig wenige Gelegenheiten auslässt, das Fanvolk gegen sich aufzubringen. 2017 verpflichtete er den Ukrainer Roman Zozulya, obwohl ihn die Anhänger auf Basis von Internetrecherchen als Neonazi ausgemacht hatten (er bestritt entsprechende Sympathien).

Nach Tagen der Anspannung löste der Profi seinen Vertrag freiwillig auf; er vermutete, mit ihm als „Köder“ hätten gewisse Leute angestachelt werden sollen, um sie „ins Gefängnis zu bekommen“. Als er dann im Dezember 2019 mit seinem Klub Albacete bei Rayo gastierte, wurde er von den Rängen so heftig als „Nazi“ beschimpft, dass es zu einem historischen Spielabbruch kam; abgesegnet von Ligachef Javier Tebas, einem Anhänger der rechtspopulistischen Partei Vox.

Diese ist mittlerweile zu einem erheblichen Machtfaktor aufgestiegen. In Madrid stützt sie mit ihren Stimmen die Regierung der trumpistisch angehauchten Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso von der Volkspartei PP, im angrenzenden Flächenland Kastilien-León steht mit einer formellen Koalition aus PP und Vox der nächste Tabubruch bevor. Rayo-Präsident Presa hat ein gutes Verhältnis zur Liga und sowieso keine Berührungsängste mit Vox. Im April 2021 – just beim nächsten Auftritt Zozulyas – lud er den Spanienchef und die Madrider Spitzenkandidatin der Partei auf die Ehrentribüne ein, mit den bescheidenen Annehmlichkeiten des baufälligen Stadions, aber bestens ausgeleuchtet für den Lokalwahlkampf.

Die Fans reagierten damals kreativ: Am nächsten Tag rückten sie in Corona-Schutzanzügen an, um das Stadion zu „desinfizieren“. Zuletzt erreichten sie mit einer breit angelegten Kampagne zwar den Abgang von Rayos Generaldirektor Luis Yáñez, der den Stadioneinlass mit Bukanero-Symbolen verbieten wollte. Im Streit um Frauentrainer Santiso bleibt Presa jedoch bei seiner Linie. Der Coach habe bei ihm „auf Knien um Entschuldigung gebeten“ für seine „schlüpfrigen“ Äußerungen, so Presa. Und da würden es ihm schon seine Prinzipien gebieten, Abbitte zu gewährleisten, denn: „Ich bin ein Mensch mit katholischen Überzeugungen. Ich lese die Bibel.“

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