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Gesetzeslücke im Dioxinskandal entdecktStraflos Gifte mischen

Die Firma Harles und Jentzsch aus Uetersen könnte ohne Strafe aus dem Skandal um verseuchte Futtermittel herauskommen.

Erst verschleiern, dann selbst anzeigen: Durchsuchung bei Harles und Jentzsch im Januar 2011. Bild: dpa

HAMBURG taz | Sie könnten ohne Bestrafung davonkommen. Wegen einer Gesetzeslücke ist es möglich, dass die Verantwortlichen für den Skandal um dioxinverseuchtes Tierfutter rechtlich nicht belangt werden können. Die Firma Harles und Jentzsch aus Uetersen im schleswig-holsteinischen Kreis Pinneberg würde dann keine strafrechtlichen Konsequenzen zu fürchten haben. Sie soll nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft in Itzehoe im Jahr 2010 "Futtermittel, die die menschliche Gesundheit beeinträchtigen können, wissentlich in Verkehr gebracht haben".

Die Relevanz der Gesetzeslücke werde zurzeit geprüft, bestätigt Ermittler Friedrich-Gerhard Wieduwilt: "Wir müssen sehen, inwieweit das Einfluss auf die Bewertung der Rechtslage hat", sagte er am Donnerstagabend dem Schleswig-Holstein-Magazin im NDR-Fernsehen. Am gestrigen Freitag war weder Wieduwilt noch ein anderer Vertreter der Staatsanwaltschaft mehr zu erreichen.

Nach Paragraf 44, Absatz 6 des Lebens- und Futtermittelgesetzes darf eine Selbstanzeige "nicht zur strafrechtlichen Verfolgung des Unterrichtenden … verwendet werden". Der damalige Geschäftsführer von Harles und Jentzsch, Siegfried Sievers, hatte Ende Dezember 2010 der zuständigen Lebensmittelkontrollstelle die erhöhten Dioxinwerte gemeldet. Allerdings soll die Firma diese durch Eigenkontrollen bereits seit März 2010 gekannt haben. Um die Giftfunde zu verschleiern, soll Harles und Jentzsch die Futterfette monatelang verdünnt oder beim Kontrolllabor als technische Fette deklariert haben, für die höhere Grenzwerte gelten.

Grenzwerte überschritten

Harles und Jentzsch verarbeitete und vertrieb tierische und pflanzliche Fette für Schweine, Rinder und Geflügel und stellte technische Fettsäuren für die Industrie her.

In 46 von 112 ausgewerteten Futterfettproben wurde der zulässige Höchstgehalt an Dioxin von 0,75 Nanogramm übertroffen. Maximal gemessen wurden 62,07 Nanogramm.

Dieses Fett hätte nicht für die Verarbeitung in Futtermitteln verwendet werden dürfen.

Die Firma sieht sich Forderungen nach Schadensersatz in Höhe von 15 Millionen Euro von betroffenen Bauernhöfen gegenüber.

Die Recherchen sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft "komplexer als zunächst angenommen". Die Ermittlungen würden nicht vor Ende des Jahres abgeschlossen sein, hieß es vor zwei Monaten. Ob und wann dann Anklage erhoben würde, sei noch offen.

Anfang Januar war publik geworden, dass Harles und Jentzsch systematisch Futtermittel gepanscht haben dürfte. Diese waren mit überhöhten Dioxinwerten unter anderem in Hühnerfarmen verfüttert worden. Bei Laboranalysen des schleswig-holsteinischen Landwirtschaftsministeriums waren 112 Proben aus den Firmenstandorten Uetersen und Bösel untersucht worden. Dabei wurde in 46 Fällen der zulässige Höchstwert von 0,75 Nanogramm Dioxin überschritten, maximal um das Achtzigfache.

Das Unternehmen musste kurz darauf Insolvenz anmelden. seit Ende Januar arbeitet es unter Leitung eines Insolvenzverwalters. Futterfette aber dürfen nicht mehr hergestellt werden.

Der Skandal hatte vor allem in Schleswig-Holstein eine Diskussion über Agrarwirtschaft ausgelöst. Landwirtschaftsministerin Juliane Rumpf (CDU) lehnte eine Grundsatzdebatte allerdings ab. "Aus diesem Skandal eine Forderung nach Änderung der Agrarpolitik abzuleiten, halte ich für abwegig, ja sogar für schädlich", sagte Rumpf. Damit würde die Verunsicherung der Verbraucher weiter geschürt: "Es geht hier nicht um ,öko' und ,konventionell', um ,groß' oder ,klein', sondern um die Sicherheit unserer Lebensmittel", sagte Rumpf.

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