Gesetzentwurf des Bundeskabinetts: Beschneidung wird legalisiert
Das Kabinett hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, der Straffreiheit und Rechtssicherheit für Beschneidungen vorsieht. Der Zentralrat der Juden ist zufrieden.
BERLIN dapd | Die religiöse Beschneidung von Jungen soll in Deutschland straffrei bleiben, jüdische und muslimische Eltern sollen sie künftig erst nach einer Aufklärung über die medizinischen Risiken veranlassen können. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet, wie das Bundesjustizministerium bestätigte. Eine Beschneidung von Jungen wäre damit zulässig, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt und das Kindeswohl nicht gefährdet.
Hintergrund des Gesetzes ist ein Urteil des Kölner Landgerichts, das die Beschneidung eines Jungen als rechtswidrige Körperverletzung gewertet hatte. Die Bundesregierung, aber auch die Fraktionen des Deutschen Bundestages wollen den alten Ritus daher per Gesetz legitimieren und auf diese Weise Rechtssicherheit für Juden und Muslime schaffen.
„Der heutige Beschluss des Kabinetts ist bereits ein wichtiges Signal, um die entstandene Verunsicherung zu beseitigen“, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Mittwoch in Berlin und fügte hinzu: „Es ist ein guter Tag, der dazu beiträgt, dass wieder mehr Rechtssicherheit eintreten wird. Die parlamentarischen Beratungen können jetzt intensiv aufgenommen werden.“
Der geplante neue Passus zur Beschneidung im Bürgerlichen Gesetzbuch:
§ 1631d
Beschneidung des männlichen Kindes
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.
Der Zentralrat der Juden zeigte sich zufrieden mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. „Der Gesetzentwurf ist sehr gelungen und geglückt“, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann am Mittwoch dem Fernsehsender Phoenix. Die Politik in Deutschland habe zügig, verantwortungsbewusst und sensibel gehandelt. „In diesem Fall haben unsere Politiker viel Lob und Respekt verdient“, hob Graumann hervor. Zuvor hatte das Bundeskabinett dem Gesetzentwurf zugestimmt.
Zur geplanten Qualifikation von Beschneidern sagte Graumann, es müsse überlegt werden, wie eine solche Zertifizierung vorgenommen werde. Dabei gehe es um die Frage der Schmerzlinderung und der Schmerzbehandlung. „Diese Dinge gab es bisher nicht. Hier müssen wir auch selbst unsere Hausaufgaben machen“, sagte der Zentralratspräsident. Zugleich verwies er auf eine jahrtausendelange Erfahrung mit der Beschneidung. „Wir sind doch keine Gruppe von Sadisten und Masochisten“, betonte Graumann.
Zentralrat der Muslime wünscht Nachbesserungen
Der Zentralrat der Muslime forderte derweil Nachbesserungen an dem Gesetzentwurf. Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Aiman Mazyek, stellte im Bayerischen Rundfunk den Begriff des „Kindeswohlvorbehalts“ infrage. Dieser Punkt sollte noch diskutiert werden. Insgesamt gehe der Gesetzentwurf aber in die völlig richtige Richtung, sagte Mazyek. Damit werde das „unmissverständliche Signal von Deutschland“ ausgehen, dass Juden und Muslime nicht kriminalisiert würden. Außerdem werde wieder Rechtssicherheit geschaffen.
Nach den Vorstellungen von Grünen-Chef Cem Özdemir sollte der Bundestag ohne Fraktionszwang über das neue Beschneidungsgesetz abstimmen. „Die Frage der Beschneidung von Jungen ist keine, die per Mehrheitsbeschluss in Parteien entschieden werden sollte“, sagte Özdemir. Deswegen sei der Vorschlag richtig, die Abstimmung im Parlament vom Fraktionszwang zu befreien.
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