piwik no script img

GesellschaftEvangelikal gegen Prostitution

Mit dem „Walk for Freedom“ soll auf Menschenhandel und Zwangsprostitution aufmerksam gemacht werden. Für den 18. Oktober rufen unter anderem in Stuttgart und Ludwigsburg verschiedene Gruppen zu einem Schweigemarsch auf. Dass hinter der Aktion Evangelikale stecken, ist nur wenigen bewusst.

Mit Rettungsaktionen für Prostituierte erweitern Evangelikale ihren Einfluss und knüpfen Netzwerke ins bürgerliche Milieu. Fotos: Joachim E. Röttgers

Von Gesa von Leesen

Zwei Dutzend Frauen und zwei Männer versammelten sich am vergangenen Freitag, 10. Oktober, auf dem Esslinger Bahnhofsplatz. Der Verein Soroptimst International Esslingen – ein Netzwerk berufstätiger Frauen – hatte zum „Walk for Freedom“ aufgerufen. Das Ziel: Auf sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel aufmerksam zu machen und für das nordische Modell einzutreten, also das Verbot von Sexkauf. Eigentlich soll der „Walk for Freedom“ am 18. Oktober stattfinden, für den Tag wird auch in Stuttgart und Ludwigsburg dazu aufgerufen. Aber da hätten die Soroptimistinnen ihren Weltkongress in Polen, erklärt die Esslinger Vizepräsidentin Karla Humburg-Wallis. „Also haben wir ihn zwischen den Tag gegen Prostitution am 5. Oktober und den Weltmädchentag am 11. Oktober gelegt.“ In größtenteils schwarzer Kleidung gehen die Frauen durch die Stadt. Am Ende wird in drei Reden ausgeführt, dass Deutschland zum Bordell Europas geworden sei, seitdem Rot-Grün 2002 das Prostitutionsgesetz verabschiedet hat, das Prostitution legalisierte. Diese Legalisierung führte in der Folge zu deutlich mehr Sex-Touristen, auch werde mehr Menschenhandel registriert, heißt es in einer Studie des Alfred-Weber-Instituts für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Heidelberg von 2013.

Zwei Dutzend Frauen und zwei Männer versammelten sich am vergangenen Freitag, 10. Oktober, auf dem Esslinger Bahnhofsplatz. Der Verein Soroptimst International Esslingen – ein Netzwerk berufstätiger Frauen – hatte zum „Walk for Freedom“ aufgerufen. Das Ziel: Auf sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel aufmerksam zu machen und für das nordische Modell einzutreten, also das Verbot von Sexkauf. Eigentlich soll der „Walk for Freedom“ am 18. Oktober stattfinden, für den Tag wird auch in Stuttgart und Ludwigsburg dazu aufgerufen. Aber da hätten die Soroptimistinnen ihren Weltkongress in Polen, erklärt die Esslinger Vizepräsidentin Karla Humburg-Wallis. „Also haben wir ihn zwischen den Tag gegen Prostitution am 5. Oktober und den Weltmädchentag am 11. Oktober gelegt.“ In größtenteils schwarzer Kleidung gehen die Frauen durch die Stadt. Am Ende wird in drei Reden ausgeführt, dass Deutschland zum Bordell Europas geworden sei, seitdem Rot-Grün 2002 das Prostitutionsgesetz verabschiedet hat, das Prostitution legalisierte. Diese Legalisierung führte in der Folge zu deutlich mehr Sex-Touristen, auch werde mehr Menschenhandel registriert, heißt es in einer Studie des Alfred-Weber-Instituts für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Heidelberg von 2013.

Beim Thema Prostitution kochen die Emotionen oft hoch. Die einen reden von selbstbestimmter Sexarbeit, die ein Job sei wie jeder andere und pochen auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihr Leben und ihren Körper. Die anderen, wie die Frauen in Esslingen, halten diese Selbstbestimmung für eine Erzählung, die nur auf eine kleine Minderheit zutrifft. Wissenschaftliche Untersuchungen darüber, wer sich warum prostituiert, sind rar, zumal viele Frauen ohne Anmeldung anschaffen gehen – sei es, weil sie kein Deutsch können, sei es, weil sie keine gesicherten Aufenthaltsstatus haben und sich wahrscheinlich nicht befragen lassen. Diejenigen, die überzeugt sind, dass die allermeisten Prostituierten unter Zwang arbeiten, lassen sich wiederum grob in zwei Gruppen aufteilen: (nicht nur) Feminist:innen, die durch Prostitution die Menschenwürde verletzt sehen und eine Gesellschaft wollen, in der der Kauf von Frauenkörpern keine Selbstverständlichkeit ist. Und diejenigen, die aus ihrem Glauben heraus Prostituierte retten wollen.

Der „Walk for Freedom“ kommt von diesen Rettern. Die deutsche Webseite dazu wird vom Verein „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ (GGMH) betrieben. Ein Netzwerk aus mehr als 30 Gruppen, die fast alle aus dem evangelikalen Bereich kommen, also aus Gruppen, die die Bibel ziemlich wörtlich nehmen. Vorsitzender des Vereins GGMH ist Frank Heinrich, ein ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter, der Offizier der Heilsarmee war und nach seiner Bundestagszeit im Vorstand der Evangelischen Gemeinschaft Deutschland saß, eine Art Dachverband evangelikaler Gemeinden und Gruppen in der Republik.

Retten für das Seelenheil

Der Begriff „evangelikal“ hat nicht nur unter Atheisten hierzulande einen eher schlechten Ruf. Zum einen, weil Evangelikale missionieren, aber auch weil ihr starker Einfluss und ihre Verbindung zum Nationalismus in den USA gruselige Auswirkungen zeigt: Hass auf Homosexuelle, stockkonservative Frauenbilder, heftiger Rassismus, eingeschränkte Meinungsfreiheit. Beim Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 waren betende Gläubige, „Jesus 2020“-Schilder und ein großes Holzkreuz zu sehen, während der Mob das Parlament stürmte. Evangelikale stehen in der Mehrheit für eine rigide Moral, teilen die Welt in Gut und Böse, manche erwarten das Weltende und in den USA gehören sie zu den treuesten Trump-Anhängern. Dass Mitglieder ihren Zehnten spenden, ist allgemeiner Usus. Gerne auch mehr. Kurz: Evangelikale sind konservativ und haben den Auftrag, den Glauben in die Welt zu tragen und Seelen zu retten.

Um Prostituierte kümmern sich solche Gruppen besonders gerne. Ausdrücklich über „Rettung“, „Seelenheil“ und Glauben schreiben sie heutzutage eher selten und manche bieten ganz praktische Arbeit an, indem sie Prostituierte mit Geld, Beratung und Schutzwohnungen helfen, auszusteigen. Dazu gehören die Esther Ministries in Stuttgart, die im Eberhardviertel arbeiten und seit 2010 in Stuttgart den „Walk for Freedom“ organisieren. Die Esther Ministries vermeiden auf ihrer Webseite Bezüge zur Religion, nennen als befreundete Gruppen aber nur „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ und das „European Freedom Network“, ein evangelikales Netzwerk.

Prostituierte retten – dieser Ansatz wird in der professionellen Sozialarbeit abgelehnt. Im Stuttgarter Fraueninformationszentrum (FiZ), das auch Prostituierte berät und zur Diakonie gehört, ist man deswegen nicht glücklich über den „Walk for Freedom“. „Unser Ansatz ist es, Betroffene von Menschenhandel und Ausbeutung in ihren Stärken zu stärken, ihre Resilienz zu sehen und zu fördern und sie dabei zu unterstützen, ihre Selbstbestimmung wiederzugewinnen, die ihnen mit Gewalt genommen wurde“, erklärt die Leiterin Doris Köhnke. Und mit Blick auf radikalchristliche Gruppen ergänzt sie: „Als Fachberatungsstelle zur Thematik Menschenhandel bedauern wir, dass der Diskurs über Menschenhandel häufig die betroffenen Frauen auf ihr Opfer-Sein reduziert. Die Frauen werden passiv, hilflos, stimmlos, würdelos dargestellt. Damit wird genau das wiederholt, was bei Gewalt und Ausbeutung passiert.“ Am „Walk for Freedom“ jedenfalls beteilige sich die Beratungsstelle nicht.

Zu wenig Unterstützung aus der Politik

Leni Breymaier kennt diese Argumentation. Die SPD-Politikerin aus Ulm, die von 2017 bis 2025 im Bundestag saß, ist eine vehemente Verfechterin des nordischen Modells, also des Sexkaufverbots mit gleichzeitiger Entkriminalisierung der Prostituierten. Seit Jahrzehnten kämpft sie gegen die deutsche Prostitutionsgesetzgebung, hat den Verein „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution“ mitgegründet. „Es ist schön und gut, wenn wir 100 Frauen beim Ausstieg helfen“, sagt Breymaier. „Aber wenn für jede ausgestiegene Frau 1.000 neue kommen, bringt das nichts.“ Es brauche andere Gesetze.

Beim „Walk for Freedom“ hat Breymaier schon mal geredet, erinnert sie sich. Was sagt sie zum evangelikalen Hintergrund? Die 65-Jährige seufzt. „Ich sehe auch mit Sorge in die USA, wie viel Geld da fließt, wie viel Einfluss die haben – das ist gefährlich, ja. Aber bei unserem Thema haben wir einfach wenig Bündnispartner.“ Sisters habe sich auch deswegen gegründet, „weil bei dem Thema so viele christliche Gruppen mitmischen, die moralisch argumentieren. Aber um Moral geht es überhaupt nicht.“ Für Breymaier geht es um Gleichberechtigung, um Gesellschaftspolitik. Andererseits ist der „Walk for Freedom“ in ihren Augen ein spannendes Format, der auf das Thema Menschenhandel und Prostitution aufmerksam macht. „Da haben SPD, Grüne, Linke bislang einfach versagt.“ Der Verein „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ hingegen würde eine ziemliche Welle machen. „Am Ende kann ich mich fragen: Sterbe ich in Reinheit oder passiert was“, sagt Breymaier.

So bestätigt sie, was „Fundiwatch“ als die Strategie von Evangelikalen beschreibt: Mit anschlussfähigen Themen in die bürgerliche Mitte vordringen und so den eigenen Einfluss vergrößern. „Fundiwatch“, ansässig in München, sind ein paar Menschen, die sich ehrenamtlich mit christlich-fundamentalistischen Akteuren und deren Vorgehensweise beschäftigen. Mit Förderung der Stadt Hamburg haben sie kürzlich eine Broschüre herausgegeben zu christlichem Fundamentalismus und Sozialer Arbeit. Die sei nämlich ein Schwerpunkt, gerade hier und gerade mit dem Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel hätten diese Gruppen Erfolg, führt die Recherchegruppe aus. Demnach breiten sich fundamentalistische Christengruppen in der Sozialen Arbeit aus. „Der ‚Schutz‘ von und das Einstehen für marginalisierte Gruppen verleiht fundamentalistischen Akteur*innen Legitimität in der Außenwirkung“, heißt es in der Broschüre. Am Ende aber gehe es diesen Akteur:innen um Missionierung und gesellschaftspolitischen Einfluss.

Eine erfolgreiche Mission

Einer Leni Breymaier mag das bewusst sein, vielen Demonstrant:innen beim „Walk for Freedom“ eher nicht. In Esslingen jedenfalls zeigt eine kurze Umfrage in der kleinen Gruppe, in der mehrere Stadträtinnen aus SPD, CDU, Grünen dabei sind, dass der evangelikale Hintergrund der Aktion unbekannt ist. Der Vizepräsidentin der Soroptimistinnen immerhin nicht. Aber: „Das spielt für uns keine Rolle“, sagt Karla Humburg-Wallis. Die „Beterei“, die sie in dem Zusammenhang schon erlebt hätte, fände sie auch nicht gut. „Wir haben unseren Walk auch bewusst nicht auf der Seite dieses Vereins angemeldet“, sagt sie. „Uns geht es um die Sache.“ Außerdem arbeite ihr Verein auch zusammen mit weltlichen Organisationen wie den Sisters.

Der Organisation, die vor elf Jahren den „Walk for Freedom“ in Leben gerufen hat, dürfte die Unbekümmertheit freuen, mit der bürgerliche Gruppen sich unter ihr Motto stellen. A21 heißt sie, sitzt in England und wurde von dem Ehepaar Christine und Nick Caine gegründet. Die beiden kommen aus der australischen Megachurch Hillsong. Die feiert mittlerweile weltweit Erfolge mit ihrem Konzept, Gottesdienste als Popkonzerte zu veranstalten und Predigten, in denen – ihren Youtube-Videos

Menschenhandel gibt es in der Pflege, im Haushalt, in der Prostitution, in der Landwirtschaft, der fleischverarbeitenden Industrie oder im Baugewerbe, schreibt das Deutsche Institut für Menschenrechte. Alle Formen eint, dass Menschen in ausbeuterische Verhältnisse gezwungen werden. Die Verfolgung von Menschenhandel ist schwierig. Das Bundeskriminalamt meldete kürzlich, 2024 seien mit 576 Verfahren wegen Menschenhandels und Ausbeutung so viele abgeschlossen worden wie noch nie. Den Großteil bildete mit 364 Fällen die sexuelle Ausbeutung. Die Behörde beobachtet dabei eine Verlagerung von der klassischen Bar-, Bordell- und Straßenprostitution in die Wohnungsprostitution.

Die Europaratskonvention gegen Menschenhandel und die EU-Richtlinie gegen Menschenhandel ver­pflichten Deutschland zu effektiver Straf­verfolgung, Prävention und macht Vorgaben für Schutz und Unterstützung der Betrof­fenen. In der Umsetzung ist laut dem Institut für Menschenrechte noch viel Luft nach oben. Es fordert unter anderem, von Menschenhandel Betroffenen einen Aufenthaltsstatus zu geben, die Strafverfolgung effektiver zu gestalten und ein flächendeckendes Beratungsnetz für Betroffene aufzubauen. (lee)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen