Gesellschaft: Das Windrad lebt
Bisher hält Wien den Weltrekord, doch am 29. Juni wollen in Herrenberg mehrere Hundert Menschen das größte lebendige Windrad aller Zeiten bilden. Und so ein Zeichen setzen, dass saubere und erneuerbare Energie eine gute Idee ist.
Von Minh Schredle
Auf der Herrenberger Festwiese herrscht ein basisdemokratisches Gewusel. „Das ist hier zwar die Generalprobe“, erklärt Eva Lang von der ortsansässigen Bürgerinitiative Rückenwind, „aber es ist auch die erste Probe.“ Noch gibt es ein paar Details auszuloten, wie der Weltrekord am 29. Juli gelingen soll: Dann will ein Bündnis, das sich für erneuerbare Energien einsetzt, das größte lebendige Windrad aller Zeiten bilden. Bislang gebührt diese Ehre Wien, wo 2017 etwa 260 Menschen auf dem Heldenplatz zusammenkamen, um eine Formation einzunehmen, die die Umrisse eines Windrads darstellten. Doch die Herrenberger Variante soll nicht nur größer, sondern auch um eine Choreografie ergänzt werden, bei der sich die menschlichen Rotorblätter drehen.
Das ist gar nicht so leicht. Denn ein Windrad hat ja auch noch einen Mast, durch den sich die Flügel in einer zweidimensionalen Darstellung irgendwie hindurchdrehen müssen. Wie kann das klappen? Dazu gibt es ein Brainstorming mit Open Mic: Etwa 30 Beteiligte, die an der Vorbereitung des Weltrekordversuchs mitwirken, diskutieren dazu ohne Moderation – wenn jemand ausgeredet hat, wird das Mikrofon weitergereicht. Was leicht in komplettes Chaos und unüberbrückbare Zerwürfnisse ausarten kann, gelingt hier auf wundersame Weise und am Ende steht – man sehe und staune – ein vielversprechendes Konzept.
„Wir wollen für positive Nachrichten sorgen“, berichtet Felix Beslmeisl aus Sindelfingen. Dort ist gewissermaßen die Blaupause für den Rekordversuch entstanden: Bei einer Fridays-for-Future-Demo im März 2024 drehte sich ein menschliches Windrad vor dem Rathaus, wenn auch in einem kleineren Maßstab. Kann das auch mit mehreren Hundert Beteiligten klappen? Über das Ja sind sich schnell alle einig, dann beratschlagt das Kollektiv das Wie.
Beslmeisl hat den Eindruck, dass es zuletzt recht deprimierend war, die „Tagesschau“ zu gucken. Die vielen schlechten Nachrichten und Krisen will er nicht wegreden. Aber er ist überzeugt, dass es auch noch gute Neuigkeiten gibt – und notfalls muss man sie eben selber machen. Für eine große Errungenschaft hält er es, dass sich fossile Energieträger durch saubere und sichere Quellen ersetzen lassen. „Und wir wollen hier zeigen, dass es immer noch viele Bürgerinnen und Bürger gibt, die von dieser Idee überzeugt sind.“
Angst essen Seele auf
Denn irgendwie, sagt Jannis Ahlert von der BI Rückenwind, „ist das Windrad zu einem Schreckgespenst geworden.“ Eigentlich überall im deutschen Süden, wo der Ausbau geplant ist, kochen die Emotionen hoch und Proteste formieren sich. So auch in Herrenberg: Die Bürgerinitiative „Freie Horizonte“ möchte Windräder im Spitalwald verhindern, hat 2.656 Unterschriften gesammelt, was 10,6 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung entspricht, und nun wird am 13. Juli abgestimmt, ob die Stadt Herrenberg Waldflächen an einen Investor verpachten soll. So hatte das der Gemeinderat einstimmig vorgehabt und die Genossenschaft Prokon ausgesucht, um sieben 285 Meter große Anlagen zu bauen.
Die „Freien Horizonte“ werfen der Stadt Herrenberg „eine gewisse Einseitigkeit der Informationen an die Bürger“ vor und behaupten, „insbesondere für den Rotmilan würden die Ausbauziele der Windkraft die Ausrottung seiner Art bedeuten“. Eine im Oktober 2024 veröffentlichte Studie des Technischen Büros für Biologie aus Österreich hat allerdings festgestellt, dass viel weniger Rotmilane durch Rotorblätter verenden als lange Zeit angenommen. Eine systematische Analyse der Todesursachen hat ergeben, dass mit weitem Abstand auf Platz eins Fressfeinde wie Uhu und Habicht landen (41,3 Prozent), schließlich Schienenverkehr (11,6 Prozent), Straßenverkehr (9,9 Prozent) und natürliche Tode (auch 9,9 Prozent) folgen und Windräder demgegenüber nicht so stark ins Gewicht fallen. „An der Datenlage gibt es keinen Zweifel mehr“, wird Rainer Raab, Projektleiter der Studie, in der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert. Nach der Präsentation ihrer Ergebnisse sei aber ein Sturm der Entrüstung über das Forschungsteam hereingebrochen – offenbar, weil in dieser hochemotionalen Debatte viele nicht wahrhaben wollen, dass ein Windrad nicht die Gefahr ist, für das sie es halten.
Die „Freien Horizonte“ werfen der Stadt Herrenberg „eine gewisse Einseitigkeit der Informationen an die Bürger“ vor und behaupten, „insbesondere für den Rotmilan würden die Ausbauziele der Windkraft die Ausrottung seiner Art bedeuten“. Eine im Oktober 2024 veröffentlichte Studie des Technischen Büros für Biologie aus Österreich hat allerdings festgestellt, dass viel weniger Rotmilane durch Rotorblätter verenden als lange Zeit angenommen. Eine systematische Analyse der Todesursachen hat ergeben, dass mit weitem Abstand auf Platz eins Fressfeinde wie Uhu und Habicht landen (41,3 Prozent), schließlich Schienenverkehr (11,6 Prozent), Straßenverkehr (9,9 Prozent) und natürliche Tode (auch 9,9 Prozent) folgen und Windräder demgegenüber nicht so stark ins Gewicht fallen. „An der Datenlage gibt es keinen Zweifel mehr“, wird Rainer Raab, Projektleiter der Studie, in der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert. Nach der Präsentation ihrer Ergebnisse sei aber ein Sturm der Entrüstung über das Forschungsteam hereingebrochen – offenbar, weil in dieser hochemotionalen Debatte viele nicht wahrhaben wollen, dass ein Windrad nicht die Gefahr ist, für das sie es halten.
Ein Fest als Rahmenprogramm
Auf der Herrenberger Festwiese soll der Weltrekordversuch mit einem Fest verbunden werden, Konrad Herz hat für das Rahmenprogramm ein Windkraft-Shanty zum Mitsingen verfasst:
Windkraftwerke brauchen wir
Hoch im Norden und auch hier!
Grüner Strom ist unser Ziel
Davon braucht es viel
Vorbild für die Melodie sei dabei das Shanty „The Wellerman“ gewesen, ein vermutlich um 1860 entstandenes Seemannslied über den Walfang, das 2021 auf TikTok viral ging, nachdem es ein schottischer Postbote einsang. Das sei im Grunde ein Kampflied, sagt Herz und ballt die Faust, spezifiziert dann aber hastig: „Also nicht im Sinne eines aggressiven, martialischen Angriffs, sondern eben so, dass wir mutig für eine gute Sache einstehen werden.“
Am Ende der Generalprobe klappt es dann auch mit den rotierenden Flügeln des menschlichen Windrads: Die Mast-Gruppe sitzt auf dem Boden und lässt dabei Reihen frei, die Rotorist:innen halten ihre Formation mit Hilfe eines Seils, ein Taktgeber gibt per Mikrofon das Tempo vor. Und wie sich das für ein Windrad gehört, lautet das Kommando, um sich in Bewegung zu setzten, nicht „Wasser marsch!“, sondern „Wind bläst!“.
Elf Radrouten sind geplant, damit Interessierte am 29. Juli umweltfreundlich in der Gruppe aus Tübingen, Stuttgart, Schönaich, Sindelfingen, Waldenbuch, Wannweil, Böblingen, Ehningen, Holzgerlingen und dem Remstal anreißen können. Wie viele am Ende kommen, sei eine „Überraschungstüte“, sagt Felix Besl-meisl, der fest damit rechnet, dass es genug für einen Rekord werden. Am liebsten wäre ihm allerdings, wenn die Aktion Nachahmer:innen findet und „wir den Weltrekord nach vielleicht zwei Jahren wieder abgeben“.
Größtes lebendiges Windrad der Welt – am Sonntag, 29. Juni um 15 Uhr startet der Weltrekordversuch auf der Festwiese in Herrenberg.
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