Geschmack kehrt ins Obst zurück: Schluss mit Labber-Aromen
Ertrag und Lagerfähigkeit waren lange die Ziele bei der Züchtung von Gemüse und Obst. Jetzt steht wieder der Geschmack im Vordergrund.
Tomaten, süßer als Erdbeeren? Mit harmonischem Geschmacksprofil und frischer Würze? Tomatenaromen also, wie man sie nur aus dem Urlaub kennt? Was schier unglaublich klingt, bescheinigen Testesser zahlreichen neuen Tomatensorten in hiesigen Supermärkten. Zahlreiche Saatgutunternehmen aber auch Wissenschaftler arbeiten seit gut zehn Jahren am optimalen Geschmack von Obst und Gemüse.
Während die Uni-Wissenschaftler bislang unbekannte Aromastoffe in den Früchten aufstöbern, beschäftigen sich die Unternehmen mehr mit der Zucht neuer Sorten sowie mit verschiedenen Anbausystemen. Geschmack und Aroma gingen den meisten Feldfrüchten nämlich verloren, weil man bis Mitte der 1990er-Jahre hauptsächlich auf Ertrag und Transportfähigkeit setzte. "Wir züchteten die ideale pflegeleichte Tomate", so Liesbeth Boekestein von "The Greenery". Die Turbosorten lieferten viel Wasser, dafür wenig Aromastoffe, gleichzeitig wurden harte Früchte bei der Selektion bevorzugt. Schließlich sollten sie lange gut aussehen - ein "long shelf life" haben.
Jahrelang hat man deshalb Tomaten, Melonen, Ananas oder Erdbeeren grün geerntet. Doch erst im Reifeprozess bilden sich die Aromen. Auch die häufig angewandte CA-Lagerung verlängert die Haltbarkeit: Hierbei werden die Feldfrüchte mit Kohlendioxid begast, um den Stoffwechsel zu verlangsamen - auf Kosten des Geschmacks.
Lange interessierten sich die Züchter auch nicht für die Gene, die in Obst und Gemüse für Aromastoffe kodieren. Schließlich wird Geschmack polygen vererbt, während für Resistenzen gegen Schaderreger meist nur ein Gen verantwortlich ist. Teilweise liegen die aromagebenden Gene sogar auf verschiedenen Chromosomen.
Doch dann protestierte der Verbraucher, ließ die holländischen Wasserbomben einfach im Laden liegen und zwang so die Züchter umzuschwenken. So erblickte TastyTom schließlich nach jahrelangen Kreuzungsversuchen das Licht der Welt. Bei dem üblichen Selektionsverfahren gehen die Züchter mit kleinen Pinseln ans Werk. Sie sammeln Pollen der einen Pflanze und "bestäuben" den Stempel der anderen. "Aus dem Nachwuchs wird dann das beste Exemplar ausgewählt", so Gerd Metz von Enza Zaden. "Die Sorte Campari entstand grob vereinfacht gesagt aus einer Kreuzung von einer normalen mit einer Cocktailtomate."
TastyTom-Früchte werden dann in 18 bis 23 Grad warmen Gewächshäusern aufgepäppelt und mit verschiedenen Mineralsalzen so gezielt gedüngt, dass sich in den Zellen viel Zucker und wichtige Aromastoffe bilden. Der Brix-Gehalt, das heißt die Menge an Zucker, und sein Verhältnis zur Menge an organischen Säuren in der Frucht ist entscheidend bei Tomaten. Durchschnittlich haben Tomaten einen Wert von fünf Grad. TastyTom-Früchte schmecken mit einem Brix-Gehalt von acht Grad süßer als so manche Erdbeeren.
Ob eine Tomate schmeckt, hängt aber nicht nur von der Sorte ab, auch der Anbau spielt eine erhebliche Rolle. Die Tomaten von Sandra Krauß werden beispielsweise nur im Gewächshaus zur Aromabombe. Der Trick: Verwendet man salziges Wasser, wie es häufig in Mittelmeerregionen der Fall ist, oder setzt die Pflanze Trockenstress aus, bilden sich zahlreiche Geschmacks- und Gesundstoffe. Das hat Sandra Krauß bei ihrer Forschungsarbeit im Rahmen des EU-Projekts ecoponics herausgefunden.
Bei dem daraus entwickelten Verfahren werden die Jungpflanzen auf Steinwollematten gezogen. Der Gärtner steuert mit einem Computer, wie viel Wasser und Nährsalze die Pflanzen abbekommen sollen.
Biobauern rümpfen über den Anbau ohne Erde allerdings die Nase. "Das sind synthetische Produkte", so urteilt Bioland-Sprecher Gerald Wehde. Der Boden mit seinen je nach Region unterschiedlichen Mineralstoffgehalten und seinen zahlreichen Bewohnern gilt als wichtiger Geschmacksgeber im Bioanbau. Viele Menschen assoziieren tatsächlich mit Ökoware einen besseren Geschmack, dies ist jedoch bislang - außer für Ratten - nicht belegt worden. "Biogemüse bindet weniger Wasser, weil die Nitratdüngung fehlt. Es schmeckt darum oft besser und verfügt über mehr Vitamine", so Wehde.
Dass Obst und Gemüse heute wieder mehr Genuss bietet, liegt auch an innovativen Züchtungsmethoden. Das "Smart Breeding" beispielsweise verkürzt die langwierige und kostenintensive Züchtung neuer Sorten, die rund acht bis zehn, bei Kartoffeln sogar zwanzig Jahre dauert. Dafür werden Genabschnitte, etwa solche die bestimmte Aromastoffe kodieren, markiert. Ob sich nun nach einer Kreuzung zweier Sorten die gewünschte Eigenschaft weitervererbt hat, kann man bereits am ersten Keimblatt testen und muss nicht warten, bis die Pflanze vollständig ausgewachsen ist.
Der Vorteil ist, dass keine fremden Gene in einen Organismus eingeschleust werden - also das Produkt kein "Genfood" ist. Der Nachteil des Smart-Breeding: Die erwünschten Gene müssen in den Pflanzen vorhanden sein.
Bei Äpfeln und Kartoffeln ist es vor allem die Sorte, die zählt, denn sie ist dem Verbraucher bekannt. Alte Sorten hat man seit 1945 nicht mehr weiter gezüchtet. Diese entsprechen allerdings oft nicht mehr dem heutigen Verbraucherwunsch. Alte Apfelsorten etwa liefern zahlreiche Bitterstoffe wie das Epicatechin. Diese Stoffe versucht man auszukreuzen. So ist der Elstar ein Nachfahre vom heute beliebten Golden Delicious und der alten Sorte Ingrid-Marie.
Alte Kartoffelsorten sind oft mehlig, weil sich vergrößerte Stärkekörner einlagern - auch das mundet dem Verbraucher nicht. Darum findet man heute weitgehend festkochende Sorten im Handel.
Wissenschaftler des Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen haben der faden Erdbeersorte Elsanta den Kampf angesagt. Dort hat man verschiedene alte Sorten mit neuen gekreuzt und herauskamen Erdbeeren mit den verheißungsvollen Namen Fraroma, Frabella und Frasanta. Seit 2001 findet man diese auch im Handel. Um einen noch größeren Genpool zu haben, wird neuerdings mit der Wilderdbeere Fragaria mandshurica Staudt geforscht.
Auch analytischen Neuerungen verdanken wir die neue Geschmacksvielfalt am Obststand. In Hightech-Gaschromatografen gekoppelt mit Massenspektrometern werden die einzelnen Stoffe detaillierter und schneller getrennt als früher. Doch bislang ist nur ein kleiner Teil der Supermarktware auf Geschmack optimiert. Wer heute schon aromatische Feldfrüchte sucht, sollte zu regionalen Produkten, die Saison haben, greifen, also etwa im Sommer zu deutschen Erdbeeren. Die Geschmacksexperten von Slow Food schwören darauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“