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Geschichtsphantom

■ John Akomfrahs Film-Essay Seven Songs For Malcolm X beim Afrika-Filmfest

Mitte der 80er Jahre entwickelte sich in England eine Szene junger schwarzer Filmemacher, die in ihrer experimentellen und kollektiven Filmpraxis über den Polit-Dokumentarismus des unabhängigen schwarzen Kinos der 70er Jahre hinausging. Verstanden sich ihre Vorgänger als Produzenten einer rassistische Stereotypen herausfordernden Gegengeschichte und griffen ganz unmittelbar auf das Medium Film zu, so unterzogen die neuen Filmkollektive diesen Abbildrealismus einer Reflexion.

Wo die ersten afro-britischen Regisseure wie Horace Ove noch auf den radikalen Inhalt ihrer politischen Botschaft vertrauen konnten, begannen Kollektive wie Sankofa, Ceddo oder das Black Audio Film Collective, die politische Dimen-sion filmischer Repräsentation ins Zentrum ihrer Überlegungen zu stellen. Mit Konzepten wie Transparenz oder Authentizität fielen in der Praxis von Regisseuren wie Isaac Julien (Young Soul Rebels, Territories) oder John Akomfrah (Handworth Songs, Der letzte Engel der Geschichte), den hierzulande bekanntesten Mitgliedern des Black Audio Film Collective, auch essentialistische Vorstellungen einer schwarzen Identität.

Viel zu bedeutsam war der Einfluß feministischer und schwuler Theoreme für diese Generation geworden, und im von Free Jazz und Jungle beschallten Büro der ehemaligen Soziologie-Studenten in Nordlondon folgt im Bücherregal auf Fanon selbstverständlich Foucault. Leicht zugänglich sind ihre avantgardistischen Filme sicherlich nicht, aber wer sich darauf einläßt, wird mit einer visuell reichen und vor allem außerordentlich filmischen Form von modernem Dokumentarismus belohnt.

John Akomfrahs Seven Songs For Malcolm X, der im Rahmen des Afrika-Filmfests im Fama erstmals in Hamburg zu sehen sein wird, wurde in der Woche vor dem englischen Kinostart von Spike Lees Malcolm X auf Channel 4 gesendet und verstand sich als Intervention gegen das, nicht zuletzt durch Spike Lee geförderte, Revival schwarzen Nationalismus'. Wie in Der letzte Engel der Geschichte montierte Akomfrah kürzeste Interview- und Dokumentarfragmente virtuos mit allegorisch-visuellen Spielszenen, die sich erst im Dialog untereinander und mit dem Zuschauer auflösen.

Wo Spike Lee die Biografie von Malcolm X mit Hilfe einer Hollywood-Narration vereinheitlicht, kreist Akomfrah – trotz klarer Sympathie für den späten Malcolm X nach seinem Bruch mit der rassistischen Nation of Islam – assoziativ um seinen Gegenstand, ohne ihm eine einzige widerspruchsfreie Wahrheit abgewinnen zu müssen. Gerade dadurch hält er die von ihm berührten politischen Fragen offen und setzt ihm ein würdigeres Denkmal.

Tobias Nagl

zusammen mit „Save My Lost Nigga's Soul“: am Di, 14. Mai, 20.15 und 22.30 Uhr, Fama / Die weiteren Filme des Afrika-Filmfests im Fama, das am 13. Mai mit „I Am The Future“ von Godwin Mawuru anhebt, sind unserem Kino-Programm zu entnehmen.

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