Geschichtspflege: Kurze Ehrung für Sankara
Über Nacht benannten Aktivisten in Oldenburg die Bismarckstraße um - und kündigen an, auch auf andere Weise an das koloniale Erbe der Stadt zu erinnern.
![](https://taz.de/picture/284735/14/cyber_sankara_archiv.jpg)
Als die Bewohner der Bismarckstraße in Oldenburg an jenem Sonntag im Dezember um die Ecke bogen, stand auf dem Straßenschild plötzlich nicht mehr der Name des "Eisernen Kanzlers" - sondern der von Thomas Sankara, dem früheren Präsidenten von Burkina Faso. Mitglieder der Gruppe "Oldenburg postkolonial" hatten die Umbenennung vorgenommen und den Originalnamen mit einem selbstgebastelten Schriftzug überklebt. Die erste Thomas-Sankara-Straße in Deutschland gab es nur wenige Stunden, bereits am nächsten Tag war davon nichts mehr zu sehen.
Mit der Umbenennung wollte die Gruppe auf die koloniale Vergangenheit ihrer Stadt hinweisen. Zwar ist Oldenburg eher durch seine militärische Vergangenheit als Garnisonsstadt und weniger durch die Kolonialzeit geprägt: Hier finden sich keine Lettow-Vorbeck-Kaserne, keine Lüderitzstraße und kein Carl-Peters-Platz.
Dafür gibt es eine Tangastraße, benannt nach einer Schlacht in Deutsch-Ostafrika 1914; eine Hedwig-Heyl-Straße, benannt nach der Bremer Frauenrechtlerin und ausgewiesenen Rassistin; einen verwitterten Gedenkstein für einen Soldaten, der während des Gemetzels an den Nama 1906 an Typhus starb. Sie sind also vorhanden, die kolonialen Spuren, man muss aber genau hinschauen.
Genau das sei das Problem, sagt Gruppenmitglied Ronja: "Mit der kolonialen Vergangenheit setzt man sich in Deutschland viel zu wenig auseinander." Mit Bismarck etwa verbinde man Großmachtstreben oder Preußentum, kaum jedoch eine besondere Begeisterung für Kolonien. Dabei war seine diesbezügliche Rolle keine geringe: Bismarck war Vorsitzender der berüchtigten Kongo-Konferenz von 1884/85, auf der die Kolonialmächte die forcierte Aufteilung Afrikas vorantrieben. Auch der Großteil der deutschen Kolonien wurde noch während seiner Amtszeit etabliert.
Indes geht es der Gruppe "Oldenburg postkolonial" weniger um geschichtliche Aspekte als vielmehr darum, auf den Fortbestand neokolonialer Strukturen und rassistischer Tendenzen hinzuweisen. Daher entschied sie sich bei der Umbenennung auch für Thomas Sankara: Der Sozialist und Revolutionär, der von 1983 bis 1987 Staatsoberhaupt des früher Obervolta genannten Burkina Faso war und schließlich bei einem Putsch ermordet wurde, wandte sich scharf gegen den Einfluss der ehemaligen Kolonialmächte auf die Geschicke der afrikanischen Staaten.
"In Westafrika gilt Sankara als Held", erklärt Richard, ebenfalls Teil der Gruppe - und weist darauf hin, dass sich die Europäer schließlich nach wie vor in die Angelegenheiten der ehemaligen Kolonien einmischen.
Vor allem wolle man den alltäglichen Neokolonialismus stärker ins Bewusstsein rücken. "Die Leute sollten sich Gedanken darüber machen, woher der Name ,Edeka' kommt oder wer ihre ,Schweizer Schokolade' tatsächlich herstellt", sagt Ronja. Auch werde in den Museen noch koloniales Diebesgut ausgestellt, ohne entsprechende Erklärungen.
Auf welche Weise diese Öffentlichkeitsarbeit geschehen soll, darüber ist man sich in der neu gegründeten Gruppe noch im Unklaren. So könne man sich durchaus vorstellen, den offiziellen Weg zu beschreiten und eine Straße tatsächlich umzubenennen. Kein leichter Weg: Die von der Linken beantragte Umbenennung der Hedwig-Heyl-Straße ist erst 2009 vom Oldenburger Rat abgeschmettert worden.
Vielleicht, erklärt die Gruppe, kämen hier und da auch Kooperationen, etwa mit Parteien oder Institutionen, in Frage - aber, wie Malte es formuliert: "Wir sind eher aktionsorientiert." Es gebe ja noch eine Reihe von in Frage kommenden Straßen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt