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Geschichten und Schöpfungen

■ Unter Brücken und anderswo: Die Schauspielerin Christine Marx spielt am liebsten die Ophelia

Die Hofgesellschaft ist entsetzt: Ophelia, die man mit Hamlet vermählen wollte, ist dem Wahn verfallen und singt ungebührliche Lieder: „Ein junger Mann tut's, wenn er kann, / beim Himmel, 's ist nicht fein. / Sie sprach: Eh' Ihr gescherzt mit mir, / Gelobt Ihr, mich zu frein. / Er antwortet: / Ich bräch's auch nicht, beim Sonnenlicht! / Wärst du nicht kommen herein.“

Männliche Doppelmoral, erfährt man bei Shakespeare, gab es schon in Elisabethanischen Tagen, und das ist eines der Themen, die Christine Marx in ihrem Stück „Seid Ihr vernünftig, bin ich nicht mehr toll“ behandelt. Das Programm aus Sonetten, Liedern und Monologen dreht sich um die Frauenfiguren des englischen Dramatikers, und an Ophelia fasziniert die 29jährige Schauspielerin, „daß sie sich in ihre eigene Welt zurückzieht, weil sie die Realität nicht mehr erträgt, und daß sie in ihrem sogenannten Wahnsinn eine Menge kluger Sachen sagt“.

Wie ein roter Faden zieht sich diese Figur aus „Hamlet“ durch die Theaterarbeit von Christine Marx. Schon zum Abschluß ihrer Schauspielausbildung in Bern sollte sie die Ophelia spielen, war aber mit dem „klischeehaften“ Konzept des Regisseurs so wenig zufrieden, daß sie kurzerhand ein eigenes Programm entwarf – einen Vorläufer von „Seid Ihr vernünftig, bin ich nicht mehr toll“. Musikalisch begleitet von ihrem Mann Klaus Nothnagel, stellt sie diese Produktion immer mal wieder vor, zuletzt Weihnachten im Hoftheater Prenzlauer Berg.

Auch für ihr neues Projekt greift Marx auf Ophelia zurück. Zusammen mit Monika Dierauer, einer Freundin aus der Schauspielschule, entwickelt sie ein Stück, das von der biblischen Schöpfungsgeschichte zum Wassertod der Ophelia führt. Wie sie diese beiden Handlungspfeiler miteinander verbinden wird, weiß Christine Marx noch nicht so genau. Aber sie schwärmt von der Idee, die Produktion mit dem Arbeitstitel „Morgen machen wir uns einen Namen“ unter einer Berliner Brücke zu zeigen.

Mit leuchtenden Augen erinnert sie sich an eine Probe unter der Gertraudenbrücke in Mitte: „Es war ganz toll, wie die Leute reagiert haben. Einige sind erschrocken stehengeblieben, andere sind zwischen den Zuschauern und uns vorbeigegangen und taten so, als sähen sie uns nicht. Dann kamen auch Penner, die uns anschnorrten und Zigaretten von uns wollten.“ Daß der Straßenlärm störte, erwähnt Marx am Rande, und was sie später mit direkten Eingriffen der Zuschauer machen will, weiß sie noch nicht. Die Hauptsache ist: „Wenn die Leute nicht ins Theater kommen, dann muß man zu ihnen auf die Straße kommen.“

Frei arbeiten, solange die Ideen reichen

Der Werdegang von Christine Marx verlief zielgerichtet: Als Neunjährige schloß sie sich in ihrem Geburtsort Wolfsburg einer Schultheatergruppe an; nach dem Abitur und Aufenthalten in Paris und London bestand sie die Aufnahmeprüfung am Konservatorium für Musik und Theater in Bern. Im Anschluß an die Ausbildung war sie 1992 am „Kleinen Theater“ in Salzburg fest engagiert. Das war keine gute Erfahrung, denn die Schauspielerin, für die Marx einspringen sollte, blieb wider Erwarten im Ensemble.

Seitdem arbeitet Christine Marx in freien Projekten, etwa beim ThéÛtre de Complicité, einer internationalen Gruppe unter Leitung von Simon McBurney, die im letzten Sommer mit ihrer erfolgreichen Produktion „The Three Lives of Lucie Cabrol“ im Hebbel Theater gastierte. Wenn Marx davon erzählt, springt sie in ihren Erinnerungen, holt weit aus, ereifert sich über eine Facette und vergißt, worüber sie eigentlich hatte sprechen wollen.

Über ihre eigene Rolle – Mutter und Schwester der historischen Hauptfigur – sagt sie wenig, dafür schildert sie um so ausführlicher, wie sich Cabrol als Beerensammlerin und Schmugglerin in den französischen Alpen durchschlägt. Dabei pausiert Christine Marx dramaturgisch geschickt oder hebt und senkt die Stimme, als stünde sie auf der Bühne anstatt im Wohnzimmer ihrer Wohnung im Nikolaiviertel.

Berlin gefällt der Schauspielerin, „weil es geschichtlich im Moment sehr aufregend ist“. Das Unfertige der Stadt inspiriere sie: „Die Baustellen mag ich sehr gern. Gestern bin ich da noch langgefahren, heute kann ich das nicht mehr. Gestern bin ich da noch langgelaufen, heute ist da abgesperrt. Man muß immer wieder neue Wege suchen, das ist wie eine Allegorie fürs Leben.“

Große Worte und irgendwie auch nicht neu. Aber da ist Marx schon zum nächsten Thema gesprungen und erzählt von einem Drehbuch, das sie gerade geschrieben hat. Oder von der Idee, die Tradition der Berliner Salons zu beleben. Über Mangel an Einfällen kann sie nicht klagen, und das ist für sie ein Antrieb, auch weiterhin ohne festes Engagement zu arbeiten. Klagen über Arbeitsbedingungen oder schlechte Bezahlung kennt sie nicht. „Ich arbeite gern frei. Ich glaube, daß ich genug Ideen habe, das machen zu können, und werde das so lange tun, bis ich denke: So, jetzt ist Schluß.“ Cristina Nord

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