: Geschichte eines Großkonflikts
2006:Die EU beschließt eine Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Telefon- und Internetverbindungsdaten („wer telefoniert/mailt/simst mit wem wo wie lange“ „Wer ist wann im Internet“) müssen mindestens sechs Monate lang gespeichert werden.
2007:Die große Koalition aus Union und SPD beschließt zur Umsetzung ein deutsches Gesetz. Es sieht eine sechsmonatige Speicherung vor. Federführend ist Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). Das Gesetz tritt 2008 und 2009 gestaffelt in Kraft.
2008:Nach einer Massenklage von 34.000 Personen stoppt das Bundesverfassungsgericht per einstweiliger Verfügung vorläufig die polizeiliche Nutzung der Daten.
2010:Das Bundesverfassungsgericht erklärt das deutsche Gesetz endgültig für verfassungswidrig. Eine Vorratsdatenspeicherung sei zwar grundsätzlich möglich, doch müssten die Daten besser geschützt werden.
2010 – 2013:Die schwarz-gelbe Koalition kann sich nicht auf die Modalitäten einer neuen Vorratsdatenspeicherung einigen. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) blockiert.
2012:Die EU-Kommission verklagt Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen der Nicht-Umsetzung der EU-Richtlinie.
2013:Die neue große Koalition kündigt die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung an, um EU-Zwangsgelder zu vermeiden.
2014:Der EuGH erklärt die EU-Richtlinie für unverhältnismäßig und deshalb für nichtig. Nun gibt es keine EU-Vorgabe mehr.
2015:Die große Koalition beschließt dennoch eine neue Vorratsdatenspeicherung, federführend ist Justizminister Heiko Maas (SPD). Die Daten sollen nun zehn Wochen gespeichert werden, Standortdaten von Mobiltelefonen nur vier Wochen.
2016:Der EuGH erklärt auch die nationalen Vorratsdatenspeicherungen in Schweden und Großbritannien für EU-rechtswidrig. Die Bundesregierung behauptet, dies betreffe Deutschland nicht.
2017:Das Oberverwaltungsgericht Münster wendet das EuGH-Urteil in einem Einzelfall auf Deutschland an.
2017:Die Bundesnetzagentur verzichtet darauf, die Vorratsdatenspeicherung bei den Telefon- und Internetfirmen durchzusetzen. Sie steht also im Gesetz, wird aber nicht praktiziert.
2019:Das Bundesverwaltungsgericht fragt den EuGH, ob das deutsche Gesetz mit seinen kürzeren Speicherfristen gegen EU-Recht verstößt.
2020:Der EuGH lockert in einem französischen Fall seine strikte Ablehnung anlassloser Vorratsdatenspeicherung und erlaubt sie für IP-Adressen zur Bekämpfung von Kinderpornografie.
2022:Der EuGH stuft auch die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung als EU-rechtswidrig ein.
2024:Justizminister Marco Buschmann (FDP) bringt einen Gesetzentwurf zur Einführung von Quick Freeze (statt Vorratsdatenspeicherung) in die Ressortabstimmung der Bundesregierung. Der Entwurf wird aber nicht mehr beschlossen.
2024:Der EuGH erlaubt die Nutzung von vorratsgespeicherten IP-Adressen auch gegen sonstige Kriminalität, etwa Urheberrechtsverletzungen.
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