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Geschenk für die Sinne

■ Die Hamburger Kunsthalle zeigt ab 5. Juli französische Meisterzeichnungen des 19. Jahrhunderts: von Ingres, Géricault, Manet und Delacroix bis Cézanne

„Wenn Ingres nach Delacroix den bedeutendsten Platz einnimmt, so liegt das an jener ganz besonderen Zeichnung“, schrieb Charles Baudelaire 1846. Doch um einen Einblick in die Grundlagen seiner kritischen Kunsturteile zu erhalten, bedarf es einer besonderen und mühsamen Forschungsarbeit. Mit der Ausstellung Zeichnen ist Sehen – Von Ingres bis Cézanne wird Zeichnungsliebhabern und Wissenschaftlern diese Arbeit abgenommen und ein besonderes Geschenk für Sinne und Erkenntnis gemacht.

75 bedeutende Aquarelle und Zeichnungen französischer Künstler des 19. Jahrhunderts aus der exquisiten Sammlung des Museums der Bildenden Künste in Budapest werden vom 5. Juli bis zum 9. September in der Hamburger Kunsthalle zu sehen sein. Werke von Géricault, Ingres, Delacroix, Manet, Cézanne, Rodin, Toulouse-Lautrec, van Gogh und anderen Meistern der Zeichnung können das reizüberflutete Auge unserer Tage nicht nur erfreuen, sondern zudem auch noch beruhigen und sogar schulen.

Erweitert durch 65 weitere Zeichnungen aus einer der besten Schweizer Privatsammlungen und aus dem Berner Museum ist die Ausstellung ein spektrales Phänomen. Besonders das zeichnerische Wunderkind des französischen Neoklassizismus, Jean Auguste Dominique Ingres aus Montauban, ist in dieser Sammlung hervorragend vertreten.

Die Ausstellung versammelt eine Reihe von Skizzen, Croquis und Studien, die den Blick in ein elementares Thema abendländischer Kunstgeschichte gestatten. In einer von Umbrüchen gekennzeichneten Epoche zwischen zwei Revolutionen wird anhand der unterschiedlichen Positionen von Ingres, einem Schüler Jacques-Louis Davids, und Eugène Delacroix, dem Kopf der romantischen Bewegung, zweierlei sichtbar: Nicht nur wird ein künstlerischer Streit aus dem 17. Jahrhundert erneuert – jener zwischen Rubenisten und Poussinisten –, sondern auch das Aktionsfeld des beginnenden Kampfes um die Autonomie der Zeichnung und der Kunst abgesteckt.

Weniger befriedigend sind hingegen die Katalogbeiträge. Die neuere Forschung aus den vergangenen zwölf Jahren ist nicht berücksichtigt worden. So steht In-gres als Zeitgenosse nicht gegen Delacroix, sondern gegen dessen Lehrer Géricault. Die Frage bleibt, ob hier Studien aus dem Kreise historisch-materialistischer Kunsthistoriker bewußt geschnitten wurden – oder die Recherchen nur halbherzig waren.

Die hohe Qualität des Bestandes geht auf den ungarischen Sammler Pál Majovszky (1871-1935) zurück. Ihm haben wir dieses Ereignis genauso zu verdanken wie der internationalen Zusammenarbeit von drei Museen. „Dem Auge ein Fest“ versprach einst Delacroix, und Hamburg kann sich glücklich schätzen, neben Bern der einzige Ausstellungsort zu sein, an dem man sich dem Genuß einer Rekonstruktion der modernen Künstlerseele hingeben darf.

Gunnar F. Gerlach

5.7. bis 8.9., Kunsthalle

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