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Gescheiterte Late-Night-TalksNarrenkönig ohne Land

Auch Harald Schmidt konnte der Late-Night-Show in Deutschland nicht zum Durchbruch verhelfen. Es fehlt schlicht an Innovation, Lockerheit und Promis.

Er bekommt sie alle: Der amerikanische Talkmaster Jay Leno. Bild: reuters

So einen muss man sich leisten. Einen, der bei den karierten Strumpfhosen der Bundespräsidenten-Gattin an Shakespeares Malvolio denkt. Einen Intellektuellen, mehr noch: eine intellektuelle Instanz. Einen, dem es scheißegal ist, das ideale Feigenblatt für einen TV-Sender zu sein, in dessen Programm es von inszenierten Reality-Formaten nur so wimmelt – solange er Narrenfreiheit genießt.

So einer setzt dann auch die Gesetze des gewöhnlich erbarmungslosen Fernsehmarktes außer Kraft: Wer keine Quote holt, fliegt.

Harald Schmidts Quoten sind mau, seit er im September von der ARD zu Sat.1 zurückgekehrt ist. Mit den ersten beiden Sendungen holte er sehr gute Werte in der für einen Privatsender so wichtigen werberelevanten Zielgruppe, 14,3 und 16,1 Prozent. Danach sank der Zuspruch auf meist einstellige Werte ab, Minusrekord: grausame 5,1 Prozent. Mit durchschnittlich 8 Prozent liegen Schmidts Quoten deutlich unter Senderschnitt.

Doch Schmidt fliegt nicht, im Gegenteil. Seine "Harald Schmidt Show" bekommt ab dieser Woche einen dritten wöchentlichen Sendeplatz, weil Johannes B. Kerner seine Show verliert – aufgrund schlechter Quoten. Neben Dienstag und Mittwoch wird Schmidt jetzt auch donnerstags ab 23.15 Uhr senden.

Das Feigenblatt hatte schon zu Beginn seines zweiten Sat.1-Engagements zu verstehen gegeben, dass ihm ein dritter Sendetag gefallen würde. Im Ersten war er nur einmal die Woche auf Sendung, oft auch gar nicht, weil er anderen Formaten wie dem "Scheibenwischer" weichen musste.

Bild: taz

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Und überhaupt: Narrenfreiheit wollten ihm die ARD-Granden nie so ganz zugestehen. Sie mokierten sich über Satiren wie den Nazometer und erst recht über Oliver Pocher, den Schmidt kurzfristig für einen geeigneten Kompagnon gehalten hatte.

Die Zusammenarbeit mit Pocher sei "ein Fauxpas, den ich nie begreifen werde", sagt Kay Sokolowsky, Autor des 2004 erschienenen Buchs "Late Night Solo. Die Methode Harald Schmidt". Darin kommt der Entertainer hervorragend weg. In seiner ersten Zeit bei Sat.1 von 1995 bis 2003 habe Schmidt "privates Theater gemacht, völlig egal, was der Zuschauer erwartet hat."

Schmidts Satire ist nicht mehr fortschrittlich

Der Meister der Gegenwart begeistert Sokolowsky dagegen nicht mehr. Schmidt habe seinen "bewährten Sarkasmus eingetauscht in eine ziemlich ekelhafte neoliberal-nationalistische Grundhaltung". Schmidts Satire sei oft nicht zeitgemäß und locke wohl kaum junge Zuschauer. Und die alte Anhängerschaft? "Die kennen das alles schon."

Harald Schmidt kann sich seine schwachen Quoten nicht recht erklären, wie er jüngst dem Spiegel sagte. Vielleicht sind 800.000 Zuschauer pro Folge aber auch gar nicht schlecht für ein Format, das es nie wirklich geschafft in Deutschland – egal, wer sich daran versuchte. Thomas Gottschalk, Anke Engelke, Oliver Pocher – gescheitert, fehlkonzipiert, falsch programmiert oder mit zu hohen Erwartungen aufgeladen.

Kurz vor seinem Sat.1-Comeback hatte Schmidt gesagt, er sei der Einzige, der Late Night könne. Vielleicht, nur: Talk of the Town, das unverzichtbare Gesprächsthema des nächsten Tages, das ist Schmidt längst nicht mehr.

Das Verfolgt-haben-Müssen, um beim Small Talk mitmischen zu können, hat seinen Ursprung in US-Variety-Shows, die in den 1940er und 50er Jahren im Radio übertragen wurden. Den Grundstein des TV-Erfolgs legte ab 1962 "The Tonight Show Starring Johnny Carson". Heute laufen in den US-Sendern ein gutes Dutzend Late-Night-Shows, fünf Tage die Woche, keine startet vor 23 Uhr. Die Platzhirsche Jay Leno und David Letterman gehen um 23.35 Uhr sogar in direkte Konkurrenz.

Falsch übersetzt

Ein Wettbewerb, den es in Deutschland nicht gibt. Was eigentlich idealer Humus für eine erfolgreiche Show mit breiter Zuschauerresonanz sein müsste, erweist sich als kreatives Hemmnis.

In den USA herrsche ein kommerzielles und hochgradig kompetitives Network-System, erklärt Christof Decker, Professor für Amerikanistik mit dem Aufgabengebiet Media Cultural Studies an der Universität München. "Dieser Innovationsdruck ist in Deutschland nicht gegeben." Das Late-Night-Format sei von deutschen Sendern schlicht eins zu eins kopiert worden, "ohne kulturelle Übersetzung".

Die klassischen Late-Night-Elemente sind der Stand-up, Gags, Einspieler, ein Gesprächsgast und meist eine Musikperformance. Die Inhalte für den Anfangsmonolog finden sich in jedem Land: peinliche Politikeräußerungen, ein bisschen Boulevard, das Wetter.

Zum Abschluss ein Gag über irgendeinen blöden Promi, in Deutschland bevorzugt Lothar Matthäus. Es folgen ein paar Spielchen, Publikumsbeteiligung, der Doppelpass etwa mit dem Bandleader. Alles kein Problem. In der Übersetzung mangelt es hierzulande schlicht an Gästen der Kategorie A.

Abgedroschene Kulturkritik

Die US-Vorlage, wonach ein Gast zwingend benötigt wird, entpuppt sich als Bumerang, wenn das Gespräch einzig zur Eigenwerbung des Haussenders dient und Sternchen statt Stars Platz nehmen. Es gilt als abgedroschene Kulturkritik, den Starmangel in Deutschland zu beklagen, aber er ist real. Auch die 2009 nach nur zwei Jahren eingestellte deutsche Ausgabe des in den USA hochklassigen Magazins Vanity Fair krankte daran.

In den USA rappt Late-Night-Gastgeber Jimmy Fallon mit Justin Timberlake minutenlang Klassiker der Rap-Geschichte – live begleitet von seiner Studioband, der weltbekannten HipHop-Combo The Roots. Fallons Kollege Jimmy Kimmel schart in Einspielfilmen ein Whos who der A-Klasse um sich, da sitzen Sting, Ethan Hawke, Matt Damon und Lenny Kravitz zusammen – und verarschen sich selbst.

Die US-Moderatoren sind Superstars. Und weil auch ihre Gäste zu jener Gattung zählen, begegnen sie sich gleichberechtigt. In Deutschland ist Harald Schmidt einer der wenigen Superstars – und sitzt seinem jeweiligen Gast deshalb meist erhöht gegenüber.

Es ist schwer, für ihn einen Widerpart auf Augenhöhe zu finden. Aber darauf verzichten? Nein, das hat er versucht, zu Beginn seiner Late Night im Ersten. Als die Redaktion die Sendezeit nicht kreativ zu füllen wusste, saßen bald wieder B-Promis im Sessel.

Während der US-Zuschauer eben auch wegen der Gäste einschaltet, muss in Deutschland niemand fürchten, etwas zu verpassen, wenn er Wolke Hegenbarths Auftritt bei Schmidt nicht einschaltet. Ab und zu lädt Schmidt Gäste, die er gut findet. Dann begleitet er die Geigerin Anne-Sophie Mutter am Klavier oder lässt sich vom Flötisten Emmanuel Pahud Bach vortragen. Besuche aus der Hochkultur.

Bei den meisten Gästen sei die Reibung "sehr gering", sagt Kay Sokolowsky. Der Entertainer sei "zu gesetzt geworden" und verzichte auf Gäste, die ihm die Stirn bieten könnten.

30 Jahre Vorsprung

Die Gesprächskultur ist auch eine Frage von Traditionen der Kulturindustrie. Late Night hat in den USA 30 Jahre Vorsprung. Der Celebrity Talk in den USA sei nicht tiefgründig, sagt Christof Decker von der Universität München. Dort genieße die oberflächliche Interaktion, das Plaudern, einen höheren Stellenwert. In Deutschland, so seine Beobachtung, werde in Gesprächssituationen immer das Tiefschürfende anvisiert.

"Es gibt hier die Regel, dass Talk nicht zu unterhaltend sein darf und sich über eine ernste Atmosphäre legitimiert", sagt Decker. In den USA sei nicht einmal die Trennung von Politik und Unterhaltung annähernd so strikt wie in Deutschland. Die harte politische Berichterstattung finde dort immer weniger Beachtung, weshalb Spitzenpolitiker in "weichen Formaten" eine andere Seite von sich zeigten.

Der kurz darauf erfolgreiche Präsidentschaftskandidat Bill Clinton spielte 1992 bei Letterman Saxofon. Senator Barack Obama machte dort kurz vor den Wahlen 2008 zweideutige Scherze. Eine Blockflöte spielende oder Zoten reißende Angela Merkel? Undenkbar. Dafür mangelt es hier kulturell an der Kunst der Selbstdarstellung ohne Arroganz – an Lockerheit.

Eine eigenständige deutsche Interpretation vom Begriff Late Night zu konzipieren hat sich bislang kein Sender, kein Redaktionsleiter, kein Moderator getraut. Nicht einmal Schmidt, der Talk-Ikone Letterman einmal als Vorbild nannte, trotz aller Narrenfreiheit.

Late Night sei "definitiv" seine letzte Station im Fernsehen, sagte Schmidt dem Spiegel vor Jahresfrist. Etwas anderes interessiere ihn nicht mehr. Quoten hin oder her: "Ich war noch nie so gut wie jetzt."

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13 Kommentare

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  • BB
    Buffo Bill

    Ihren Kommentar hier

     

    Um den mach ich mir keine Sorgen .

  • MP
    Martin Peters

    Bei der einst großen Verehrung der Deutschen, insbesondere des deutschen Feuilletons für Harald Schmidt als einem Genie handelte es sich um ein kolossales Mißverständnis, um einen riesigen Irrtum. Ein Genie setzt eine originale reale Persönlichkeit voraus, insbesondere mit festen Überzeugungen von sich selbst. Harald Schmidt war als Kunstfigur und Schauspieler leider auch ein Schauspieler seinerselbst, der Schauspieler eines Genies. Negativ erschwerend spielt in seine Persönlichkeit und Karriere sein Zynismus hinein, der so etwas grundsätzlich Menschenfreundlichem und Geselligem wie dem Entertainment von vornherein abträglich ist. Harald Schmidt war und ist mit diesem Zynismus im Grunde auch ein Fremdkörper in seinem eigenen Job und seiner eigenen Unterhaltungsbranche. Deshalb ist es auch mit ihm mit der Late Night in Deutschland nichts geworden. Ich bin allerdings guter Dinge, dass Thomas Gottschalk auf seine alten Tage nochmal sowas wie eine gute Vorabend-Late-Night in der ARD hinkriegt. Das Enterieur der Show und die Motivation des Altmeisters wirken jedenfalls schonmal recht vielversprechend.

  • CR
    Christoph Rick

    So eine S*** habe ich ja lange nicht mehr gelesen.

     

    Der Autor hat wohl keine größeren Probleme, als sich zu überlegen, wievel Zuschauer Harald Schmidt hat.

     

    Puhhh, vllt sollte er lieber Bericht erstatten über Krisengebiete...

     

     

     

     

    P.S.; ***=oße

  • D
    Dhimmitry

    Vielleicht ist es auch einfach nur so, dass keiner in Deutschland Late-Night-Geschwafel braucht. Wir brauchen auch keinen 24-Stunden-Sportnachrichten-Kanal. Trotzdem wird das jetzt ausprobiert.

     

    Da bin ich mal froh Deutscher zu sein. Wir müssen nicht den ganzen Nonsense übernehmen, nur weil sich andernorts damit Geld verdienen lässt.

     

    Wers vermisst, kann ja Leno gucken...

  • B
    beatboy

    "neo paradise" wurde gar nicht erwähnt. das ist doch eine klare alternative zu schmidt. joko und klaas sind zwar oft eher albern, aber wenigstens trauen die sich etwas und schaffen es so sogar, stellenweise gute unterhaltung zu liefern. zudem bieten sie neuen musikern ein plattform, ebenso wie dem anarchokabarettisten serdar somuncu. die gehören unterstützt!

  • T
    TVTotal

    Was in dem Artikel angesprochen wird ist alles richtig. Harald Schmidt ist nicht mehr witzig und als Gäste kommen zu ihm auch nur noch B-Promis. Aber was ist denn mit TV Total. Hier haben wir den blödelnden Moderator, blödelnde Promis, lustige Filmchen und eine gute Band. Die Promis sind sogar größstenteils bekannt, weil Raab selber Musik macht und auch Verbindungen zum Fernsehen hat. Es ist keine Kopie so wie die Harald Schmitt show sondern eine Interprätation. Desweiteren sollte man hier auch Joko und Klaas gerade beim jüngeren Publikum auf dem Zettel haben. Also doch nicht nur Late-Night-Müll in Deutschland. Schmidt allerdings wird immer arroganter und flacher. Der er seine Quoten nicht versteht, ist ein Anzeichen dafür, dass Schmidt einfach abgehoben ist. Er ist nicht mehr nah dran am Publikum.

  • S
    Sarah

    Was ist denn mit Stefan Raab und TV Total? Fällt das nicht in die Kategorie "Late Night"? Prominente Gäste, gute Quoten, seit Jahren erfolgreich.

  • K
    KFR

    gute Auftrags-Arbeit,leider fehlt Preis, Verlag und ISBN des von Ihnen beworbenen Buches;

    kann vielleiCht ein anderer Kommentar ergänzen?

  • Y
    yberg

    schmidt is SPA?MACHER alter schule,der arrogant und eitel seine unsicherheit überspielend,witze,die überwiegend nicht von ihm selbst stammen, auf kosten anderer macht,die bereits andernorts seis in BILD

    oder sonstwo durch den kakau gezogen werden.

     

    dem fleischgewordene PENNÄLERWITZ schmidt laufen zudem ohne mediales begleitgetöse die zukieker weg,da in der HEUTE SHOW oder ähnlichen formaten und zudem im internet sich viele besser unterhalten sehn.

     

    im übrigen hamn wir hierzulande immer weniger zu lachen und vielen fernsehzuschauer is zudem das lachen ganz vergangen,da die wirklichkeit genug späße bietet ,die im hals stecken bleiben.

     

    da kann der selbsternannte MASTER OF HUMORVERS noch so weit hergeholte und verwegene geistige kapriolen schlagen,wie will er denn all die guttenbergs,wulffs und konsorten übertreffen.

     

    na ja vielleicht brennt irgendwann angela mit ihm durch...

  • TS
    Thomas Sch.

    Sehr geehrter Herr Landsberg,

    erstklassige Arbeit. Genau beobachtet, gut beschrieben, treffsicher im Ton.

  • E
    EnzoAduro

    Lieber eine schlechte Harald Schmitt Show als Politiker die mit Instrumente Spielen für sich Werbung machen.

  • R
    reblek

    "Schmidts Satire ist nicht mehr fortschrittlich" - Schmidts Polen-Witze waren nie "fortschrittlich" und er macht schon seit vielen Jahren "Witze" nicht über die Mächtigen, sondern er tritt die, die leicht umfallen. Das ist jämmerlich.

  • L
    Lexi

    Einbildung ist in Deutschland halt auch eine Bildung. Von dieser Sorte Bildung scheinen mir die, die in D Late-Night machen ober daran teilnehmen recht viel zu haben. In Amerika gilt das so nicht.