Geruchsfrage: Der fiese Duft des Frühlings
Der Lenz ist da - und mit ihm kommen die Düfte der Natur. Doch nicht alles, was gut riecht, ist natürlich. Duftmarketing manipuliert unsere Nasen und leert die Portemonnaies.
Schon lange ahne ich: Da stimmt was nicht. Ich wittere es. Immer, wenn ich mit dem Fahrrad von der Arbeit die Schönhauser Allee nach Hause radle, zieht mir dieser Duft in die Nase. Vanille. Ich beginne dann zu lächeln. Vanille ist zwar nicht unbedingt mein Frühlingsduft. Aber er macht gute Laune. So gut kann die Schönhauser Allee riechen.
Der Vanilleduft gehört zu einem Restaurant. Mamay. Vietnamesische Küche und Teehaus. Mamay ist der Name einer Gasse in Hanoi. Riecht es dort auch nach Vanille? Der Kellner lächelt. „Vanille riecht gut“, sagt er, als ich endlich dem Geheimnis meines Schönhauser-Dufts nachspüre. „Wir haben ein bisschen nachgeholfen.“ Und wirklich: Auf dem Bürgersteig steht, versteckt hinter zwei stylishen Blumenkübeln, eine brennende Vanillekerze. Warum so geheimnisvoll? Hat die Schönhauser Vanille nicht verdient? Oder führt mich da jemand an der Nase herum?
Vor einiger Zeit hat die Chemikerin Sissel Tolaas den Geruch Berlins kartiert. „Jede Stadt hat einen Eigengeruch, eine Identität“, sagt sie überzeugt. Jeder Stadtteil natürlich auch. In Neukölln, hat Tolaas herausgefunden, riecht es nach Weichspüler und Wäschetrockner, Armeleuteviertel halt. Das besser situierte Charlottenburg riecht nach „Seifensauberkeit“, das prollige Reinickendorf nach „Sonnenstudio“. Aber wie riecht der Prenzlauer Berg? Außer nach Vanille? Diesmal will ich es wissen und gehe meinen Arbeitsweg zu Fuß nach.
Der erste Geruch kommt aus einer Bäckerei
Der erste Geruch ist nicht die Süße des Frühlings, seiner blühenden Blumen und grünenden Blätter. Der erste Geruch kommt aus einer Bäckerei: Bisquitte Bäckerei. Café and more, auch Schönhauser Allee. Mit dem „more“ ist wohl der Duft frischer Brötchen gemeint. Über ein angelehntes Oberlicht strömt er auf die Straße. Richtig happy bin ich nun nicht mehr. Erst Vanille, dann Brötchen. Werde ich etwa auf die Nase genommen?
Ein Stück weiter fängt mich der Duft von Gebratenem ein. Oder ist es Gegrilltes? Ich drehe mich um. Burger King, unweit der Schönhauser Allee Arcaden. Ich bin nun auf der Lauer. Welchen Duft wird Mule und Katule, der nette Lederladen, auf den Gehweg verströmen? Ich atme auf. Mule und Katule hat diese Manipulation meiner Sinne nicht nötig.
Duftmarketing, klärt mich Eva Goris auf, ist in Deutschland noch relativ neu. „In den USA riechen die Sheraton-Hotels nach Omas Käsekuchen, damit sie sich wohl fühlen wie ein Kind.“ Goris hat ein Buch geschrieben: „Der Duft-Code“ heißt es und enthält Sätze wie „Wir leben im Zeitalter des Duftterrors“. Vielleicht muss Goris übertreiben, weil der Duftterror oft unterhalb der Wahrnehmungsschwelle daherkommt. „Düfte holen sie nicht beim Verstand ab, sondern beim Gefühl“, sagt sie. Ist der Vanilleduft der Schönhauser also nur ein olfaktorischer Angriff auf meinen Geldbeutel? Der fiese Geruch des Frühlings?
Der Angriff auf der Rosenthaler Straße gilt wohl eher den Touristen. Und unterhalb der Wahrnehmungsschwelle ist er auch nicht. Brachial bläst das Restaurant „New Asia Fine Food“ den Geruch gebratener Ente auf den Gehweg. Keine Duftkerze tut hier ihren Dienst und auch keine „Duftsäule“, wie sie manche Bäckereien nutzen – sondern das Kellerloch an der Hauswand. Aus ihm wird der Duft geblasen, der einen noch zehn Meter weiter erwischt. Das ist keine Werbung mehr, das ist Geruchsbelästigung.
In München und Hamburg haben schon die Bürger mobil gemacht. Dort blasen die Filialen der Nobel-Klamottenkette Abercrombie & Fitch ihr Parfum „Fierce“ auf die Straße. Fierce heißt wild, und so soll es auch die Kunden machen: wild auf die teuren Klamotten, wild auf eine Marke, deren Duft zum „Corporate Scent“, zum riechenden Firmenlogo geworden ist. Nach den Protesten in Hamburg und München prüfen nun die Behörden, ob eine Geruchsbelästigung vorliegt. „In Pankow gab es noch keine Beschwerden“, sagt Jens Holger Kirchner – bis 2011 Stadtrat für Ordnung und nun Bezirksstadtrat.
Vielleicht auch deshalb, weil sich das Duftmarketing in Berlin bislang im Wesentlichen auf die Innenräume konzentriert. So wie in einem Outdoor-Geschäft in der Kastanienallee. Um den verkaufshemmenden Geruch von Imprägniermitteln aus der Abteilung von Regenjacken und Regenhosen zu verbannen, wurde er schlicht überduftet. Nun riecht es dort nach frisch geschlagenem Holz, berichtete vor einiger Zeit das Deutschlandradio.
Der Duft stammt von Wilfried Basler. Der Vertreter der Duftmarketing Firma Air Creative sagt: „Es ist einfach so, dass im Handel draußen nicht viele Möglichkeiten bestehen, sich abzugrenzen, einfach was ganz Neues zu machen, was den Kunden wirklich im Laden hält, was ihm das Gefühl gibt, dass er sich hier wohl fühlt.“
Die Referenzliste von Firmen wie Air Creative oder Reima Airconzept zeigen, in welchem Ausmaß die Beduftung der Innenräume bereits praktiziert wird. Arztpraxen gehören ebenso dazu wie Schuhgeschäfte, Erotikshops oder Reisebüros. Wer den Geruch von frischen Orangen in die Nüstern bekommt, bucht eher eine Reise nach Mallorca, als wenn es im Reisebüro nach Putzmittel riecht. „Als Botenstoffe gelangen die Gerüche direkt ins limbische System und lösen emotionale Reaktionen aus“, erklärt Autorin Eva Goris das „olfaktorische Neuromarketing“. Untersuchungen der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Dresden haben ergeben, dass sich der Umsatz mit Duftmarketing um fünf bis sechs Prozent erhöhen lässt.
Wo ist die Pizza? Ein bisschen verbrannt riecht sie, aber sie macht Appetit. Als erstes nimmt der Mensch seine Umgebung mit der Nase war. Erst dann schaut er sich um. Doch da ist das Bedürfnis schon geweckt. Das ist das Erfolgsgeheimnis der Beduftung im öffentlichen Straßenraum. Bei der Pizzeria Aceto in der Kastanienallee funktioniert es. Allerdings hält das Ambiente nicht, was der Geruch verspricht. Beim Riechen mag der Mensch noch ein Tier sein, beim Sehen erweist er sich als Produkt der Zivilisation. Pech gehabt, Aceto.
Geht es um die menschlichen Sinne, heißt es gerne: Hören und Sehen lassen sich ganz einfach abstellen. Riechen dagegen nicht. Beim Seifenverkäufer Lush, der letzten Stadion meiner kartografischen Nasenwanderung, wünschte ich mir, es wäre anders. Lush am Hackeschen Markt stinkt schon zwanzig Meter gegen den Wind. Grund ist ein Glas mit Flüssigseife, das vor der Ladentür aufgestellt wurde. In Mitte hat es noch zu keinem Protest geführt, wohl aber in der Schweiz. Sitzt über der sprichwörtlichen Berliner Schnauze eben eine tolerante Nase?
„Dass wir die Atmosphäre jemandes riechen, ist die intimste Wahrnehmung seiner, er dringt sozusagen in luftförmiger Gestalt in unser Innerstes ein, und es liegt auf der Hand, dass bei gesteigerter Reizbarkeit gegen Geruchseindrücke überhaupt dies zu einer Auswahl und einem Distanznehmen führen muss, das gewissermaßen eine der sinnlichen Grundlagen für die soziologische Reserve des modernen Individuums bildet.“ Das schrieb Georg Simmel, der Begründer der Stadtsoziologie, einmal über die Gerüche der Stadt und ihre Auswirkungen auf die Städter. Allzu viel Nähe schafft also wieder Distanz.
Etwas emphatischer sieht das Sissel Tolaas, die norwegische Chemikerin, die hundert Jahre nach Simmel den Geruch Berlins kartiert hat. Sie sagt: „Wer ein offener Staats- und Weltbürger sein möchte, muss mit der Toleranz der Nase beginnen.“
Nach drei Stunden Nasenrecherche bin ich mir nicht sicher, ob ich ihr da folgen will. Gegen Reinickendorfer Sonnenstudios und Neuköllner Weichspüler habe ich ja nichts. Der Seifengestank von Lush und die gebratene Ente in der Rosenthaler können mir aber gestohlen bleiben. Und um den Vanilleduft von Mamay werde ich als mündiger Verbraucher künftig einen großen Bogen machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene