Gerolsteiner-Team sponsorenlos: Ex-Gelb sucht neues Geld
Den Tour-Erfolgen zum Trotz findet das Team Gerolsteiner keine Sponsoren für die neue Saison. Schuld sind die Medien in der Heimat - meint Teamchef Holczer.
PAU taz Das Pressegespräch beim Team Gerolsteiner am ersten Ruhetag gehört gewöhnlich zu den angenehmeren Terminen der Tour de France. Man sitzt bei Kaffee und Croissants unter der milden französischen Vormittagssonne im Garten des Mannschaftshotels - in diesem Jahr sogar mit Blick auf schneebedeckte Pyrenäengipfel - und plaudert zwanglos über die Ereignisse der zurückliegenden Tage.
Dieses Mal hätte der Termin besonders schön sein können, denn Gerolsteiner fährt die stärkste Tour de France seit der ersten Teilnahme vor sechs Jahren. Stefan Schumacher eroberte zwei Tage das Gelbe Trikot, der österreichische Kletterer Bernhard Kohl liegt nach einer verblüffend guten Vorstellung in den Pyrenäen auf dem vierten Gesamtrang, und Sebastian Lang fuhr sich mit tapferen Attacken in die Herzen der Radsportfans. Dennoch ist die Stimmung nicht so gelöst, wie sie sein könnte. Obwohl Gerolsteiner mittlerweile zu den dominantesten und beliebtesten Teams im Profiradsport gehört, hat Teamchef Michael Holczer noch immer keinen neuen Sponsor für das kommende Jahr gefunden. "Ich schaue schon alle fünf Minuten auf meinen Blackberry", sagt Holczer, "und hoffe auf eine positive E-Mail." Bislang wartet er jedoch umsonst.
Als Schuldige für die vergeblichen Bemühungen, das "blitzsaubere Produkt" Team Gerolsteiner an den Mann zu bringen, hat man die deutschen Medien ausgemacht. Auch deshalb ist das Frühstück mit den Journalisten in diesem Jahr nicht so harmonisch wie gewohnt. Sebastian Lang etwa kann mit seinem Frust über den ungebrochenen Doping-Fokus in Deutschland irgendwann nicht mehr hinter dem Berg halten: "Ich kann euch nicht vorschreiben, worüber ihr schreiben sollt", platzt es aus dem Erfurter heraus. "Aber es ist nicht fair, den Radsport abzuschreiben und aufzuhören, dafür zu kämpfen." Auch Teamchef Holczer macht schon lange keinen Hehl mehr daraus, dass er das unablässige Moralisieren in deutschen Medien nicht nur für übertrieben hält, sondern sie für den drohenden Tod seines Teams mitverantwortlich macht. Holczer spricht gerne von einem Standortnachteil Deutschland und fragt laut, warum es etwa den amerikanischen Mannschaften Garmin und Columbia gelungen ist, neue Förderer zu finden, und ihm nicht. Die Antwort gibt er sich selbst: Das Klima in Deutschland ist potenziellen Werbern derzeit zu heikel.
Holczer versucht seinen Zorn darüber in der Regel im Zaum zu halten und weiterhin professionell mit den Medien umzugehen. An dem Abend, an dem Stefan Schumacher das Gelbe Trikot gewann, fiel ihm das jedoch sichtlich schwer. Als die Fragen zu Schumachers Amphetamin-Affäre vor neun Monaten nicht aufhören wollten, musste sich Holczer auf die Zunge beißen und aus dem Fenster in die Ferne starren, weil er den Blickkontakt mit den Reportern nicht mehr ertragen konnte. Unter sichtbarer Anstrengung sagte er dann ruhig, aber sehr bestimmt, dass die Geschichte für ihn abgeschlossen sei. Trotzig fügte er an, dass er sich uneingeschränkt über dieses Trikot freue. Stefan Schumacher selbst hat sich hingegen den Spaß an seinem Gelben Trikot nicht verderben lassen. "Ich habe nicht viel aus Deutschland gelesen und Französisch kann ich nicht gut genug, als dass ich verstanden hätte, was hier gesagt wurde", berichtete er. Insofern konnte er es ungetrübt genießen, als Führender der Tour durch Menschenspaliere zu fahren und zu erleben, "was Radsport auslösen kann". Und so war an jenem strahlenden Morgen am Fuße der atlantischen Pyrenäen wenigstens einer am Tisch so richtig guter Dinge.
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