Gericht: Stellvertreter-Prozess am Ende
Gegen Zahlung von 5.000 Euro Geldbuße wird in Bremen das Verfahren gegen Kevins einstigen Amtsvormund wegen fahrlässiger Tötung voraussichtlich eingestellt.

Der Prozess gegen den Amtsvormund des in staatlicher Obhut gestorbenen Kleinkindes Kevin wird eingestellt. Noch ist die Nachricht nicht amtlich. Doch es sei "schwer vorstellbar", so ein Sprecher des Bremer Landgerichts, dass es anders kommt.
Bert K. - angeklagt wegen fahrlässiger Tötung - müsste dann eine Geldbuße zahlen. In Rede stehen derzeit 5.000 Euro, zu zahlen an eine Kinderklinik in Bremen. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung ließen gestern ihre grundsätzliche Bereitschaft erkennen, einem entsprechenden Vorschlag des Gerichts zuzustimmen. Bis zur kommenden Woche haben sie noch Bedenkzeit.
Zuvor hatte das Gericht verlauten lassen, dass es zwar nicht von einem "glasklaren Freispruch" für den heute 67-jährigen ehemaligen Sozialarbeiter ausgeht, aber doch von einer eher geringfügigen individuellen Schuld. Zu deutlich war im Laufe des im Juni eröffneten Verfahrens die jahrelange, systematische Überlastung der Amtsvormünder in Bremen geworden. 650 bis 700 Kinder und Jugendliche waren seinerzeit zu betreuen - von weniger als drei Amtsvormündern.
Heute sind es de facto immer noch 100 bis 140 pro Person, auch wenn die offizielle Statistik "nur" von 80 bis 90 spricht. ExpertInnen sind sich seit zehn Jahren einig, dass maximal 50 Amtsvormundschaften pro Person "angemessen" sind.
Kevin wurde im Oktober 2006 tot im Kühlschrank seines drogensüchtigen Ziehvaters Bert K. entdeckt. Schon im Jahr zuvor hatte ein Amtsvormund in einem Bericht formuliert: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Katastrophe passiert."
Eine empirische Studie attestierte den Amtsvormündern schon im Jahr 2005 eine "hohe quantitative und qualitative Belastung" mit "durchweg" schweren Fällen. Sie spricht von einem "hohen Engagement" für Einzelfälle, aber auch von "teilweise unübersichtlicher Aktenführung". Immer wieder drangen die Mitarbeiter im Jugendamt "eindringlich" auf eine bessere personelle Ausstattung. Doch ihre Forderung blieben - bis Kevins Tod - ohne Folge.
Vor Gericht wurde der Amtsvormund als einer beschrieben, der "immer sehr zuverlässig und geradlinig" war, als einer, "auf den man sich verlassen konnte". 123 Seiten lang ist allein die Anklage, drei Jahre ist es her, dass sie erhoben wurde. Gegen K., der sie "nicht sachgemäß und nicht fair" fand, aber auch gegen Kevins "Case-Manager". Der muss sich nicht vor Gericht verantworten, er ist dauerhaft verhandlungsunfähig. K. muss seinen "Kopf hinhalten", sagt sein Anwalt, stellvertretend für das "Versagen eines ganzes Systems".
Gleichwohl kam schon gestern Kritik an dem möglichen Verfahrensende auf: Die umstrittene populistische Deutsche Kinderhilfe sprach von einem "beschämenden Kuhhandel".
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!