Gerhard Richter wird 80: Das Goldkind
Anfangs malte er Spruchbänder in der DDR. Jetzt gilt Gerhard Richter als einer der größten Künstler der Welt und ist der teuerste deutsche Maler der Gegenwart.
Alles, was man über Gerhard Richter sagt, stimmt. Aber garantiert stimmt auch das Gegenteil. Der Künstler, der am Donnerstag 80 Jahre alt wird, malt seit mehr als einem halben Jahrhundert Bilder und Bilderverbote, ist Ja- und Neinsager, ist der Malerei Anfang und Ende.
Es ist ein Zwiespalt, der das Werk des 1932 in Dresden als Lehrersohn geborenen Richters früh bestimmt. "Es gibt keine bewusste Verbindung in mir", hat er einmal gesagt; und: "Ich habe nie gewusst, was ich tue."
Seiner Taten bewusst ist er sich sicherlich noch 1951 gewesen; dem Jahr, in dem sich der damals 19-Jährige, der sich zunächst als Bühnen- und Spruchbandmaler durchschlägt, an der Kunstakademie seiner Heimatstadt inskribiert. Noch Jahre später schwärmt er von diesem malerischen Beginn. Oberhalb der Brühlschen Terrasse konnte der Vertreter der sogenannten skeptischen Generation mit einem Mal Teil von etwas Größerem werden - Teil einer Kunsttradition, die in Dresden bis weit ins 18. Jahrhundert zurückreicht.
Doch an der Akademie verspürt er bald die Zerrissenheit. In einem akademischen Umfeld, das sich in der jungen DDR von kitschigen Realismen treiben lässt, wird dem rebellischen Richter die Luft schnell zu dünn. Formalismus ist hier Fehlanzeige; und die gängigen Stile des Westens - Informel oder Tachismus - sind für die dogmatischen Kunstwächter der Beelzebub des Bolschewismus.
1961 also verlässt Richter diese Kleingeisterei; "raus aus dieser etablierten Verlogenheit". Mit kleinem Gepäck flieht er nach Düsseldorf; lässt alles zurück, was er im anderen Deutschland geschaffen hat. Selbst in späteren Werkverzeichnissen wird das Frühwerk kaum noch Erwähnung finden.
"Kapitalistischer Realismus" statt Fluxus
Neue Nationalgalerie Berlin, Potsdamer Str. 50: Panorama 12. Februar bis 13. Mai, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 22 Uhr Eintritt 8 Euro, ermäßigt 4 Euro.
Collectors Room Berlin, Auguststr. 68: Editionen 1965-2011 12. Februar bis 13. Mai, Dienstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr Eintritt 6 Euro, ermäßigt 4 Euro.
Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden, Brühlsche Terrasse: Atlas 4. Februar bis 22. April, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr Eintritt 6 Euro, ermäßigt 3,50 Euro.
Kunstverein Bremerhaven, Bremerhaven, Karlsburg 4: Bejamin Katz fotografiert Gerhard Richter 5. Feburar bis 11. März, Dienstag bis Freitag 11 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag bis 17 Uhr Eintritt 4 Euro, ermäßigt 2,50 Euro.
Das Rheinland, bald Epizentrum von Fluxus und westdeutscher Neoavantgarde, hätte Gerhard Richter ästhetische Heimat werden können. Doch kaum angekommen, wechselt er die Stoßrichtung. Bei einem bis heute legendären Happening in einem ehemaligen Möbelgeschäft an der Düsseldorfer Kaiserstraße stellt er erstmals realistische graue Fotobilder aus - Malereien, die nach fotografischen Vorlagen aus Zeitungen und Familienalben entstehen; figurative Gemälde, leicht verwaschen und vernebelt. Zusammen mit Sigmar Polke, Manfred Kuttner und seinem Dresdner Freund Konrad Lueg nennt er diesen neuen Stil zunächst den "Kapitalistischen Realismus".
Für eine Zeit lang wird Gerhard Richter, der sich damals intensiv mit der Junk-Kultur der amerikanischen Gegenwartskunst auseinandersetzt, eine Art Deutschpopper aus Düsseldorf. Er malt Kühe, Klopapier und Kampfflugzeuge. Sein vielleicht berühmtestes Bild dieser Zeit: "Ema-Akt auf einer Treppe". Wie auf seinen anderen Unschärfebildern auch dämmert hier eine profane Realität im Nebel dahin.
Und dann - wieder ein Wechsel: 1966 produziert Richter plötzlich bunte Farbtafeln; später Seestücke, Wolkenzyklen und Landschaftsbilder mit dickem Farbauftrag. Mit seinen 1988 entstandenen Stammheim-Bildern wird der Pionier des Profanen für einen Moment sogar politisch. In den 90ern schließlich macht das wortkarge Kunstchamäleon mit grauen Monochronien von sich reden. "Acht Grau", so der Titel einer Geburtstagsschau, die die Deutsche Guggenheim vor zehn Jahren zu Richters Siebzigsten gezeigt hat.
Über all die Brüche hinweg - über den Stil der Stillosigkeit - hat man es aufgegeben, Gerhard Richter in eine Schublade stecken zu wollen. Er ist der, der sich immer entzieht. Immer antizyklisch. Immer zwischen den Stühlen. Keine Motive, nur Motivation. "Ich habe nichts zu sagen. Und das sage ich", so hat es Richters Zeitgenosse John Cage einmal formuliert - ein Zufallskünstler, den der heute in Köln-Hahnwald lebende Maler wohl nicht von ungefähr mit einem abstrakten Bilderzyklus geehrt hat.
Malende Marke
Vermutlich hat es letztlich viel mit dieser Unbestimmtheit zu tun, dass der an sich schüchterne Gerhard Richter zum teuersten deutschen Künstler der Gegenwart geworden ist; zur malenden Marke. Denn wovon man nicht reden kann, das kann man kaufen. 450 Deutsche Mark soll einst das erste Gemälde gekostet haben, das 1964 einen damals wohl experimentierfreudigen Sammler fand. Ein Schnäppchen. Kein Vergleich zu den Abermillionen, die Arbeiten des einstigen Kunstprofessors heute auf dem Sekundärmarkt erzielen.
Der Maler vom Ende der Malerei ist in eine Rezeptionsblase hineingeraten. Erst jüngst wieder hat dieser Hype zugeschlagen: Ein "Abstraktes Bild" aus dem Jahr 1997 erzielte im November bei Sotheby's einen Rekorderlös von 20,8 Millionen Dollar. Als wenige Monate zuvor Richters "Kerzen"-Bild ähnlich hochpreisig unter den Hammer kam, blieb der Maler fast unverschämt nüchtern: "Als ich es vor gut 20 Jahren das erste Mal ausstellte, wollte es niemand kaufen."
So also hat sich das Blatt gewendet. Richters moderne Mischung enthält heute die Blue Chips des Kunstmarkts. In seinem Portfolio befindet sich alles, was nach landläufiger Meinung arty ist - alles, was ohne "-ismen" daherkommt: Figuration und Abstraktion, Historie und Banalität, Fotobild und übermalte Fotos. Die Chinesen, heißt es, schätzen Richters Abstraktionen, die Deutschen seinen "Stammheim-Zyklus"; Investoren loben die Werthaftigkeit; das Eventpublikum schwärmt von einem Modernen, der sogar "richtig" malen könne.
Vielleicht ist es ja das, was "Kapitalistischer Realismus" heute bedeutet. Eigentlich, hat Richter einmal gesagt, sei die Wortschöpfung ja nur eine Schnapsidee gewesen. Schnell dahingesagt. Bedeutungslos. Aber so ist das wohl bei diesem Maler: Das Bedeutungslose bekommt irgendwann ganz neue Bedeutung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“