Gerhard Richter im Bucerius Kunst Forum: Ikonen der Erinnerung
Gerhard Richter wollte kein sozialkritischer Künstler sein. Dennoch sind seine Bilder aus den 60er Jahren und sein RAF-Zyklus subtil politisch.
HAMBURG taz | Wie macht man das eigentlich: Zeitgeschichte malen? Und ab wann gerinnt ein Ereignis zu Geschichte: Beginnt das bereits mit dem Abdruck eines Fotos in der Zeitung? Setzt schon da Verklärung ein? Oder wird ein Ereignis, eine Person erst zur Ikone, wenn jemand diese Fotos vergrößert, nachmalt, verwischt und Distanz erzeugt?
"Ich empfinde eine Unsicherheit gegenüber der Realität und gegenüber der Kunst", sagt Gerhard Richter, dem derzeit eine Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum gilt. "Und dies wollte ich auf die Leinwand bringen."
"Bilder einer Epoche" heißt die Hamburger Schau und der Kurator - Ex-Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede - meint damit die 60er Jahre. Jene Zeit, in der Richter die Technik des Verwischens zum Markenzeichen erkor und vor allem schwarz-weiß arbeitete. Es war die Zeit, in der die Deutschen nicht mehr zurückschauen wollten.
In der man sachte wohlhabend wurde und über Wiederbewaffnung und Vietnamkrieg stritt. All dies wollte Richter einfangen. Wollte sein Staunen zum Ausdruck bringen und sich gleichzeitig in die Konsumgesellschaft ein- und aus ihr ausgliedern. Dabei nutzte er Illustrierten-Fotos als Vorlage, um sie gezielt zu verunklaren und zu verfremden.
Dass Malerei in Deutschland wenig galt, interessierte Richter wenig. Er sah die neuen Text-Bild-Reportagen der Illustrierten als Chance: endlich als Künstler aus der Pflicht zu sein, nicht mehr selbst Motive erfinden zu müssen oder auf einen tradierten Motiv-Kanon zu schielen, sondern "malen zu können, was Spaß macht: Hirsche, Könige, Sekretärinnen". Und, inspiriert von der Pop Art, Banales.
Richter nutzte Familienbilder, Zeitschriftenfotos, selbst gemachte Aufnahmen - etwa einer Klopapier-Rolle - als Vorlage seines "kapitalistischen Realismus". Das Foto war für ihn, frei nach Marcel Duchamp, eine Art Ready-Made: in der Realität vorgefundenes Material.
Manchmal kamen dabei eher brave Gemälde heraus - der "Ema"-Akt seiner ersten Frau auf der Treppe etwa, der selbstverständlich in Hamburg hängt. Oft wählte der Künstler aber auch Motive, die als durchaus politisch gelten können, und die fokussiert die Hamburger Schau: einen Kampfjet etwa, seinen im Zweiten Weltkrieg umgekommenen "Onkel Rudi" in Nazi-Uniform und den Euthanasie-Täter Werner Heyde.
All diese Motive sind verwischt, somit geschickt auf Distanz gehalten und scheinbar unpolitisch. "Ich bin kein sozialkritischer Künstler", hat der 1961 aus der DDR in den Westen übergesiedelte Richter gesagt. "Ich wollte nur abbilden, was mich damals bewegte."
Viel ist schon über seine Bildauswahl gerätselt worden, und auch die Hamburger Schau tut sich damit schwer, thematische Blöcke ("Politische Vorfälle", "Familie und Freunde") zu erzeugen. Nötig wäre das aber nicht. Es genügt, den zeitgeschichtlichen Kontext zu kennen, um zu begreifen, dass Richter nicht zufällig Mitte der Sechziger Bomber und Nazis malte: genau in jenem Moment, als die Deutschen Jahrestage der Bombardierung deutscher Städte begingen und sich zu Opfern stilisierten. Zeitgleich führten die Alliierten Nazi-Prozesse, von denen etliche Deutsche nichts hören wollten.
Richters Eingriff in das kollektive Verdrängen war eher subtil: Er agitierte nicht, er hielt Erinnerung durch die pure Präsenz seiner Bilder wach. Und so wäre die Hamburger Ausstellung ein wenig brisantes historisches Dokument - wäre da nicht der RAF-Zyklus "18. Oktober 1977" im Obergeschoss, den das New Yorker Museum of Modern Art übrigens nur selten verleiht: 15 anno 1988 gemalte Bilder, benannt nach jenem Tag, an dem der Bundesgrenzschutz die von Terroristen im somalischen Mogadischu entführte Lufthansa-Maschine stürmten. Am selben Tag begingen die RAF-Mitglieder Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin im Gefängnis Stuttgart-Stammheim vermutlich Selbstmord. Richters Gemälde basieren auf Polizei- und Pressefotos der Toten.
Im Oktogon des Obergeschosses hängen diese Bilder im Neonlicht - wie in einer Pathologie. Immer wieder haben sie zu Kritik und Missverständnis herausgefordert. Einige meinten gar, Richter habe hier erstmals eine echte politische Aussage getätigt - auch wenn umstritten war, welche.
In Wirklichkeit, sagt er, habe er damit bloß seine in den 60ern begonnene Schwarz-Weiß-Malerei beendet - einerseits. Andererseits habe er beim RAF-Zyklus dasselbe Verfahren angewandt wie früher und öffentlich zugängliche Fotos nachgemalt. Und die RAF-Opfer habe er nur deshalb nicht dargestellt, weil er "exzeptionelles Unglück" zeigen wollte. Er wollte "Besessene" malen, wie er die RAF-Leute nannte.
Nun kann man darüber streiten, ob die stilisierende, durchaus ästhetisierende Darstellung der toten Meinhof dennoch wie eine Heldenverehrung wirkt. Auch kann man mutmaßen, dass die Hängung im intimen, einer Grabkammer gleichen Oktogon, von Sympathie mit diesen Toten zeugt.
Man kann diesen Raum mit seinen teils seriell gehängten Porträts aber auch anders lesen: als formale Kopie jener Selbstinszenierung, die der kollektive Selbstmord der RAF-Leute gewesen sein könnte. Diesen Vorgang - immerhin hat Richter die Hängung mitgestaltet - als Kritik an genau jener Selbstinszenierung zu lesen, ist eine Möglichkeit. Vielleicht versteht sich dieser Raum aber auch schlicht als Reflexion über die Macht, die jene Fotos auf die Öffentlichkeit hatten.
Andererseits werfen diese "modernen Historiengemälde" Fragen nach dem Vergessen auf. Denn diese Bilder forcieren nicht nur kollektive Erinnerung, sie profitieren auch von ihr. Was, wenn niemand mehr den Kontext kennen würde? Interessierten diese Arbeiten dann noch? Taugten sie als Fundstücke, Ready-Mades für künftige Generationen?
Fragen, die die Hamburger Schau nur andeutet. Denn im Oktogon selbst findet sich zwar keine Erklärung zu den Fotos. Sehr wohl aber im Raum davor. Der Mut, sie wegzulassen, fehlte.
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