: Geräusch mit Hipster-Potenzial
Die verbindliche Störung: Im Rahmen der Reihe „Montagsmusik“ beginnt heute im Podewil eine Woche „Rauschen“
Es gehört zu den beliebtesten Geräuschen der Gegenwart: das Rauschen. Ob beim Duschen, beim Telefonieren, am Flughafen, am Meer oder im Radio. Rauschen tut es überall. Die Veranstaltungsreihe „Montagsmusik“ hat mit dem Festival „Rauschen“ also wieder mal einen Nerv der Zeit getroffen. Das schöne am Rauschen ist, dass sich nicht nur jeder etwas darunter vorstellen kann, sondern dass auch jeder etwas darüber erzählen zu können meint.
Geschlagene siebzehn Referenten wurden vom Podewil geladen, um Themen wie “ „Rauschen und Pop“, „Rauschen und Technik“, „Rauschen und Sprache“ zu verhandeln. Die Liste der Redner reicht von Musikjournalisten wie Felix Klopotek zu Tüftelrockern wie Oval und Pole, von der Klangkünstlerin Christina Kubisch zum Medientheoretiker Friedrich Kittler. Dass man dem „Rauschen“-Festival mit skeptischer Süffisanz begegnet, ist auf das Hipster-Potential des Wortes zurückzuführen. Es bricht unter dem Begriff Rauschen eine ungestüme Flutwelle diskursiver Buzz-Wörter frei, die man im besten Kopf nicht aushält: Interface, Kanal, Dekodierung. Halb verdaute naturwissenschaftliche Konzepte aus der Informationstheorie und der Akustik lassen sich prächtig gegen rostende Hörgewohnheiten ins Feld führen. Man bangt zwangsläufig um Integrität und Glaubwürdigkeit der Referenten und der Künstler (worauf diese wiederum wohl getrost verzichten können).
Dabei haben die Veranstalter streng genommen alles richtig gemacht. Sie berühren einen neuralgischen Punkt gegenwärtiger Musikwahrnehmung. Rauschen und seine denkbaren Abstrakta sind in jeder Musik und ständig gegenwärtig. Sie sind konstitutives Merkmal insbesondere der elektronischen Musik. Rauschen entsteht dort, wo sich Geräuschklänge als zeitliches Kontinuum ausbreiten. Es ist besonders reich und warm, wo sich Frequenzen mit einer gewissen Dichte überlagern; das berühmteste unter ihnen, das weiße, enthält bekanntermaßen alle Frequenzen. Rauschen ist also keineswegs bloßes Störgeräusch, sondern zunächst einmal die überdichte Ballung von Informationen. Es überhaupt wahrzunehmen, ist eine ästhetische Leistung, die den Erfahrungshorizont des 20. Jahrhunderts voraussetzt.
Mit seiner Sublimation als ästhetische Qualität wird das Rauschen zu einem Teil der musikalischen Problemgeschichte. Rauschen kann Störgeräusch sein, ein akustischer Mangel. Es verleiht aber zum Beispiel auch einer vereinzelten Kopie des reproduzierbaren Kunstwerks eine Geschichte und damit die Aura eines Unikats. Rauschen erzählt die Geschichte technischen Scheiterns etwa im Falle früher elektronischer Musik, bei der das Bandrauschen die musikalische Fantasie in ihre Schranken wies. Rauschen – und das ist der vielleicht zentrale Punkt – stellt die Frage nach der Verbindlichkeit eines musikalischen Ereignisses. Zu den größten Verlusten der zeitgenössischen Musik gehört die Kategorie des Fehlers. Zum einen lassen technische Produktionsprozesse wie die Programmierung eines Computers einen Fehler kaum mehr zu. Wünscht man einen Fehler, eine Störung, dann muss man ihn mutwillig herbeiführen: Das Rauschen wird verbindlich. Zum anderen fehlt dem Hörer ein Referenz-System, das eine musikalische Äußerung als mehr oder weniger plausibel einordnen lässt. Unter der schleierhaften Fülle möglicher Kontexte, in der sich eine musikalische Aussage platzieren lässt, werden Ton und Rauschen gleichermaßen unverbindlich. Dieses Dilemma lösen helfen, könnte eine der undankbarsten und schönsten Aufgaben sein, die in dieser Woche auf „Rauschen“ lastet.
BJÖRN GOTTSTEIN
Vom 16. bis zum 22. Oktober. Roundtable-Gespräche jeweils um 19 Uhr, Konzerte um 21 Uhr. Podewil, Klosterstraße 68-70, 10179 Berlin-Mitte. www.podewil.de
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