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Geplanter Rahmenvertrag mit EUBern zieht den Stecker

Seit sieben Jahren verhandelt die Schweiz mit der EU über ein Rahmenabkommen. Nun haben die Eid­ge­nos­s:in­nen die Verhandlungen platzen lassen.

Der Schweizer Bundespräsident Guy Parmelin erklärte die Verhandlungen mit der EU für beendet Foto: Peter Schneider/dpa

Berlin taz | Die Schweiz hat einen seit über sieben Jahren angestrebten Rahmenvertrag mit der EU über die bilateralen Beziehungen am Mittwoch endgültig platzen lassen. Die Verhandlungen über einen bereits seit 2018 vorliegenden Vertragsentwurf scheiterten schließlich an Nachbesserungsforderungen, die der Bundesrat – die Regierung in Bern – zum Teil unter dem Druck von Volksentscheiden gegenüber Brüssel erhoben hatte.

„Der Bundesrat hat festgestellt, dass die Gespräche in drei Bereichen mit der EU nicht zu den nötigen Lösungen geführt haben. Deshalb hat der Bundesrat entschieden, die Verhandlungen zu beenden“, teilte Präsident Guy Parmelin am Mittwochnachmittag in Bern mit.

Bei den drei Streitfragen ging es um Regeln über Staatshilfen für Unternehmen, über Maßnahmen zum Schutz der hohen Schweizer Löhne sowie den Zugang von EU-Bürgern zu Schweizer Sozialkassen. Zudem war die Schweiz nicht bereit, sich in künftigen Streitfällen mit der EU ohne Einschränkung der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofes zu unterwerfen.

Die Schweiz hat in den vergangenen 50 Jahren einen Beitritt zur EU oder ihren Vorläuferorganisationen EG und EWG und auch zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in mehreren Volksentscheiden und Parlamentsbeschlüssen immer wieder abgelehnt. Stattdessen schlossen Bern und Brüssel zahlreiche bilaterale Verträge ab. Mit dem angestrebten Rahmenabkommen sollten diese bilateralen Verträge zusammengefasst und aktualisiert werden.

Unabhängig, jedoch verknüpft

Nach einem ersten Freihandelsabkommen im Jahr 1972 hatten Brüssel und Bern 1989 zunächst einen Vertrag zur Liberalisierung des gegenseitigen Marktzugangs von Versicherungsunternehmen vereinbart. 1999 folgten dann sieben bilaterale Abkommen unter anderem über die Personenfreizügigkeit, den Handel mit Agrarprodukten, den Land- und Luftverkehr sowie über wissenschaftlich- technische Zusammenarbeit.

Diese sieben bilateralen Verträge von 1999 sind zwar rechtlich voneinander unabhängig, sie sind jedoch durch eine damals von der EU durchgesetzte Verknüpfungs- oder „Guillotine“-Klausel miteinander verknüpft: im Falle einer Kündigung oder einer Nichtverlängerung würden nicht nur der betreffende Vertrag, sondern alle sieben Abkommen hinfällig.

Mit dieser Regelung wollte die EU ein „Rosinen picken“ durch die Schweiz verhindern. Diese Gefahr wurde aktuell, nachdem sich die Eid­ge­nos­s:in­nen bei einer Volksabstimmung im Februar 2014 mit der Annahme der von der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) eingebrachten „Initiative gegen Masseneinwanderung“ für Beschränkungen für Sai­son­ar­bei­te­r:in­nen oder Pend­le­r:in­nen aus den EU-Nachbarländern ausgesprochen hatten.

Seitdem stritten Bern und Brüssel aber auch die politischen Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in der Schweiz bis zuletzt vergeblich darüber, wie dieser Volksentscheid umgesetzt werden kann, ohne das Recht auf Freizügigkeit für EU-Bürger:innen auszuhebeln.

Lohnniveau gefährdet

Der Widerstand gegen die von der EU verlangte Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für die Klärung künftiger Streitfragen kam auch in erster Linie von der SVP. Sie stellt in der siebenköpfigen Koalitionsregierung zwei Minister sowie die größte Fraktion im Nationalrat, der ersten Parlamentskammer.

Befürchtungen, durch die mit dem Rahmenabkommen vorgesehenen Aktualisierungen der bisherigen bilateralen Verträge würde das hohe Lohnniveau in der Schweiz gefährdet, kamen in erster Linie von den Sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften.

Auch nach dem Scheitern der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen bleiben die bisherigen bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz bestehen. Aber die EU hat diese Woche gewarnt, mit welchen Folgen die Schweiz ohne den Abschluss des Rahmenabkommens rechnen müsse: Es werde keine weiteren Abkommen geben und ältere Abkommen würden möglicherweise nicht aktualisiert.

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4 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Befürchtungen, durch die mit dem Rahmenabkommen vorgesehenen Aktualisierungen der bisherigen bilateralen Verträge würde das hohe Lohnniveau in der Schweiz gefährdet, kamen in erster Linie von den Sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften.""

    ===

    Es existieren ca. 100 Verträge zwischen der EU und der Schweiz - und die Bestrebungen der EU sind einen Automatismus zu schaffen der jeweils unter Mitsprache der Schweizer Verträge an die neuen Bedingungen anpasst.(die Schweiz ist kein EU Mitglied, Angebot der EU ist aus diesem Grund doppelt fair)

    Das ist insofern wichtig als das es dringend einer Erklärung bedarf: Wenn es 3 Streitpunkte von 100 gibt, warum lassen dann die Schweizer ein gesamtes Rahmenabkommen platzen - und dann noch demokratisch nicht legitimiert ?

    Die einschneidenden Nachteile des Staates, der nun als Parasit nach britischem Vorbild des cherry pickings sich einer gemeinsamen Gestaltung Europas bockig verweigert:

    1..Schweiz ist von europäischen Stromlieferungen abhängig - das Abkommen wird nicht verlängert.

    2..Zulassungen von Pharmaprodukten



    in der Schweiz wurden bislang von der EU übernommen - Schweiz muß ab heute jedes Produkt einzeln beantragen.

    3..Liefervertrag für landwirtschaftliche Produkte läuft aus - demnächst bleibt die Schweiz auf diesen Exporten in die EU sitzen - Vertrag wird nicht verlängert.

    4.. Anstatt Europa konstruktiv zu gestalten - durch Mitsprache - setzt die Schweiz auf Verschleuderung der eigenen Energie - nämlich durch Aufblähung von Resoucenverbrauchender Bürokratie und durch Verstärkung der Zollgrenzen die niemandem Nutzen bringen.

    Können die Schweizer haben - kein Problem - seitenlange Zollerklärungen auszufüllen und Anträge zu stellen für zeitraubende Produktzulassungen



    weil man nicht in der Lage ist, gemeinsame europäische Regelungen zu treffen kann ja auch eine schöne -- wenn auch eine reichlich monotone Beschäftigung sein.

  • Die Schweiz ist in unzähligen Dingen eng mit den europäischen Nachbarn bzw. der EU verknüpft, ist eingebettet in ein friedliches, demokratisches, freiheitliches Europa.



    Daran werden kleinere Streitereien oder unterschiedliche Ansichten kaum etwas ändern.

    Es gab mehrere Gründe dafür die Verhandlungen platzen zu lassen. Einer ist der Lohnschutz: CH hat ein anderes Lohn- und Preisgefälle als andere Länder, alles ist teurer aber die Löhne sind höher. Das kann man nicht antasten ohne auf massiven Widerstand in der Bevölkerung zu stossen, es geht auch gar nicht das man mit manchen anderen Ländern in Konkurrenz steht wegen dem unterschiedlichen Niveau von Kosten.



    Nichts gegen andere Länder, aber die Schweizer, allen voran die Schweizer Gewerkschaften, haben kein Interesse an einem Billiglohn-Arbeitsmarkt mit einer Geiz-ist-Geil-Mentalität.

    Und die Schweiz ist ein basisdemokratisch-föderaler Bundesstaat der seine eigenen Interessen verfolgt. Und das schon sehr sehr lange. Und das ist auch gut so. Denn es ist genau umgekehrt wie sich die EU das vorstellt. Die EU kann von der Schweiz was demokratische Institutionen etc. angeht lernen und nicht die Schweiz von der EU. So einfach ist das. Deshalb hat die Schweiz den Stecker gezogen und die EU soll schauen wo sie bleibt.

    • 7G
      7363 (Profil gelöscht)
      @Der Cleo Patra:

      ja :D ich glaub die EU braucht sich dembezüglich keine sorgen zu machen. auch wenn sie viel zu tun hat was demokratie angeht. aber die Schweiz braucht europa mehr als umgekehrt. Wir werden sehen, wo sie bleibt :)