Geothermie: "Vor der Hacke ist es duster"

Warme Wohnungen ohne CO2-Ausstoß - das ist keine Utopie, sondern mittels Erdwärme möglich. Doch das positive Bild der Geothermie hat Flecken bekommen.

Wasserblase angebohrt: Nur mit Mühe konnte die Wasserfontäne auf dem Parkplatz des Wiesbadener Finanzministeriums gestoppt werden. Bild: ap

BOCHUM taz | Es geht ein Riss durch die Geothermie. Dieser Satz, den der Beamer an die Wand des Tagungsraums im Bochumer RuhrCongress-Center strahlt, sagt viel über die Stimmung in der Branche. Auf der einen Seite merkt man den Forschern an, dass sie nach dem Gold der Stunde graben: eine unerschöpfliche Menge an Energie, die der Welt kein Kohlendioxid hinterlässt und im Gegensatz zu Wind und Solar nicht vom Wetter abhängt. Geothermiker bohren teils kilometertief in den Boden, um die Erdwärme in Form von heißem Wasser an die Oberfläche zu holen.

Doch irgendwo zwischen den Goldgräbern hängen auf dem Geothermiekongress in Bochum Namen in der Luft: Staufen, Landau, Wiesbaden.

Diese Städte sind zu Synonymen für das Debakel der Erdwärme geworden. In Landau, in der Pfalz, soll der Betrieb eines Geothermie-Kraftwerks zu einem Erdbeben von der Stärke 2,7 geführt haben. Landau beherbergt eines von vier deutschen Erdwärmekraftwerken, doch viele weitere - auch kleinere Anlagen - sind in Planung. Der Anteil der Erdwärme am Gesamtenergieverbrauch in Deutschland ist noch verschwindend gering - im vergangenen Jahr lag er laut dem Bundesumweltministerium noch weit von 1 Prozent entfernt.

Aufquellender Boden

Auch die Stadt Staufen, im Breisgau, wollte mit Erdwärme heizen, doch der Bohrer der Geothermiker ist auf Anhydrit gestoßen, ein Mineral, dass sich durch den Kontakt mit Wasser um bis zu 50 Prozent ausdehnt. Und auch das Grundwasser war an dieser Stelle nicht zu knapp. Der Boden bewegte sich durch den quellenden Anhydrit gen Himmel und stößt nun an manchen Stellen stärker nach oben als an anderen. Der Erdrutsch in umgekehrter Form brachte die Häuser zum Wanken. Bisher sind offiziell über 200 Gebäude beschädigt.

Viele Häuser haben Risse, und es kann noch schlimmer werden. sagt Professor Ingo Sass vom Institut für angewandte Geowissenschaften der Technischen Universität Darmstadt: "Das Ende ist nicht vorauszusagen."

Der Boden könne sich weiter verschieben, und zwar in beide Richtungen: Früher oder später werde das Gestein absinken, wahrscheinlich erdrutschartig. Sass rechnet mit Kosten von bis zu 250 Millionen Euro, um Staufens Probleme geradezubiegen und die erzürnten Hausbesitzer zu entschädigen.

Und dieser Schaden hat für den Darmstädter Wissenschaftler auch Gründe: "Zunächst einmal wurde bei der Bohrung das unter Druck stehende Grundwasser erst zwei Tage zu spät an das zuständige Amt gemeldet. Und danach wurde weiter gebohrt." Laut Sass hätte klar sein müssen, dass der Bohrer dort auf Anhydrit treffen würde. "Das ist bemerkenswert, dass auch die Aufsichtsbehörde nichts gemerkt hat", erklärt Sass. Wer die eigentliche Schuld trage, sei aber noch nicht zu klären.

Klar aber ist: Auch die bebende Erde in Landau hat der Geothermie zu schaffen gemacht.

"Dort ist während des Betriebs eines Tiefengeothermiekraftwerks das Erdbeben entstanden", sagt Sass. Rein physikalisch sei das ein Erdbeben gewesen, vom Energiegehalt her jedoch nichts anderes, als wenn ein 40-Tonner vor einem Haus herfährt und es zum Wackeln bringt.

Konsequenzen gefordert

Aber gerade dieses Wackeln hat die Menschen verunsichert. Immer wieder kam danach die Frage auf, ob solche Kraftwerke auch zu weitaus stärkeren Erdstößen führen könnten.

"Wirklich schwere Erdbeben entstehen in viel tieferen Erdschichten", sagt Sass. Er halte schwere Beben nicht für möglich. Geothermie sei keine Gefahr für Leib und Leben. Doch eine Prognose solcher Beben sei auch sehr schwierig.

Der quellende Boden in Staufen hingegen sei ein Zeichen, so Sass. "Das muss Konsequenzen für die Qualität in der Branche haben." Diese Konsequenzen will auch Professor Rolf Bracke vom Bochumer Geothermiezentrum. "Wir müssen mehr aus- und weiterbilden, damit Dinge wie in Staufen nicht mehr passieren", erklärt Bracke.

Die Öffentlichkeit mag bezüglich der Erdwärmebohrungen verunsichert sein, die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ist es nicht. Für das neue Forschungszentrum "NRW Geo-Technikum" haben Bracke und Kollegen gerade 11 Millionen Euro vom Land bekommen. Am "Geo-Technikum" arbeiten die Erdwärme-Anhänger an einem Ausbildungsprogramm vom Geräteführer bis zum Ingenieur.

Schwarze Schafe

Doch die Geothermie hat nicht nur mit Missgeschicken wie in Staufen und Landau zu kämpfen. Wenn ein Planer bohren lässt, ist bis zur letzten Minute nicht sicher, ob die Temperaturen in der Erde dort hoch genug sind. "Bei einer Solaranlage sind für Investoren die Risiken direkt abzuschätzen. Bei der Geothermie ist das anders, da hat man den Nachweis erst nach der Bohrung. Wie man bei uns im Ruhrgebiet sagt: Vor der Hacke ist es duster", sagt Bracke. Und verunglückte Bohrungen erhöhen nicht gerade die Bereitschaft, in Erdwärme zu investieren.

Risiken gebe es zwar, wenn in den Untergrund eingegriffen werde, sagt der Geothermiker Bracke. Doch Fälle wie Staufen und Landau sieht er als schwarze Schafe in der Masse.

Seit gut zwei Jahren verkaufen sich Erdwärmepumpen nämlich besser als je zuvor. "Von 100.000 bis 150.000 Bohrungen seit 2007 sind vielleicht drei schiefgegangen. Das dürfen wir nicht vernachlässigen. Aber deshalb plädieren wir für mehr Ausbildung."

Rolf Bracke will die Risse im Ansehen der Geothermie kitten: "In Deutschland ist die Geothermie bisher nicht richtig ausgebaut. Wir haben aber die Technologie. Was wir brauchen, ist eine öffentliche Diskussion darüber, was wir für eine Energieversorgung wollen und welche Art von Risiken wir in Kauf nehmen können. Wenn wir keine atomaren Endlager möchten und auch keine herkömmlichen Kraftwerke vorhalten wollen, wenn Wind und Solar gerade nicht genug liefern, dann bleibt uns nichts anderes übrig. Das haben mittlerweile auch die großen Stromkonzerne erkannt. Jetzt ist die Zeit für die Geothermie."

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