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Georgien-Krise weitet sich ausEU befürchtet Eskalation

Frankreich hält es für möglich, dass Russland sein Machtstreben auf andere Ziele, wie etwa die Ukraine, ausweitet.

Nicolas Sarkozy hat als EU-Ratspräsident einen EU-Sondergipfel zum Kauskasus einberufen. Nicht allen ist klar, was dabei herauskommen soll. Bild: ap

Die politischen Beobachter in Brüssel beschäftigt derzeit vor allem eine Frage: Was erhofft sich die französische Ratspräsidentschaft von einem Sondergipfel zum Kaukasuskonflikt? Das Treffen der EU-Außenminister Mitte August hatte der Welt vor Augen geführt, wie uneins die Union in ihrer Haltung zu Russland ist. Vieles spricht dafür, dass die Regierungschefs bei ihrem Treffen kommenden Montag ein ähnlich diffuses Bild europäischer Außenpolitik vermitteln werden.

Seit Mitte August hat Russland allerdings dafür gesorgt, dass seine Fürsprecher in der EU zurückhaltender geworden sind. Zwei Punkte der von EU-Ratspräsident Sarkozy vermittelten Vereinbarung zwischen Russland und Georgien sind bis heute nicht erfüllt: Russland hat sich nicht auf die Vorkriegsgrenzen zurückgezogen, und eine internationale Friedenstruppe, die das russische Kontingent ersetzen soll, ist nicht vor Ort.

Wie ein Fachmann der EU-Kommission gestern lapidar erklärte, können von der EU beauftragte Hilfsorganisationen bislang weder in Südossetien noch in Abchasien operieren. Russland verlange, dass sämtliche Zuwendungen über russische Organisationen verteilt würden. Dazu sei die EU aber nicht bereit. In Georgien hat die EU bislang 6 Millionen Euro an Soforthilfe verteilen lassen, die Mitgliedsstaaten haben weitere 8,4 Millionen Euro aufgewandt. Tschechien will eine Geberkonferenz für Georgien organisieren.

Am meisten hat Russlands Präsident Dmitri Medwedjew die EU mit der Erklärung aufgeschreckt, Russland werde die Rechte russischstämmiger Bürger auch außerhalb des eigenen Staatsgebiets verteidigen. In den drei baltischen EU-Mitgliedsstaaten Litauen, Lettland und Estland leben große russische Minderheiten. Über ihre Rechte und Pflichten als Bürger der jungen, von Moskau unabhängigen baltischen Republiken gibt es ständig Streit.

Letzte Woche reiste EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering nach Lettland, diese Woche war Bundeskanzlerin Angela Merkel in Estland unterwegs. Beide erinnerten an den Artikel 5 des Nato-Vertrags, der die Bündnispartner zum militärischen Beistand verpflichtet, wenn ein Mitgliedsland der Nato angegriffen wird. An Russland sendeten beide die deutliche Botschaft, dass die baltischen Länder auf ihre europäischen Bündnispartner zählen können.

In einem Radiointerview hatte Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner gestern davor gewarnt, Russland könne nach Südossetien und Abchasien "andere Ziele" haben, zum Beispiel die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim oder Moldawien.

Während der Nato-Vertrag klar umrissene Reaktionen auf eindeutig definierte Konfliktfälle vorsieht, ist im europäischen Rahmen alles viel komplizierter. Europa ist auf Russland als Handelspartner, vor allem aber als Öl- und Gaslieferanten angewiesen. Die Drohung einiger Mitgliedsstaaten, die erst im Juni wiederaufgenommenen Verhandlungen für ein Partnerschaftsabkommen mit Russland erneut auszusetzen, kommt deshalb recht halbherzig daher. Denn vor allem an einer Energiepartnerschaft, also Vorkaufsrechten für die russischen Öl- und Gasvorräte, ist die EU viel stärker interessiert als Russland.

Auch der Vorschlag einiger EU-Regierungen, Russlands Beitrittsverhandlungen zur Welthandelsorganisation auszubremsen, steht auf tönernen Füßen. "An Russlands WTO-Beitritt sind doch vor allem europäische Geschäftsleute interessiert, die sich davon bessere Rahmenbedingungen für den Handel mit Russland versprechen", sagte ein Fachmann aus der EU-Kommission gestern hinter vorgehaltener Hand. "Russland selbst kann sehr gut ohne WTO-Mitgliedschaft auskommen."

Die Ankündigung des französischen Außenministers, sich auf dem Sondergipfel am Montag auf "Druckmittel" gegenüber Russland zu einigen, klingt vor diesem Hintergrund etwas hohl. Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering plädiert für eine "Doppelstrategie". Die EU solle "in klarer Sprache das russische Vorgehen verurteilen und doch mit der anderen Seite im Gespräch bleiben".

Pöttering hofft, dass die Kaukasuskrise Länder wie Polen oder Irland davon überzeugt, dass die EU den Lissabon-Vertrag braucht. Dieser verlangt, dass die anderen EU-Staaten beispringen müssen, wenn ein Land von der Energieversorgung abgeschnitten wird. Gerade Polen, das von russischen Gaskürzungen betroffen war, müsste einen derartigen Beistandspakt begrüßen.

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10 Kommentare

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  • G
    Gabi

    Ehrlich, es interessiert mich nicht, was Churchill dachte oder vielleicht denken mag, falls er noch von irgendwo gucken kann.

    Die Zeit läuft weiter, wir alle verändern uns. Natürlich können wir uns mit der Vergangenheit aufhalten, wenn es unseren Zielen und Intentionen passt.

    Sagt den Menschen dann aber bitte Bescheid, wenn es wieder um die Zukunft gehen soll!!!!

    Hoffentlich setzen die Menschen sich durch, die Sorgen um ihre Familien haben.

    Nee, es kotzt mich an, dieses perfide Gebilde, das wir Demokratie nennen. Demokratie ist in Ordnung, allerdings scheint sich die Umsetzung noch zu sehr auf die alten Staatsphilosophen zu berufen. Die sog. Elite hat das Sagen und den Willen des Volkes zu entscheiden. Wer dagegen ist, der kann gehen oder wird ausgesondert. Hier wie da.

  • A
    Anton

    Eine Erwiderung zur obigen Einleitung: Ich halte es für 'möglich', dass die USA ihr Machtstreben über Irak, Afghanistan, Zentral- und Ostafrika, Lateinamerika, Südostasien, Zentralasien, die Ukraine und den Kaukasus hinaus, wie etwa Iran, Nordkorea, Rußland, ausweiten.Ich halte es ferner für möglich, dass unsere Bundeskanzlerin bei einem weiteren Angriffskrieg der USA -nein, nicht etwa protestiert,sondern-schweigt. Welch Heuchelei des ach so demokratischen Westens.

  • L
    L.A.WOMAN

    Diese ganze Lage wird inzwischen gern mit den Sowj. Raketen seinerzeit auf Kuba verglichen.

    In Wahrheit sollte man sie vergleichen mit russ. Raketen in Mexiko (politisch kaum möglich) aber von der Brisanz her.

    In der Panorama-Sendung am 28.08. wurde im Zusammenschnitt die Vielzahl der Zusagen von Merkel an Georgien demonstriert. Das ist schlimmer als der Kalte Krieg, was ist denn bloß das Motiv für diese Verantwortungslosigkeit gegenüber den Interessen des eigenen Volkes??

    Diese Haltung wurde von der Hofierung Saakaschwilis durch ZDF Illner gestern nahtlos ergänzt.

    Was der Teilnehmer aus Russland -außer Alibifunktion für Illner zu sein - dort sollte, ist nicht nachzuvollziehen, denn er hatte trotz guten Willens, kaum Rederecht.

    Im Ganzen betreiben die Medien (taz teilweise auch; Herr Donath) eine gut abgestimmte Propaganda zugunsten Georgiens, die immer mehr Parallelen zur Manipulation in diktatorisch geführte Staaten aufweist.

    Im Gegensatz dazu war sogar Obama bei seiner Rede gestern äußerst vorsichtig im Hinblick auf Georgien, anders als McCain, der schon mit allen Säbeln rasselt.

    Aber vor allem diese unzähligen Zusagen von Merkel an Georgien machen mir richtig Angst.

  • L
    Lauenburger

    Was meinte einst Winston Churchill über die Deutschen? "Man hat sie entweder an der Gurgel oder an den Stiefeln." Für viele Deutsche scheint jetzt wieder Stiefel-Zeit zu sein.

     

    Ich halte es lieber mit John le Carré, der eine seiner Figuren sagen lässt:

     

    "Das Reich des Bösen ist in die Knie gezwungen, o ja! Seine Wirtschaft ist katastrophal, seine Ideologie ist bankrott, und sein Hinterhof explodiert ihm ins Gesicht. Aber erzählen Sie mir bloß nicht, das wäre ein Grund für uns, die Gewehre runterzunehmen; denn ich glaube Ihnen kein Wort. Es ist Grund, die Russen fünfundzwanzig Stunden am Tag auf Teufel komm raus auszuspionieren und ihnen jedesmal, wenn sie vom Boden hochkommen wollen, eins in die Eier zu treten. Gott weiß, wofür die sich nicht in zehn Jahren halten werden!"

     

    Das war vor etwa 20 Jahren. Statt diesem weisen Rat zu folgen, hat man alles getan, um Deutschland und Europa zu "schröderisieren". Vielleicht haben wir jetzt gerade noch Zeit, die Kurve zu kriegen. Aber das setzt voraus, dass wir uns der Wahrheit stellen; und es verlangt Mut und nicht die Feigheit, die man jetzt vielerorts beobachten kann.

  • G
    Gabi

    Mir macht es angst, dass die USA im Kaukasus herumtingelt und dort Waffen hinschafft. Immer schön um den Iran herum. Etwas abwärts gelegen haben wir dann noch das Kosovo. Hoffentlich haben die Georgier nicht bald das böse Erwachen. Ihr Präsident wird dann wohl "Auf und Davon" heißen und seine Konten in den USA leeren und verleben.

    Ja, Vorurteile kann man lange schüren und dann zum Schlag ausholen, am besten gerade in der Zeit, in der man im Fernsehen an den Jahrestag des "Prager Frühlings" erinnert. So wie Frau Rice es bei einer Rede tat und von 1968 sprach. Ich bin in Westdeutschland geboren, ich kenne die Geschichte aus den Büchern. Ich habe keine Angst vor Russland, im Gegenteil. Sie haben eine Entwicklung hinter sich, so wie wir. Und wahrscheinlich keinen Bock auf Polen oder irgendwen. Wäre denen momentan zu teuer.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Wenn sich die Ukraine, wie angekündigt, nicht an die mit Russland abgeschlossenen Verträge hält, wartet dort tatsächlich der nächste europäische Konflikt. Die russische Bevölkerung der Krim wird es genauso wenig hinnehmen wie Russland selbst, dass die Verteidigungsfähigkeit Rußlands auf diese Weise beeinträchtigt wird, zumal Rußland einer realen Kriegsgefahr ins Auge blickt. Der Konflikt dürfte die Ukraine aber auch im Inneren erschüttern. Eines stimmt an ihrer Meldung allerdings nicht: Das die Nato- Euro Länder besorgt seien. Sie haben den Konflikt erarbeitet. Marx sagt: Konjunktur- Kriese- Krieg. Ein altes Programm leiert sich da wieder ab.

  • G
    Galler

    Mir macht es Angst wie einseitig zu gunsten Georgiens, der Mainstream in den USA und EU ist. Es wird hier überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen wer diesen Krieg ausgelöst hat.

    Vor allen wir Deutschen sollten sich hier stark zurückhalten.

  • D
    Dualraum

    @Von Aldo

    "...womit die fast hundertjährige Friedenszeit des Wiener Kongresses zu Ende ging."

     

    Von welcher "Friedenszeit" reden Sie? Um nur ein Paar Kriege zwischen 1815 und 1914 zu erwähnen:

    Krimkrieg, Deutsch-Französischer Krieg, Spanisch-Amerikanischer Krieg, Krieg zwichen China und Japan, Russisch-Japanischer Krieg,...

    Dass die Geschichte sich wiederholt, stimme ich Ihnen zu, denn die Liste der Kriege lässt sich beliebig lang fort führen.

  • A
    Aldo

    ch bin mir nicht so sicher, ob Geschichte sich nicht wiederholen kann. Betrachtet man den Kaukasus _ Konflikt von einem längeren Zeitraum aus, so zeigen sich bedrohliche Parallelen mit der Situation kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ein inszenierter Überfall durch den georgischen Präsidenten Saakaschwilivon Südossetien mit stillschweigendem Einverständnis des Westens ist vergleichbar mi dem Attentat Gavrilo Princips , dem Mörder des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand 1914 in Sarajewo, womit die fast hundertjährige Friedenszeit des Wiener Kongresses zu Ende ging. Mit dem Überfall Südossetiens durch Georgien scheint auch die Geschäftsgrundlage der Schlussakte von Helsinski zu Ende gegangen sei, die Mitte der 70 Jahre des 20 Jahrhunderts eine Interessenbalance zwischen der Sowjetunion , ihren Satellitenstaaten und dem Westen vermittlen konnte.

    Es scheint , alb ob der herrschende Zeitgeist, nämlich Profitmaximierung auf ökonomischer Seite und Oberflächligkeit in Bezug auf das Erkennen langfristiger geschichtlicher Pozesse ,die poltischen Eliten des Westens zu sehen hindert, wie gefährlich diese Eskalation mit der wiedererstarkten Großmacht Russland geworden ist.Man kann nur hoffen, dass die Möglichkeit einerdie Menscheit auslöschenden nuklaren Konfrontation des Westens

    mit Russland erst genommen wird,

  • V
    vic

    EU "befürchtet", Frankreich "hält für möglich".

    Ich befürchte und halte für möglich, dass einige im Westen, darunter Deutschland, nicht wissen was sie hier langfristig anrichten.

    Ich sage: Raus aus der NATO, diesem Aggresionsbündnis. Ich möchte nicht militärisch verteigt werden, und möchte niemals irgendwen militärisch verteidigen müssen.