Georg Kreisler zum 100. Geburtstag: Die Kunst hat ihn gerettet
Georg Kreisler war Komponist, Dichter, Sänger, Wiener, Amerikaner, Jude. Aber Schubladen mochte er nie. Am 18. Juli wäre er 100 Jahre alt geworden.
Er war leise. Laut zu sein war nicht seine Art. Wäre er nicht der Sturkopf gewesen, der er war, hätte er als Künstler nicht überlebt. Man steckte ihn in die Schublade des Kabarettisten, da wollte er aber nicht rein. Und auch sein Oeuvre spricht dagegen. Denn Georg Kreisler war mehr. Er war Komponist, Dichter, Sänger, Wiener, US-Amerikaner, Jude. Aber was sollen diese Kategorisierungen, wenn man ein Unverstandener ist?
Wer ihn nur von seinen bekanntesten Liedern wie „Tauben vergiften im Park“, dem „Opernboogie“ oder dem „Musikkritiker“ kennt, der hat kein realistisches Bild von diesem Mann, der ein Melancholiker war, der seine Empfindsamkeit auf wunderbar böswillige Weise in bizarre Poesie verwandeln konnte.
Verglichen mit Gefühlen sind für Kreisler alle Wörter klein. Gefühle finden in der Kunst die Luft zum Atmen. Wenn er schrieb, kannten seine Worte ihr Ziel nicht. Doch was übrig blieb, war meistens ein unzulängliches Bild der, wie Kreisler es nennt, „absurden Gegenwart“.
Im Lied „Wo sind die Zeiten dahin“ vermisst er auf melancholische Art und Weise, zu Mozarts fröhlicher Sonate C-Dur 545, unter anderem die Zeit „als man im letzten Kriegsjahr Widerständler werden konnte“. Er war ein sensibler Beobachter und sah zu, wie alte Nazis wieder Richter wurden oder in der Verwaltung arbeiteten. Diese Form der Ironie des Lebens und des Schicksals war es, die ihm immer wieder ins Auge fiel. Die Gewalt im Kleinen, die er überall gesehen hat, war gleichzeitig eine Triebfeder seiner Kreativität.
Die Nazis beendeten Kreislers Kindheit
Im Alter von 16 Jahren nahm Kreislers Kindheit ein jähes Ende und er sein Leben selbst in die Hand. Nur kurze Zeit nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland verließen Georg Kreisler und seine Familie am 21. Oktober 1938 Deutschland. Ihr Ziel war Hollywood, ganz wie der Drehbuchregisseur Billy Wilder einmal gesagt haben soll: „Die Optimisten endeten in Auschwitz, die Pessimisten in Beverly Hills.“
Eigentlich war Georg Kreisler sein ganzes Leben lang auf der Flucht. Aus Hollywood flüchtete er nach New York, aus New York zurück nach Wien, aus Wien flüchtete er nach München, von dort aus nach Berlin und wieder nach Salzburg, in die Schweiz und wieder zurück. Die einzige Flucht, die ihm geglückt war, war die Flucht in die Kunst. War die Kunst seine Heimat?
Die Kreislers jedenfalls kamen bei ihrer Flucht 1938 von der Hölle ins Paradies. „Wir wurden nicht mehr gelebt, sondern lebten, waren Menschen geworden statt Soldaten, hatten Hitler-Deutschland, Hitler-Judenhass, Hitler-Disziplin, Hitler-Wien, Hitler-Angst endlich hinter uns gelassen, hatten uns gehäutet, waren frei wie die Vögel am ersten Frühlingstag. So viel Freiheit war nicht leicht zu verstehen.“ In Hollywood nahm Georg Kreisler Musikunterricht, lernte dirigieren und unterrichtete. Aus dieser Zeit gibt es ein Empfehlungsschreiben von Arnold Schönberg, dem Musikrevolutionär und Erfinder der Zwölftonmusik, der von Kreislers Talent, obwohl dieser nicht übte, überzeugt war.
Kreisler bekam erste Einblicke in das Showbusiness, arbeitete für Friedrich Hollaender, dessen Tochter er 1941, mit 19 Jahren, heiratete und mit der er einen Sohn bekam. (Diese Ehe endete in einem Desaster, wie auch seine zweite und seine dritte.) Bald verdiente er mehr, als seine Familie zum Überleben brauchte. Er dirigierte gerade einen Auftritt, als plötzlich alle Lichter angingen im Konzertsaal. Die Japaner hatten Pearl Harbor angegriffen. Das Publikum sprang auf. Kreisler hob den Taktstock und dirigierte die amerikanische Nationalhymne. Alle sangen begeistert mit. Eigentlich konnte Kreisler mit Patriotismus nichts anfangen. 1943 wurde er US-Amerikaner, kurze Zeit später wurde er von der Army eingezogen.
Für die war er nach Kriegsende an Verhören beteiligt und kam so in Kontakt mit Spitzennazis wie Göring, Streicher oder Kaltenbrunner. Julius Streicher hatte man den Gürtel weggenommen, damit er sich nicht umbrachte, erinnerte sich Kreisler, dürr hielt Streicher seine Hose fest, damit sie ihm nicht runterrutschte. Hermann Göring glaubte, er könne mit den Amerikanern noch Geschäfte machen und gemeinsam mit ihnen gegen die Russen kämpfen. Kreislers Kameraden verprügelten diese alten Verbrecher, bedrohten sie, ließen sie hungern oder nahmen ihnen die Betten weg. Georg Kreisler befiel beim Anblick dieser jämmerlichen Gestalten ein Ekel.
Man könnte seine Lebensgeschichte peu à peu erzählen, Schritt für Schritt, bis dass er am 22. November 2011, 89-jährig, seinen Frieden fand. Man könnte die Geschichte erzählen, wie er in der Monkey Bar in New York das Handwerk des Entertainers erlernte, wie er für Charlie Chaplins Film „Monsieur Verdoux“ die Musik einspielte, von seinen kleinen Erfolgen und seinen Niederschlägen, langwierigen Gerichtsprozessen, als seine Partner ihn um sein Werk betrügen wollten, von seinen im Chaos geendeten Ehen, bis er 1977 schließlich seine vierte Frau, die Sängerin und Schauspielerin Barbara Peters, kennenlernte, mit der er bis zu seinem Lebensende glücklich war, im Privaten und auch auf der Bühne.
Doch ein Mensch ist nicht nur die Summe seiner Erlebnisse und Taten, ein Mensch ist vor allem auch die Art und Weise seiner Gedanken. Die drücken sich bei Kreisler am besten in seinen Texten, in seinen Kompositionen, seinen Schöpfungen aus.
Übers Tauben vergiften im Park
Um sein bekanntestes Werk zu nehmen, „Tauben vergiften im Park“, das er singt, anstatt zu sprechen, macht einen großen Teil des Erfolgs aus. Würden die Worte gesprochen, könnten sie befremden. „Aber singen darf man sie, zu einer lustigen Melodie. Gesungene Sprache ist besser verdaulich, ich habe es mir leicht gemacht“, schreibt er in seiner Autobiografie „Letzte Lieder“. Er habe in dem Lied das Töten von harmlosen Tieren zu einer heiteren Walzermelodie als nicht nur nützlichen, sondern auch vergnüglichen Zeitvertreib beschrieben. „Man könnte es fast als eine Verniedlichung von Auschwitz betrachten, wo das Töten von Menschen auch als nützlich und vergnüglich begriffen wurde“, schreibt Kreisler. Es befremdete trotzdem. In österreichischen Rundfunk wurde das Lied eine Zeit lang nicht gespielt.
Was bedeutet die Wirklichkeit für jemanden, der als Träumer auf die Welt gekommen ist? Die Struktur von Kreislers Gedanken erinnert an Robert Musil, der schrieb: „Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, dann muss es auch einen Möglichkeitssinn geben.“ Doch anders als Musil begegnet Kreisler der Welt nicht abgeklärt, sondern sie betrübt ihn. Sein Lied „Noch einmal von vorn“ ist nur eins der vielen Zeugnisse davon: „Die heilige Kuh, die darf bei uns nicht fliegen, die muss mit allen Beinen fest im Grase steh’n. Denn was nur fliegt, hat kein Gewicht, egal ob’s schön ist oder nicht, man muss Punkt sieben Uhr zur Arbeit geh’n.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Natürlich kann eine Kuh nicht fliegen. Aber das Träumen davon hat Georg Kreisler gerettet, vor den Nazis, vor dem Showbusiness und vor dem System, in das er sich reingepresst fühlte; in das er nicht reinpasste.
Mit Gottes Hilfe
Woher er seine Einfälle hatte, wusste Kreisler selbst nicht. Für ihn waren seine Lieder eine Zusammenarbeit zwischen ihm und dem lieben Gott. „Ein großer Teil meines Vergnügens besteht darin, dass ich zunächst nur aufschreibe, was mir Gott ins Ohr flüstert“, überliefern seine Biografen Hans-Jürgen Fink und Michael Seufert. Deren Biografie „Georg Kreisler gibt es gar nicht“ von 2007 ist ein großartiges Dokument, das zum Verständnis Kreislers beiträgt, weil er selbst an der Biografie mitgewirkt hat und den Journalisten in vielen Interviews seine Lebensgeschichte erzählte.
Im Laufe seines Lebens schrieb Georg Kreisler etwa fünfzehn Theaterstücke, zwei komische Opern, drei Romane sowie fünf bis zehn andere Bücher, einige hundert Lieder, Sketche, Monologe, Artikel, Gedichte – was halt so anfällt. Er inszenierte, dirigierte, arrangierte, übersetzte, sang, schauspielerte, spielte Klavier in Spelunken, Opernhäusern, in Nachtlokalen, auf Riesenbühnen, Kabarettbühnen, Nachttheatern, Privatpartys, in Konzertsälen oder Wirtshäusern.
„Nicht nur meine Satiren, sondern fast alles, was ich schreibe, hat mit Humanität zu tun, im Gegensatz zur fortschreitenden Abschaffung der Humanität durch Politik und die Gesetze des Marktes. Zur Humanität gehören Toleranz, die Rücksichtnahme und vor allem die Liebe, mit der Menschen miteinander umgehen.“ Am 18. Juli wäre er 100 Jahre alt geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen