Genozid an Herero und Nama: Wenigstens einer entschuldigt sich
Der Justizsenator Berlins empfängt Herero- und Nama-Aktivist*innen. Am Mittwoch werden erneut Gebeine an Nachfahren übergeben.
„Ich kann und will um eine Entschuldigung bitten.“ Es sind klare und demütige Worte, die der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) während der Pressekonferenz am Montag im Anschluss an einen offiziellen Empfang an Vertreter der Herero und Nama richtet. Gleichzeitig fordert Behrendt die Bundesregierung zum Handeln auf: „Es ist an der Stunde, das Verbrechen als solches anzuerkennen und dafür Verantwortung zu übernehmen.“
Anwesend waren von namibischer Seite unter anderem Ida Hoffmann, Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des Nama Genocide Technical Committee in Namibia, und Esther Utjiua Muinjangue, Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation in Namibia.
Hintergrund der Einladung Behrendts ist die am Mittwoch in der Friedrichstadtkirche im Rahmen eines Gottesdienstes stattfindende Übergabe menschlicher Gebeine von Herero und Nama, die während des 1904 bis 1908 stattfindenden Völkermords durch die deutsche Kolonialmacht nach Deutschland gebracht worden sind.
Die Zeremonie steht schon im Vorfeld unter heftiger Kritik: Wichtige Vertreter von Opferverbänden, prominente Herero- und Nama-Aktivist*innen und traditionelle Autoritäten wurden von der namibischen Regierung von der Teilnahme ausgeladen, wohl aus Angst davor, dass kritische Stimmen die Veranstaltung stören könnten. Allerdings ohne Erfolg: Die Ausgeladenen, zu denen auch das höchste traditionelle Oberhaupt der Herero, Paramount Chief Vakuii Rukoro, gehört, reisten auf eigene Faust an.
Warten auf den Kniefall
Auch die Bundesregierung zeigte sich nervös und untersagte dem zivilgesellschaftlichen Bündnis „Völkermord verjährt nicht!“, an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Stattdessen wird das Bündnis am Mittwoch eine Mahnwache vor der Kirche abgehalten.
Der offizielle Empfang des Justizsenators galt daher vor allem der deutschen und namibischen Zivilgesellschaft, die beim Staatsakt am Mittwoch außen vor gelassen werden soll. Schon lange kämpfen sie dafür, dass Deutschland sich der Verantwortung seines kolonialen Erbes stellen soll.
Eine offizielle Entschuldigung der Bundesregierung und des Bundestages für den Völkermord, der als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts gilt, sehen sie als Minimum: „Angela Merkel und der Bundestag sollen sich entschuldigen“, fordert Esther Muinjangue, Vorsitzende der Ovaherero Genocide Foundation in Namibia, „die Haltung der deutschen Kanzler in den letzten Jahrzehnten schockiert mich.“
Sie fordert eine ähnliche Geste wie Willy Brandts Kniefall vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos im Jahr 1970.
Fehlendes Feingefühl
Die Übergabe der Gebeine am Mittwoch seien eine ideale Gelegenheit für Merkel, dieses Versäumnis nachzuholen, sagt Muinjangue. Doch dass es tatsächlich zu einer offiziellen Entschuldigung kommt, ist unwahrscheinlich. Als Vertretung der Bundesregierung ist für Mittwoch lediglich die Staatsministerin für internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering, angekündigt. Minister, den Bundespräsidenten oder gar die Kanzlerin sucht man auf der Einladung vergebens.
Schon bei ersten Rückgabe geraubter Herero- und Nama-Gebeine im Jahr 2011 hatte die Bundesregierung einen eklatanten Mangel an Feingefühl gezeigt. Damals wurden die Gebeine in der Charité in weißen Pappkartons übergeben, ohne Festakt und politische Würdenträger.
Die namibische Delegation war so empört, dass sie Staatssekretärin Anke Pieper (FDP) von der Bühne pfiff. Die Rückgabe von Gebeinen ist mehr als nur eine symbolische Geste, sie ist eine der zentralen Forderungen der Opferverbände. In der Kultur der Herero und Nama ist die würdevolle Bestattung der Ahnen von zentraler Bedeutung, die Tatsache, dass immer noch Überreste ihrer Vorfahren in anthropologischen Sammlungen und Museumskellern liegen, ist nicht nur für Muinjangue ein Affront: „Der Gedanke ist sehr emotional und schmerzhaft für mich.“
Immerhin findet der Festakt am Mittwoch würdevoll in einem Gotteshaus statt. Doch Muinjangue sieht die Beteiligung der Kirche kritisch: „Es ist nur eine weitere Taktik der Bundesregierung, die Verantwortung von sich zu schieben.“
Wie schwierig der Umgang der Bundesregierung mit der Aufarbeitung des Genozids ist, zeigt, dass sie erst seit 2015 offiziell von einem „Völkermord“ spricht und bisher alles tat, um Reparationen und Schadensansprüche zu vermeiden.
Mittlerweile steht man in schleppend vorangehenden Verhandlungen mit der namibischen Regierung, die wieder ohne die Beteiligung wichtigster Herero- und Nama-Opferverbände erfolgt. Die Verhandlungen seien deshalb von vornherein wertlos, sagt der Historiker Christian Kopp vom Bündnis „Völkermord verjährt nicht“.
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