Genossen machen die taz: Die Brutzeit des Rotors
Obwohl im hessischen Hünfelden seit 1997 die Windenergie ausgebaut werden könnte, steht immer noch kein einziges Windrad. Demokratie braucht eben Zeit.
HÜNFELDEN taz | Zurzeit hängt alles am Schwarzstorch. 57 Brutpaare gibt es in Hessen, und eins davon nistet seit dem letzten Jahr im Kirberger Wald. Ausgerechnet hier, wo die Gemeinde Hünfelden Windräder aufstellen lassen will. Jetzt kommt es darauf an, wo genau der Bruthorst ist und wohin die – in den europäischen Artenschutzlisten als „selten“ gekennzeichneten – Vögel ziehen, um Nahrung zu suchen.
Wenn sich die bisherigen Beobachtungen bestätigen, dass sie überwiegend im Süden und Südwesten unterwegs sind, kann die seit einem Jahr amtierende Bürgermeisterin Silvia Scheu-Menzer (parteilos) mit dem engagierten Umweltbeauftragten und den Gemeindegremien aufatmen: Dann könnten die Windkraftanlagen im westlichen Waldgebiet ihren Standort finden.
Sechs Windräder, deren Leistung noch nicht feststeht, sind geplant. Und damit wäre die in den Ausläufern des Taunus gelegene Gemeinde mit ihren knapp 10.000 Einwohnern in Hessen schon weit vorne. Denn das Land hat Nachholbedarf in Sachen Windenergie, die nicht einmal zwei Prozent Anteil am Energiemix ausmacht. Die gesamten Erneuerbaren kommen auf gerade mal sechs Prozent.
Die Geschichte Hünfeldens zeigt exemplarisch, warum die Energiewende so schwierig ist. Schon seit 1997 wurden im Gemeindegebiet von Hünfelden Flächen für Windenergieanlagen ausgewiesen - von oben herab, durch die Planungsbehörden. Aber keiner hat das so richtig gewollt. Hin- und hergeschoben oder auch abgelehnt wurden die möglichen Standorte im Flächennutzungsplan.
Keine Zustimmung in der Gemeindevertretung
Der vom Regierungspräsidium zuerst vorgesehene Standort, auf Privatgelände und weithin sichtbar, fand keine Zustimmung in der Gemeindevertretung. Auch der damalige Bürgermeister war ein ausgewiesener Windkraftgegner. Dass er nach seiner aktiven politischen Zeit inzwischen auch für einen großen südhessischen Projektentwickler u.a. für Windkraft arbeitet, zeigt den Wandlungsprozess im Denken und Handeln.
ist taz-Genossin und Diplom-Pädagogin und wohnt in Hünfelden-Dauborn.
Der Widerstand bröckelte erst 2009, als die Regionalversammlung Mittelhessen in ihrem Regionalplan zusätzliche Vorrangflächen für Windkraft im Hünfeldener Wald vorsah, es also eine klare politische Vorgabe gab. Jetzt meldeten sich auch die ersten potenziellen Investoren. Zum Umweltgedanken kam die Aussicht, Einnahmen in die Gemeindekasse zu bekommen.
Seitdem arbeitet die Gemeinde intensiv daran, in die Nutzung der Windkraft einzusteigen. Dass trotzdem bis heute noch keine Anlage steht, hat mit den rechtsstaatlichen Genehmigungsverfahren zu tun, aber auch mit Bürgerbeteiligung und Demokratie.
Denn nach den ersten Beschlüssen pro Windkraft waren nicht alle Anwohner des Waldgebietes gleich begeistert. Ende 2009 gründete sich die Bürgerinitative Keine Windkraft im Wald, seit 2010 firmiert sie als eingetragener Verein. Ihre Mitglieder haben „nichts gegen Windenergie“, wollen sie aber nicht vor ihrer Haustür - und argumentieren mit unkalkulierbaren Nebenwirkungen für das Ökosystem Wald.
Emotionale Ängste
„Der Wald wird durch die Zerstörung auch kleiner Flächen für immer zur Industrieanlage“, „Wertverfall unserer Häuser“, „Wald oder Windkraft“, waren die emotionalen Ängste. In den vergangenen gut zwei Jahren haben beide Seiten das komplette Instrumentarium der demokratischen Auseinandersetzung genutzt. Die Gemeinde versuchte es mit Information und Umarmung, die Gegner sollten überzeugt werden.
Gemeinsam mit dem Verein lud sie zu Ortsterminen im Wald, zum Besuch bestehender Windenergiestandorte, im April 2010 fand eine große Podiumsveranstaltung statt. Vertreterinnen der Bürgerinitiative, zwei Bürgermeister und ein Investor stellten sich den Fragen der Bürgerinnen und Bürger.
Fast 10 Jahre lang wurde die Solarenergie in Hünfelden durch die Gemeinde gefördert. Unter dem Motto „Solarhochburg Hünfelden“ wurden bis Februar 2012 etwa 270.000 € an private Bauherren ausgezahlt und damit Investitionen von ca. 6,2 Millionen € unterstützt, die CO2-Einsparung beträgt über 1.200 Tonnen pro Jahr.
2002 wurde eine Studie zur Energieeffizienz bei 44 kommunalen Liegenschaften und Einrichtungen in Auftrag gegeben. Die kurzfristig umgesetzten Vorschläge führten zu Einsparungen von 302 MWh/a bei einem untersuchten Jahresenergieverbrauch von 2.916 MWh und damit zu Kostenersparnissen, die sich bereits in dreieinhalb Jahren amortisieren und dazu noch 73 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.
Im Juni 2011 ging eine private landwirtschaftliche Biogasanlage mit einer elektrischen Leistung von 240 kW ans Netz, die erzeugte Wärme von 2,1 Mio kWh/a wird über ein Blockheizkraftwerk das Rathaus, einen Kindergarten, ein Freibad und Vereinsräume beheizen. Die Biogasanlage wird mit Gülle aus einem Milchviehbetrieb und mit Silomais betrieben. Auch wenn im Landkreis nicht mehr als 20 % der Anbaufläche für Mais genutzt werden sollen, könnten weitere Anlagen in Hünfelden entstehen. (Irmgard Rado)
Kurz danach wurde die kommunale Bauleitplanung an den Regionalplanentwurf 2009 angepasst. Der Verein reagierte mit Gegeninformation und verzögerte Entscheidungen der Gemeinde durch eine Unterschriftensammlung für einen Bürgerentscheid, der schließlich im November 2010 stattfand. Satte 62,5 Prozent derjenigen, die sich beteiligten, stimmten dafür, dass die Gemeinde ihr Vorhaben fortführt.
Wegen einer strittigen Formulierung klagte die BI gegen das Ergebnis, die Klage wurde abgewiesen. Trotzdem ist der Streit nicht beigelegt, werden weiter formale Gründe gegen das Projekt gesucht, wenn es auch ruhiger geworden ist. Die Gemeindevertretung gab der Verwaltung grünes Licht für die Beauftragung verschiedener Prüfverfahren, um die passenden Standorte zu untersuchen.
Tierschutzaspekte bei der Bauplanung
Es wurde nach Kompromissflächen geforscht, mehrfach die Planung geändert. Im Dezember 2011 lag dann das Gutachten vor, in dem es um Schwarz- und Rotmilane geht, um Fledermäuse, Vogelzug, Wildkatzen. Und um den Schwarzstorch. Die aktuelle Reaktion der Gemeinde auf die neuen Erkenntnisse ist nun die Beobachtung des Vogelpaars und die Berücksichtigung weiterer Tierschutzaspekte - bei der Bauplanung. Denn die Anlagen sollen entstehen.
Voraussichtlich wird sich ihre Bauzeit nach dem Brutgeschäft richten. Werden Fledermäuse zu bestimmten Zeiten besonders gestört, können die Anlagen vorübergehend abgeschaltet werden. Wenn die Gesamthöhe der Anlagen an die 200 Meter herankommt, wird mehr Energie erzeugt, und Vögel und Fledermäuse fliegen unterhalb der Rotoren durch.
Auch wenn das gegenwärtig nach einem Erfolg der Gemeinde aussieht, der nicht auf Kosten der Natur gehen muss: Tatsächlich Windenergie produziert werden kann noch lange nicht. Nach Grundsatz- und Standortentscheidung steht nun die nächste Phase an: Geklärt werden muss das Betreibermodell: wird der Windpark Hünfeldener Wald von einem externen Projektentwickler geplant und betrieben?
Soll es ein Bürgerwindrad geben?
Oder soll die Gemeinde das weitere Verfahren in die eigenen Hände nehmen, in Zusammenarbeit mit Dienstleistern? Soll es ein Bürgerwindrad geben oder gleich eine Energiegenossenschaft? Viel Arbeit wartet noch auf alle Beteiligten. Ganz klar ist, dass die Öffentlichkeit über jeden Schritt informiert werden will und wird.
Es braucht einen langen Atem für den Umbau. Die Hünfeldener rechnen damit, dass es wohl mindestens bis 2014 dauern wird, bis sechs Windräder im Kirberger Wald saubere Energie liefern werden.
Dies ist ein Text aus der Sonderausgabe „Genossen-taz“, die am 14. April erscheint. Die komplette Ausgabe bekommen Sie am Samstag an Ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de.
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