Genokratie

■ „Die Gen-Jäger“, am Mittwoch, um 20 Uhr, West 3

Kann man in 45 Minuten ein so komplexes Thema wie die Entschlüsselung der menschlichen Genstruktur angemessen behandeln? Thomas Weidenbachs Bericht zeigte: Man kann. Originaltöne einer vom Pharma-Konzern Ciba-Geigy 1962 in London ausgerichtete Konferenz über die „Zukunft des Menschen“, bei der Dutzende namhafter, nobelpreisgekürter Biologen über Techniken zur Zucht eines besseren, gesünderen Menschen diskutierten - zusammen mit aktuellen Bildern aus Genlabors in England und USA und Statements der „Gen-Jäger“ von heute.

Während die Zunft 1962, elektrisiert von der DNS-Entdeckung durch Watson und Crick, ungeniert für eine neue Eugenik (unter anderem die Züchtung für Weltraumfahrten geeigneter Humanoiden) plädierte, ist man dreißig Jahre später zumindest verbal etwas vorsichtiger geworden. James Watson, damals schon dabei und heute Leiter des „Human Genom Project“ in Los Alamos, macht freilich deutlich, daß sich ihre Argumentation nicht geändert hat: Wenn wir nur eine der „4.000 Erbkrankheiten“ durch rechtzeitige Genanalyse verhindern können, fragt er, „sollen wir dann diese Hilfe nicht leisten“. Auf die Nachfrage, welche Krankheiten ihm da vorschweben, sagt er mit altersmildem Lächeln: „Zum Beispiel der Alkoholismus.“

Nun weiß Herr Watson besser als wir, daß er den großen Durst nicht durch die Herausnahme eines bestimmten DNS -Bausteins verhindern kann, und daß die Statistik bei Alkoholismus (wie auch bei Schizophrenie und Depression, denen die Gen-Jäger ebenfalls ans Zeug wollen) zwar für ein erbliches Risiko spricht, keineswegs aber für eine klare Erbkrankheit.

Eben hier aber liegt das Geschäft der Genindustrie: nicht in der Früherkennung schwerer Erbkrankheiten, sondern in der Risiko-Abschätzung nahezu jeder Krankheit. Der vom Krebsrisiko bis zur Schnupfenanfälligkeit durchgecheckte Embryone ist die Vision der Genindustrie, ein Markt, der den bisherigen (mit Gendiagnosen werden eine Milliarde Dollar pro Jahr umgesetzt) um ein Vielfaches übersteigt. „Von hier bis zum Asozialengen, zum Arbeitslosengen, ist es nicht mehr weit“, so der Kritiker Bernd Klees, der ausmalt, was Watsons Begriff der „Hilfe“ für die Welt bedeutet: kein abweichendes Verhalten, kein Dostojewskij, kein van Gogh...

Daß Unartenschutz zum Artenschutz gehört wie das Risiko zur Freiheit - dies sind simple Wahrheiten, die nobelpreisgekürten Fachidioten vom Schlage Watson offenbar nur ins (versoffen dreinschauende) Hirn geprügelt werden können. Nach dreißig Jahren haben sie immer noch nichts verstanden, schon gar nicht ihre eigene Erbkrankheit: Den mono-kausalen, mechanischen Determinismus, für den die Spezies „Naturwissenschaftler“ immer noch so hochgradig anfällig ist, daß man tatsächlich versucht sein könnte, in ihrem biologischen Inventar einmal nachzugucken...

Mathias Bröckers