piwik no script img

Generationswechsel im FrauentennisDie Qualifikantin

Emma Raducanu hat nicht nur die US Open gewonnen. Vorläufig hat die 18-jährige Engländerin auch dem Star Novak Đoković die Show verhagelt.

Neues Tempo: Emma Raducanu erreicht einen Ball von Leylah Fernandez Foto: ap/Franklin II

Als vor zwei Wochen der Startschuss zu den US Open fiel, drehte sich in der Tenniswelt alles um den potenziellen Grand-Slam-Durchmarsch von Novak Đoković Es gab eigentlich keine Geschichte, die es auch nur annähernd mit Đoković’ Mission aufnehmen konnte, mit dem Versuch, als erster Spieler in der modernen Zeit dieses Sports alle vier Majors in einem Kalenderjahr zu gewinnen.

Doch dann kam Emma Raducanu. Und ihre sagenhafte Geschichte begann schon, als die Besten und Allerbesten der Szene noch gar nicht in New York waren. Raducanu, 18 Jahre jung, im Sommer gerade in London mit der Schule fertig geworden, siegte in der letzten Augustwoche einsam auf abgelegenen Außenplätzen des Billie-Jean-King-Tennis-Centers drei Mal in der Qualifikation, bevor es danach auch im Hauptfeld genau so stürmisch, selbstbewusst und unbeschwert weiterging.

Die junge Engländerin gewann mit unfassbarer Selbstverständlichkeit Match für Match, sie geriet nie ernsthaft in Gefahr, brauchte keinen einzigen Tiebreak, rückte in die spannungsgeladene zweite Turnierwoche vor, in der das Geschehen noch einmal so richtig an Tempo und Dramatik zunimmt.

Aber die Teenagerin war nicht aufzuhalten, nicht von der Schweizer Olympiasiegerin Belinda Bencic im Viertelfinale, nicht von der zähen Griechin Maria Sakkari im Halbfinale. Und schließlich auch nicht von ihrer 19-jährigen kanadischen Gegnerin Leylah Fernandez im Finale, das sie am Samstag souverän mit 6:4 und 6:3 für sich entschied und mit einem krachenden Ass beendete. Und so war er dann in aller Pracht und Herrlichkeit da, ein absoluter Sensationssieg, der geschichtsträchtige Sportmoment im Frauentennis, ein atemraubendes, komplett unwahrscheinliches und mitreißendes Drehbuch, das sich hinter Đoković’ Anlauf zum ewigen Ruhm nicht im geringsten verstecken musste.

Emma Raducanu, die Nummer 150 der Weltrangliste, die erste Qualifikantin auf einem Grand-Slam-Thron, noch dazu bei ihrem gerade mal zweiten Major-Start – es war ohne Übertreibung eine der verrücktesten Tennisgeschichten aller Zeiten. Eine Geschichte, die es an Wucht mühelos mit dem Sturm des 17-jährigen Boris Becker zum Wimbledonsieg 1985 aufnehmen konnte. „Ich bin total überwältigt. Ich hätte das alles nie für möglich gehalten“, sagte Raducanu, deren Siegerlächeln am Sonntagmorgen von allen britischen Titelseiten aufschien und das spektakuläre Ronaldo-Comeback bei Manchester City verdrängte.

„Kaum in Worte zu fassen“

Die Queen, Prinz William und seine Frau Kate wie auch Premier Boris Johnson übermittelten noch in der Nacht ihre Glückwünsche an die erste britische Grand-Slam-Siegerin seit Virginia Wades Wimbledonerfolg 1977. Wade verfolgte das Finale live vor Ort, stolz auf ihre Nachfolgerin: „Was sie geleistet hat, ist kaum in Worte zu fassen.“

Anstrengend, aber auch ein Riesenspaß

Emma Raducanu nach ihrem Finalsieg

Raducanus bisher einziger Grand-Slam-Start vor den US Open war bereits dramatisch verlaufen. In Wimbledon eroberte sie die Herzen auf der Insel im Sturm, ehe sie das Achtelfinal-Match gegen die Australierin Alja Tomljanović wegen Atembeschwerden aufgeben musste. Der Rückzug habe auch psychische Gründe gehabt, der Trubel nach den überraschenden ersten Erfolgen sei einfach zu groß und buchstäblich überwältigend gewesen, hieß es aus Raducanus Umfeld.

Im Sommer, nach ihrem Schulabschluss, spielte Raducanu bei kleineren Turnieren in den USA, sie holte sich Matchhärte, gewann Stabilität und neue Zuversicht. „Zum ersten Mal habe ich mich ganz aufs Tennis konzentriert. Es war anstrengend, aber es war auch ein Riesenspaß“, sagte Raducanu.

Und dann folgten, unvergesslich, die 20 Sätze und zehn Matches in New York, ganz zuletzt gegen eine Gegnerin, die bei den US Open selbst gerade 19 Jahre alt geworden war und eine eigene Traumstory auf die Courts zauberte. Leylah Fernandez schlug auf dem Weg ins Finale drei Gegnerinnen aus den Top 5 aus dem Feld, auch die ehemalige US-Open-Siegerin Angelique Kerber schaltete sie aus – so kam es nicht ganz überraschend, dass ihr im Finale die allerletzte Energie und Power fehlten.

Als zweite Siegerin blieb sie dennoch glanzvoll in Erinnerung, als ebenso steil aufstrebende Kraft in einem Finale, über das man noch lange sprechen wird. Und das mit der ersten Siegerin, die im 21. Jahrhundert geboren wurde, eine neue Zeitenwende im Frauentennis einleiten könnte. „Diese beiden Spielerinnen sind ein Geschenk fürs Tennis. Ein absolutes Geschenk“, twitterte Samstagnacht der letzte amerikanische US-Open-Champion Andy Roddick.

Und wer an vergangene US Open-Finals zurückdachte, auch an andere große Frauenmatches der letzten Jahre, konnte Roddick da nur zustimmen. Raducanu gegen Fernandez, 18 Jahre gegen 19 Jahre, Außenseiterinnen unter sich: Es war purer Spitzensport, ohne die leidigen, branchenüblich gewordenen Mätzchen und Marotten. Ohne Grunzen, Stöhnen, Zeitschinderei, Diskussionen mit Unparteiischen oder auch Zoff mit der eigenen Teambox.

Ja, es war ein Teenagerinnenfinale, aber es wurde so erwachsen, reif und voller Klasse gespielt wie wenige Tennishöhepunkte letztens. Ein Satz, gesprochen von der würdevollen Verliererin Fernandez an diesem 11. September 2021, blieb auch noch nachhallend im Gedächtnis. „Ich wünsche mir, dass ich nach diesem Tag auch so stark und widerstandsfähig bin wie New York in den vergangenen Jahren“, sagte Fernandez unter donnerndem Applaus der 24.000 Fans im Arthur-Ashe-Stadion, der größten Tennisarena der Welt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    GROSSARTIG!



    Emma ist ein wahres Tennis-Wunder!



    Weiter so.