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Generation Z und die Wiedervereinigung Neue Ossis, neue Wessis

Aron lernt Mathilda kennen. Sie kommt aus dem Westen – er aus dem Osten. Aber spielt das heute noch eine Rolle?

Aron will mehr über die Wiedervereinigung reden, aber wie ist das mit seinen Freunden? G. Mach / Kreisbildstelle Helmstedt

Es ist der Abend nach dem Tag der Deutschen Einheit.

Mathilda und ich haben uns gestern in einer Bar in Berlin-Mitte kennengelernt, sind an der U8 Bernauer Straße zu ihr spaziert und eigentlich ist alles super.

Dann stehen wir vor ihrer Tür und sie sagt: „Ist jetzt nicht spektakulär, die Gegend hier.“

Unweit von hier steht die Gedenkstätte Berliner Mauer, denke ich. Wieso interessiert Mathilda das nicht? Dann fällt mir ein, dass sie aus Baden-Württemberg kommt, ich aber aus Sachsen-Anhalt und, dass ich mal wieder etwas sagen sollte.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 28, ist taz Panter-Volontärin in der taz-Redaktion.

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und ist seit Oktober 2021 taz Panter Volontärin.

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„Findest du nicht?“ frage ich also.

„Nö!“ sagt sie, küsst mich, und dann ist mir erst einmal alles egal.

Wieso heute noch über die Teilung reden?

Aber am nächsten Morgen liege ich neben ihr und bin hellwach. Irgendetwas muss ich sagen, denke ich. Vermutlich würde ich das aber gar nicht, wenn ich nicht am Tag der Deutschen Einheit selbst auf einer Lesebühne ein einschneidendes Erlebnis gehabt hätte.

Rückblick: Am Abend lesen alle Autor:innen in so einer Neuköllner Kneipe Texte zum Thema Deutschland und auf einmal fragt eine Frau aus London das Publikum: „Seid ihr nicht wütend, wie die DDR einfach von der BRD zerfleischt wurde?“

Und ich stotterte und sage nichts zum Thema. Bis ich später bei Jerome, der auch bei der Lesung anwesend war, in der Küche sitze.

„Als die das gesagt hat, hab ich mich richtig geschämt, muss ich sagen“, gesteht er und drückt seine Zigarette im Aschenbecher vor ihm aus. „Geschämt wegen uns, dem Publikum“, fährt er fort. „Wir waren doch alle einer Meinung und die Frau erzählt als Unbeteiligte was Sache ist: Die DDR wurde einfach komplett vom Westen geschluckt“, sagt er aufgebracht und erzählt weiter davon, wie die großen DDR-Betriebe damals abgewickelt wurden und tausende Leute ohne Arbeit da standen.

„Woher weißt du das eigentlich alles?“ frage ich ihn irgendwann. Jerome kommt aus einem Dorf bei Köln und hat mir neulich erzählt, dass er die DDR nur zwei Stunden in seinen zwölf Jahren Schule behandelt hat.

„Ich hab angefangen, mehr darüber nachzudenken, seitdem du ständig davon erzählst “, antwortet er.

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Ein Thema für junge Generationen?

Das stimmt, denke ich. Das Thema lässt mich seit Monaten nicht los. Wenn ich im ehemals geteilten Harz mit älteren Leuten aus dem Osten rede, sagen manche, dass sie die Grenze hier noch immer spüren. Die alten Westler sagen dann, dass aber nicht sie das Problem seien, sondern die Ossis, die immer damit anfangen. Nur erklären auch sie nicht, wo genau das Problem eigentlich liegt.

Aber egal mit wem ich dort sprach – wirklich jeder, der vor der Teilung geboren wurde, sagte mir irgendwann: „Aber es ist doch spannend, wenn sich eine ganz neue Generation für das Thema interessiert, ihr habt ja ganz andere Möglichkeiten, das Ganze anzugehen!“

Ehrlich gesagt habe ich mich nie für die DDR und das Thema Osten interessiert, bis mich vor zwei Jahren eine Familienrecherche auch durch die Geschichte der DDR und dann wieder in die Gegenwart schickte – mit der Wiedervereinigung dazwischen. Mit all ihren Ungerechtigkeiten und Fehlern, die vielleicht bis heute die Gesellschaft beeinflussen, denke ich am WG- Küchentisch.

Einheitsdiskurs in WG-Küchen

Dann schimpfen Jerome und ich darauf, dass immer noch kaum Ostler in Spitzenpositionen sitzen. Und auf den Mist damals mit der Treuhand, Ex-Kanzler Helmut Kohl und auf die CDU sowieso. Und ich erzähle, dass meine Eltern im Wendejahr Abitur machten und ihr Durchschnitt einfach schlechter gemacht wurde, weil sie in der DDR zur Schule gingen.

„Ich meine, das ist doch unfair!“

Schweigen. Nach einer Weile sagt Jerome vorsichtig: „Aber jetzt nur mal so … wenn das Schulsystem jetzt wirklich schlechter gewesen wäre, dann wäre es wirklich unfair einfach allen trotzdem das gleiche zu geben, oder?“.

Kurz werde ich wütend, frage mich, wie er es finden würde, wenn seinem NRW-Abitur zum Beispiel in Bayern Notenpunkte abgezogen werden würde. Aber ehrlich gesagt denke ich auch nicht an die benachteiligten Ostler, sondern nur an meine Eltern, die sich allerdings selbst nie groß vor mir zu diesem Thema äußerten.

„Irgendwie schwierig die Frage, oder?“, frage ich ausweichend.

„Ja mega“, antwortet Jerome und klingt fast erleichtert.

Vielleicht werden er und ich auch niemals so ganz ganz unbeteiligt sein, wenn es um das Thema Ost und West geht, denke ich.

Trotzdem könnten wir vielleicht die erste Generation sein, die anders auf den vergangenen Teil des Konflikts schaut. Mit dem Vorteil, keine einzige Sekunde in einer der beiden älteren Gesellschaften, der DDR oder der Bundesrepublik, gelebt zu haben. Ich habe keinen Bock mehr, das Thema Wiedervereinigung auf Podiumsdiskussionen auszuhandeln – es soll in den normalen Alltag, weil es den ja eh bestimmt, denke ich.

Wie geht guter Dialog?

Wir müssen nicht so tun, als ob es keine Unterschiede zwischen Ost und West geben würde. Aber vermutlich gibt es genügend Leute, Politiker:innen und Zeitungen, die diese niemals in konstruktive Gespräche bringen wollen würden.

Vielleicht, weil das Die-Opfer-und-die-Anderen-Spiel einfach sehr verlässlich wirkt, Schuldige wie die NATO oder Grüne findet, vor Veränderungen schützt und einfache Erklärungen im Alltag liefert.

„Wie soll man da einen Einheitsdiskurs führen?“, frage ich Jerome schließlich.

„Keine Ahnung, aber vor fünfzehn Jahren war es sicher noch ziemlich ungewöhnlich, überhaupt so wie wir über die Einheit zu sprechen“, antwortet er.

Und damit zurück ins Jetzt: Mathilda und ich spazieren am Berliner Mauerweg entlang. Das habe ich vorhin im Bett vorgeschlagen und nichts zu gestern gesagt.

„Danke, dass du mit mir hier lang gehst, auch wenn dich das hier alles nicht so interessiert“, sage ich jetzt und merke, wie sich meine Finger verkrampfen.

Mathilda nimmt meine Hand. „Was meinst du?“ fragt sie irritiert.

„Na die Mauer, die DDR und so – du meintest doch, dass du die Gegend hier nicht so spektakulär findest!“

„Ich meinte damit meinen Wohnblock – ich war aufgeregt und wusste nicht, ob es dir bei mir gefällt“, sagt sie und sieht sich um. „Aber hier ist es doch super spannend! Den Mauerweg bin ich außerdem schon mega oft gegangen.“

„Ich noch nie!“, sage ich.

„Na dann wird es Zeit!“, entgegnet sie fröhlich und zieht mich mit ihrer Hand zu dem bronzenen Mauergedenkstreifen im Boden.

Und dann springen wir zusammen über die Linie, die zeigt, dass dieses Land 40 Jahre gewaltsam getrennt war.

Ich weiß zwar noch nicht, worüber Ost- und Westdeutsche in Zukunft reden werden. Aber die Erinnerung an die Vergangenheit ist für den Anfang oft hilfreich.

Dann küssen wir uns. Und so geht’s doch auch, denke ich.