Generation Corona: Wer wird lost gewesen sein?

Auch wenn die junge Generation nicht als Ganzes verloren geht, die Postpandemie-Zeit wird zu viele von ihnen hart treffen. Da hilft nur eins: Die Boomer müssen sich deprivilegieren.

Waiting Foto: Manuel Nieberle

Von HARALD WELZER

Ob man Teil einer Generation war, entscheidet sich immer erst hinterher, nämlich dann, wenn bestimmte Epochenereignisse oder kulturelle Entwicklungen an eine Generation geknüpft worden sind. Die »lost generation« war die der jungen Erwachsenen nach dem Ersten Weltkrieg, die 68er waren die, die in den meisten westlichen Ländern eine Phase der kulturellen Liberalisierung einleiteten. Das war für die Entwicklung der Bundesrepublik ein erfolgreiches Generationenprojekt, natürlich schon vor 1968 eingeleitet und in den späten 1970ern durch die Ökobewegung ausklingend.

»Man hat es mit einer Generation zu tun, in der ein erheblicher Anteil lost gehen wird.«

Harald Welzer

Wenn ein Generationenprojekt erfolgreich war, möchten im Nachhinein auch diejenigen dazugehört haben, die in der Echtzeit der Geschehnisse kein bisschen damit zu tun hatten. Die erzählen dann von Demos, obwohl sie nur in der Mensaschlange gestanden hatten. Und sogar Biedermännchen wie Friedrich Merz re-imaginieren sich als wilde Burschen, wenn deutlich wird, dass am molliwerfenden Ex-Sponti Joschka Fischer dann am Ende doch ein Geruch von Freiheit und Abenteuer hängengeblieben ist und die seinerzeitigen revolutionären Umtriebe im kulturellen Gedächtnis der Bundesrepublik eher positiv erinnert werden. Kurz: In der ablaufenden Zeit eines gesellschaftlichen Prozesses ist außer für die beliebten Trendforscher, die ohne Unterlass neue Generationen für ihre Kunden erfinden, völlig unklar, ob sich historische Verdichtungen zu Epochenereignissen formen, die dann eine Erlebnisgeneration gebildet haben werden. Oft passiert ja über lange Strecken nicht allzu viel, dann gibt’s auch keine Generation im kulturellen Gedächtnis.

Wenn man Klaus Hurrelmanns Gegenwartsanalyse zur Lage der gegenwärtig jungen Generation in diesem Heft folgt, sieht es nicht so aus, als würde die Pandemie eine »Generation Corona« als Nenner einer Kollektiverfahrung formen – im Gegenteil geht er davon aus, dass zwei Drittel der Alterskohorte, die prägende Entwicklungsjahre in der Pandemie durchlebt, nicht sehr stark unter den Nachwirkungen der Krise leiden wird. Aber ein Drittel, und darunter überwiegend junge Männer, ist kumulativ von schlechterer Schulbildung, prekärem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und den lebensweltlichen Beschränkungen in der Pandemie betroffen, und diese Gruppe wird – so die Aussichten – möglicherweise der Gesellschaft verloren gehen, also empfänglich für populistische und ausgrenzende Botschaften sein. Also hat man es, dem Jugendforscher zufolge, nicht mit einer lost generation im Ganzen zu tun, sondern mit einer Generation, in der ein erheblicher und viel zu großer Anteil mit großer Wahrscheinlichkeit lost gehen wird.

Aus der Modekollektion Waiting, deren Look das Warten während der Corona Pandemie thematisiert. Foto: Manuel Nieberle

Kollektion 2021

Die Modedesignerin Daniela Meichelböck beschäftigt sich in ihrer Abschlusskollektion der Londoner Modeschule Central Saint Martins mit dem Warten. Jeder Look dokumentiert das subtile und persönliche Detail eines ganz alltäglichen Moments.

Die Pandemie hat eine neue »Generation Lost« hervorgebracht

Dieser Befund ist genauso erstaunlich wie die Beobachtung, dass sich die Alterskohorte der heute 14- bis 25-Jährigen in der Krise überwiegend als ausgesprochen diszipliniert und solidarisch gegenüber den durch das Virus zunächst besonders gefährdeten Älteren gezeigt hat. Zum Dank dafür sind die Jungen dann als verantwortungslose Party-People medial gebasht worden – etwa vom notorischen Christian Lindner (in der FAS vom 18. April: »Meinen Eltern den Spaziergang zu untersagen hält die Studierenden in Kreuzberg nicht davon ab, eine illegale Wohnungsparty zu feiern.«) Und zum weiteren Dank werden sie – wenn die älteren Geimpften von den Grundrechtseinschränkungen befreit sind – im Frühsommer die Rentner im Außenbereich der Pizzeria Sorrento beim Grappa-Trinken betrachten dürfen.

Was ihre Chancen auf einem Arbeitsmarkt betrifft, der postcoronal von erheblichen Rationalisierungen im Windschatten der Krise gekennzeichnet sein wird, darf man von steigender Jugend- und Sucharbeitslosigkeit ausgehen. Auch was die generationell umgekehrt zu fordernde Solidarität der Älteren mit den Jüngeren in Sachen Klimapolitik angeht, sollte man keine Illusionen hegen – die SUV-Bestellungen und Kreuzfahrtbuchungen werden sicher nicht zurückgehen und die »Man gönnt sich ja sonst nichts«-Mentalität gerade nach überstandener Krise fröhliche Exzesse feiern.

Wenn man dazu noch die Einschätzung von Diana Kinnert nimmt, dass man es bei den Jungen mit einer tendenziell einsamen Generation zu tun hat, die zwar vernetzt, aber nicht verbunden ist, bleibt dann doch die Frage nach der politischen Sprengkraft, mit der man es künftig zu tun bekommen könnte. Zu den vielen Gemeinheiten des Virus zählt ja auch, dass die unglaublich erfolgreiche Jugendbewegung der Fridays for Future im vollen Lauf gestoppt wurde. Soziale Bewegungen brauchen die physische Anwesenheit und gemeinsame Aktion, das lässt sich nicht digital kompensieren, weshalb man gespannt sein muss, ob es den Fridays gelingt, mit Blickrichtung Bundestagswahl in diesem Herbst (falls die Pandemie dann überstanden sein sollte) wieder richtig Kraft zu entwickeln. So scheint mir in der Gesamtschau doch einiges an Generationenungerechtigkeit als Erblast der Krise übrig zu bleiben, und man wird sehen, welche gesellschaftlichen Auswirkungen das haben wird – von verlorenem Politikvertrauen über empfundene und faktische Benachteiligungen bis hin zu verbreiteten Gefühlen von Verlassenheit.

Zwar vernetzt, aber nicht verbunden und tendenziell einsam: die junge Generation. Foto: Manuel Nieberle

Intergenerationelle Solidarität für eine Zukunftschanche

Norbert Elias hat in seinen 1989 erschienenen Studien über die Deutschen geschrieben, dass die »Verengung und Erweiterung der Lebens- und Sinnchancen im Allgemeinen und der Laufbahnchancen im Besonderen für die jeweils jüngeren Generationen einer Gesellschaft« die Machtbalance zwischen den Generationen unmittelbar beträfe und dass solche »Vorgänge den Kern der gesellschaftlichen Generationenkonflikte bilden«. Generationenkonflikte sind für Elias wiederum die stärksten Treiber sozialer Dynamiken, was man nicht romantisieren sollte: Der Nationalsozialismus war ebenso ein Generationenprojekt wie die russische Revolution oder die arabische Rebellion; Elias machte seine Beobachtungen am Beispiel der RAF. Jedenfalls ist jede Blockierung der Zukunftschancen der nachrückenden Generation zutiefst ungerecht, besonders dann, wenn die Vorgängergeneration zu den größten Profiteuren genau jener Entwicklung zählt, durch die die Zukunft der Nachrückenden eingeschränkt wird. Das ist an der ungeheuren Erhöhung des materiellen Wohlstands durch eine Wachstumswirtschaft, die sich für die ökologischen Folgekosten ihres Erfolgs nicht interessiert, sehr anschaulich zu beschreiben. Hier schwimmt meine, die Boomer-Generation, gleichsam als Fettauge auf einer Suppe, die die Jüngeren auszulöffeln haben.

Daraus kann politisch gar nichts anderes folgen als die Einforderung von intergenerationeller Solidarität: Die Zukunft muss eine offene bleiben, und das geht nur, wenn die Älteren beginnen, sich gegenüber den Jüngeren zu deprivilegieren. Richard David Precht macht dazu den hübschen Vorschlag eines sozialen Pflichtjahres für Rentner, aber weiter gedacht müsste solche Solidarität steuerliche Benachteiligungen umwelt- und klimaschädlichen Verhaltens genauso vorsehen wie rechtliche Rahmensetzungen für nachhaltiges Wirtschaften, und das hinreichend radikal. Auch wenn das viel kostet, kommt man aus Gerechtigkeitsgründen nicht daran vorbei. Vielleicht sehen ja die Grünen jenseits ihrer Stammwählerschaft, die mehrheitlich ihre Zukunft schon hinter sich hat, darin eine Chance, jüngeren Wählerinnen und Wählern und womöglich sogar künftigen Mitgliedern eine politische Perspektive zu geben.

Harald Welzer ist Herausgeber von taz FUTURZWEI.

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°17 erschienen.

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