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Generalsekretärin über Amnestys Arbeit"Es ist fast schon eine Ersatzreligion"

Monika Lüke, Amnesty-Generalsekretärin in Deutschland, über neue Aufgaben im Kampf für Menschenrechte und die umstrittenen Strategien ihrer Organisation.

Kein Mensch ist mehr wert als der andere: Amnesty-Aktivisten mit Masken des chinesischen Friedensnobelpreistraegers Liu Xiaobo. Bild: dapd

taz: Frau Lüke, Amnesty International wird in diesem Jahr 50 Jahre alt, Jetzt gehören Sie wirklich dazu.

Monika Lüke: Wozu?

Zu den großen alten Institutionen wie Kirchen, Gewerkschaften und Volksparteien. Haben Sie auch mit Mitgliederschwund und mangelndem Engagement zu kämpfen?

Bild: dpa

MONIKA LÜKE, 41, ist seit 2009 Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Anfang der 90er Jahre engagierte sie sich als Bonner Studentin in der Amnesty-Asylberatung. Dann arbeitete sie für das britische Außenministerium, die evangelische Kirche und die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Lüke ist Juristin und hat über internationale Strafgerichtsbarkeit promoviert.

50 Jahre Amnesty

Die Gründung: Amnesty International wurde 1961 von dem englischen Rechtsanwalt Peter Benenson gegründet. Sein Appell "Die vergessenen Gefangenen" wurde zunächst von der Tageszeitung The Observer gedruckt, dann weltweit aufgegriffen. Aus dem Appell entstand noch im selben Jahr Amnesty als Organisation. Die deutsche Sektion wurde noch 1961 gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern zählten die Journalisten Carola Stern und Gerd Ruge. Schon 1977 erhielt Amnesty International den Friedensnobelpreis.

Die Unterstützer: Heute hat Amnesty weltweit 2,8 Millionen Unterstützer, davon über 100.000 in Deutschland. Als Unterstützer gelten Menschen, die in Amnesty-Gruppen mitarbeiten, Briefe schreiben, sich an Aktionen beteiligen oder Amnesty regelmäßig Geld überweisen. An einzelnen Briefaktionen für bedrohte Menschen beteiligen sich weltweit bis zu 80.000 Menschen. Amnesty-Unterstützer gibt es in mehr als 150 Staaten. In rund 50 Staaten gibt es nationale Sektionen. Das Internationale Sekretariat sitzt in London, wo rund 500 Menschen für Amnesty arbeiten. Generalsekretär ist der Inder Salil Shetty. Die deutsche Sektion hat 50 Personalstellen und wird von Monika Lüke geleitet.

Die Finanzierung: Die Organisation finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Erbschaften. Die Einnahmen in Deutschland stiegen in den letzten zehn Jahren von rund 7 Millionen Euro auf 12,8 Millionen Euro. Weltweit hat Amnesty pro Jahr 210 Millionen Euro zur Verfügung. Amnesty nimmt keine Gelder von staatlichen Regierungen an. (chr)

Nein, im Gegenteil. Wir sind zwar eine gefestigte, eine anerkannte Organisation, aber wir wachsen immer noch, weltweit und in Deutschland.

Profitieren Sie also eher von der Krise der alten zivilgesellschaftlichen Institutionen?

Ich denke, ja. Menschen engagieren sich heute nicht weniger, sondern anders, zum Beispiel bei Amnesty International.

Was macht Amnesty attraktiver?

Es ist diese Mischung aus ganz konkreter Arbeit für einzelne bedrohte Menschen und einer sehr grundsätzlichen Werteorientierung. Der Einsatz für Menschenrechte ist heute für manche fast schon eine Ersatzreligion.

Konkrete Arbeit ist aber vor allem dann attraktiv, wenn man auch etwas erreichen kann. Wie erfolgreich ist der Einsatz von Amnesty?

Wenn wir Eilaktionen für bedrohte Menschen und Gefangene organisieren, dann ist im Schnitt mindestens ein Drittel erfolgreich. Nicht immer wird der Gefangene freigelassen, aber auch eine Verbesserung der Haftsituation, etwa eine medizinische Behandlung oder besseres Essen, kann im Einzelfall eine große Erleichterung darstellen.

Darf man Amnesty heute noch als Gefangenen-Hilfsorganisation bezeichnen?

Der Begriff ist zu eng. Wir setzen uns zwar immer noch für die Freilassung gewaltloser politischer Gefangener ein. Seit der Gründung von Amnesty haben wir das Mandat aber immer wieder erweitert.

Was kam hinzu?

In den 70er Jahren gab es Kampagnen gegen Folter und Todesstrafe. Seit Mitte der 70er setzen wir uns in Deutschland auch für die Rechte von Flüchtlingen ein, seit Mitte der 90er für Frauenrechte. Die letzte große Erweiterung des Mandats war 2001. Amnesty wurde nun zu einer umfassenden Menschenrechtsorganisation, die sich auch für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der Menschen einsetzt.

Kritiker sagen, Amnesty International habe das klare Profil verloren, sei heute ein Gemischtwarenladen.

Ich finde unsere Entwicklung konsequent. Menschenrechte sind unteilbar. Kein Menschenrecht ist mehr wert als andere. Außerdem kann sich jemand, der Hunger hat oder keine Wohnung, auch nicht für seine politischen Rechte einsetzen.

Und deshalb kämpft Amnesty heute auch für Umverteilung?

Wir kämpfen nach wie vor für Menschenrechte. Deren Verwirklichung kostet auch Geld - ob es um den Aufbau einer funktionsfähigen Justiz geht oder eines effizienten Gesundheitssystems. Ich finde, die Unterscheidung zwischen politischen und sozialen Rechten ist eine künstliche Debatte.

Gegen Hunger und für Gesundheitsstationen in Afrika setzen sich aber auch viele andere Organisationen ein, von Brot für die Welt bis Medico International. Und für die politische Kritik der Globalisierung gibt es Attac. Braucht man denn dabei auch noch Amnesty International?

Ja. Uns geht es darum, die politischen Rahmenbedingungen zu ändern. Die Menschen vor Ort sollen in die Lage gebracht werden, ihre Rechte einfordern zu können. Für uns sind die Menschenrechte nicht nur ein Instrument zur Verwirklichung humanitärer Ziele, sondern ein Wert an sich.

Ihre aktuelle Kampagne heißt "Mit Menschenrechten gegen Armut". Viel instrumenteller geht es ja kaum.

Diesen Slogan kann man vielleicht missverstehen. Aber wenn Menschen durch Zwangsräumungen in die Armut getrieben werden, dann ist Menschenrechtsarbeit auch Armutsbekämpfung. Wir weisen darauf hin, dass die Menschenrechte armer Menschen besonders bedroht sind.

In Deutschland waren die Amnesty-Mitglieder über die Erweiterung des Mandats nicht so begeistert.

Es gab intensive Diskussionen. Aber die große Mehrheit trägt diese Entwicklung mit. Gerade jüngere Amnesty-Mitglieder finden die Erweiterung des Mandats auf soziale und wirtschaftliche Menschenrechte ausgesprochen gut.

Haben vor allem Amnesty-Sektionen in Europa und den USA Probleme mit dem breiteren Profil?

Der klassische Amnesty-Ansatz, die Freiheit gewaltloser politischer Gefangener einzufordern, gegen Folter und Todesstrafe zu kämpfen, war vor allem im Westen verankert. Aber Zwangsräumungen in Slums, bei denen Menschen ihr Obdach und oft auch ihre Erwerbsgrundlage verlieren, Kinder nicht mehr in die Schule gehen können, greifen ebenfalls direkt die Menschenwürde an. Das passiert weltweit millionenfach, vor allem in Asien und Afrika. Wenn wir dort mehr für die Menschenrechte tun wollen, ist ein umfassendes Mandat für alle Menschenrechtsverletzungen notwendig.

Warum dauerte es nach der Erweiterung des Mandats im Jahre 2001 immerhin acht Jahre, bis Amnesty eine Kampagne gegen die Armut startete? War der interne Widerstand denn so groß?

Nein, das hatte andere Gründe. 2001 begann in den USA und anderen Ländern der Krieg gegen den Terror. Das hat viele Ressourcen von Amnesty jahrelang absorbiert.

Amnesty wird immer größer und professioneller. Welche Rolle spielen ehrenamtliche Basis-Aktivisten heute noch?

Der ehrenamtliche Einsatz für einzelne Gefangene oder bedrohte Personen ist bei Amnesty nach wie vor zentral. Daher rühren unsere Glaubwürdigkeit und unser moralisches Gewicht. Darauf basiert auch unsere Fähigkeit zur Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit.

Früher war es bei Amnesty tabu, sich für Gefangene im eigenen Land einzusetzen. Heute äußert sich Amnesty Deutschland zur deutschen Außenpolitik, zur Situation von Flüchtlingen und zu Polizeiübergriffen in Deutschland. Warum?

Für eine menschenrechtsorientierte deutsche Außenpolitik haben wir uns schon in den 60er Jahren starkgemacht. Auch die Flüchtlingspolitik hat eine Verbindung zur Situation im Ausland. Neu ist nur, dass Amnesty auch Polizeigewalt in Deutschland thematisiert. Das haben wir erstmals 1995 gemacht. Wir haben hier eine sehr große Glaubwürdigkeit, weil wir sehr genau recherchieren.

Das Verbot, sich im eigenen Land zu engagieren, gibt es bei Amnesty International also nicht mehr?

Das gilt seit Jahren nur noch eingeschränkt. Es wäre Aktivisten in einem afrikanischen Land mit schweren Menschenrechtsverletzungen auch kaum verständlich gewesen, warum sie sich mit politischen Gefangenen in Russland und Iran beschäftigen sollen, nicht aber mit den Problemen im eigenen Land.

Wie verhindert Amnesty, dass in einem Land die politische oder ethnische Opposition eine Amnesty-Sektion aufmacht, um nun mit dem Renommee von Amnesty die heimische Regierung anzugreifen?

Wir gewährleisten durch eine enge Betreuung aller nationalen Sektionen, dass Amnesty politisch neutral bleibt.

In vielen Jahren beschäftigen sich die meisten Presseerklärungen von Amnesty mit den USA. Sind die USA - verglichen mit all den Diktaturen der Welt - wirklich eine Hauptgefahr für die Menschenrechte?

Die USA sind eines der mächtigsten Länder der Erde, wirtschaftlich, politisch und militärisch. Wenn dort gefoltert wird und Gefangene jahrelang ohne Gerichtsverhandlung interniert werden, dann ist das besonders besorgniserregend. Gleichzeitig bekennen sich die USA zu den Menschenrechten und sind über eine kritische Öffentlichkeit ansprechbar, weshalb wir besonders häufig versuchen, auf die US-Politik Einfluss zu nehmen.

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10 Kommentare

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  • KK
    Kevin Kleinert

    In sehr vielen Ländern gibt es reine MÄNNER-Wehrpflicht. Wenn das nicht die schlimmste Diskriminierung wegen des Geschlechtes ist, die es überhaupt gibt, weiß ich nicht, was überhaupt noch Diskriminierung sein soll. Millionen von Männern werden alleine deshalb, weil sie Männer sind, abgeschlachtet und als Kanonenfutter verheizt.

     

    Wo bleibt die Kampagne von AI gegen diese Männerdiskriminierung?

    Wo bleibt die Kampagne von AI gegen die Diskriminerung von Männern in vielen Scharia-Gebieten, die Männer unter Körperbestrafenbedrohung zwingt, einen Bart zu tragen, wo ist die Kampagne gegen die faschistoide rituelle Jungenbeschneidung?

    Es wären noch sehr viele reinen Benachteiligungen aufzuzählen, die Männer alleine deshalb betrifft, weil sie männlichen Geschlechtes sind.

     

    Dass diese unbequemen Wahrheiten FeministInnen, die meinen, Frauen hätten das Opfersein alleine für sich auf der Welt quasi per Geschlecht von Geburt an gepachtet, nicht gerne hören, ist natürlich klar.

     

    Alles dies sind Beispiele dafür, dass Männerrechte brutal mit Füßen getreten werden. Wo ist die Kampagne dagegen?

    Statt dessen machen sie lieber FRAUEN-Rechte-Kampagnen. "Die Frau, das ewige zu beschützende Opfer-Geschlecht" (Ironie!), kann ich dazu nur sagen.

     

    Es bleibt dabei: Von mir bekommen diese männerfeindlichen Gender-Rassistinnen keinen Cent Spende mehr.

     

    Kevin Kleinert, Weinheim

  • L
    Lucia

    >>Menschenrechte sind unteilbar. Kein Menschenrecht ist mehr wert als andere.

  • A
    Anke

    @Kevin Kleinert: Und in welchem Land bitte werden Männer nur deswegen diskriminiert, weil sie Männer sind? Ein solches Land ist mir nicht bekannt. Frauen bedürfen eines besonderen Schutzes, da ihre Rechte in vielen Ländern verletzt werden, und zwar nur weil sie Frauen sind. Natürlich werden auch Männer Opfer von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen und natürlich setzen sich auch Menschenrechtsorganisationen wie amnesty für diese Opfer ein. Eine solche Pauschalisierung wie Ihre ist aus meine Augen absolut nicht nachzuvollziehen.

  • KK
    Kevin Kleinert

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass Männer in Ländern, in denen sie unterdrückt und wie der letzte Dreck behandelt werden, froh über eine EHRLICHE, NICHT-FEMINISTISCHE Gender-Mainstreaming-Debatte wären.

     

    Wirklich ein sehr guter Beitrag von Kevin Kleinert.

  • SB
    skkh bernd das brot

    schön, dass die Interviewte "Rußland und Iran" als Exemple für Einsätze erwähnt, während der Journalist ie USA in Schutz nimmt. toi toi toi

  • F
    Florian

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass Frauen in Ländern in denen sie unterdrückt werden, froh über eine Gender-Mainstreaming-Debatte wären.

     

    Wirklich ein sinnfreier Beitrag von Kevin Kleinert.

  • B
    Bert

    Genau, Kevin Kleinert, Lu Xiabao ist ja auch ne Frau, weiß doch jeder.

     

    Ehrlich, wer keine Ahnung hat, soll auch nicht den Hals aufreißen.

  • KK
    Kevin Kleinert

    "Seit Mitte der 70er setzen wir uns in Deutschland auch für die Rechte von Flüchtlingen ein, seit Mitte der 90er für Frauenrechte."

     

    Für Frauenrechte setzen sie sich tatsächlich explizit ein.

     

    Zwar ist die überwiegende Zahl der Folteropfer männlich, zwar wurden in Srebrenica nur Männer abgeschlachtet, zwar werden in erster Linie Männer im Krieg als Kanonenfutter verheizt, zwar werden weltweit fast nur Männer hingerichtet, vor allem auch in den USA, aber ....

     

    Amnesty setzt sich für FRAUENRECHTE ein.

     

    Was ist mit MÄNNER-Rechten? Darüber kein einziges Wort. Das ist gender-mainstreaming vom feinsten. Bzw. das ÜBLICHE gender-mainstreaming.

     

    Von mir (männlich) kriegen die keinen Cent an Spende mehr. Und das ist gut so.

  • S
    Stefan

    Manchmal nur schwer zu verstehen ist die Politik von AI. Das Recht eines Idioten mich, mein Land, meine Kultur, meine freiheitlichen Grundwerte vernichten zu wollen, scheint wertvoller zu sein als mein Recht und das Recht meines Landes auf Unversehrtheit. Nur friedlich in einem friedlichen Land leben zu dürfen scheint kein Menschenrecht zu sein.

  • FT
    fritz teufel 123 test

    was soll das bild bedeuten - die zombies, die den abklatsch einer imaginären MCDonalds-Kultur verbreiten. Gut, dass der Interviewer noch nachfragt, ob die USA nicht zu hart kritisiert werden....