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taz FUTURZWEI

Gen Z gefangen in der Vernunft Angsthasen und Spießerinnen!

Aus Protest gegen ihre vernunftgetriebene Gen Z gießt sich unsere Kolumnistin richtig einen hinter die Binde. „Ich will keine Rente“, schreit sie den Thekentypen an, „ich will noch ein Bier.“

So kann zu viel Alkoholkonsum enden, aber ist das so schlimm? Foto: imago

taz FUTURZWEI | Wir sitzen in einer Bar und rauchen, trinken Bier und koksen. Na, schön wär's. Wir sitzen in einer Bar, und ich trinke ein Bier, meine Freundin Sophie irgendeine fancy Schorle (vermutlich Rhabarber), zum Rauchen muss man raus, und Koks gibt’s sowieso nicht. Morgen ist Donnerstag, und wir müssen beide arbeiten.

„Das ist schon sehr protestantisch“, rutscht es mir raus. Ich fühle mich direkt wie dieser eine Boomer-Onkel, den jede hat und der sich darüber profiliert, wie viel Bier er trinkt, um dann beim nach-Hause-Laufen die Treppe hochzufallen.

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Sophie schaut von ihrer Bahn-App auf, die ihr sagen soll, wann die nächste U-Bahn nach Hause fährt. Und ich schaue auf die Uhr: 22:15. „Das mag sein… Aber, ich finde es so ganz angenehm“, sagt sie. „Die Schorle schmeckt lecker, und morgen fühle ich mich nicht verkatert.“

Gibt schon genug Probleme

Ich würde am liebsten widersprechen und aber weiß nicht so Recht wie. Hat sie nicht eigentlich Recht?

Wenn die Schorle schmeckt und sie sich wohl fühlt damit und wir doch bis hierhin einen schönen Abend hatten? Wenn es jetzt doch einfach Zeit wird, nach Hause zu fahren, damit wir morgen ausgeschlafen sind? Und vor allem damit, dass es gesundheitstechnisch wirklich keinen Sinn macht, eine Alkoholresistenz aufzubauen? Es gibt ja schon genug Probleme und Unsicherheiten auf der Welt, oder?

Die aktuelle taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI N°29: Kann der Westen weg?

Europa und Nordamerika haben viel vorangebracht und einiges verbockt. Nun geht es so nicht mehr weiter. Aber wie dann? Es kann schon morgen oder übermorgen vorbei sein mit dem Westen.

Über den Zerfall einer Weltordnung

U. a. mit Joschka Fischer, Dana Giesecke, Maja Göpel, Jürgen Habermas, Wolf Lotter, Jörg Metelmann, Marcus Mittermeier, Ella Müller, Luisa Neubauer und Harald Welzer. Ab 11. Juni am Kiosk

Zur neuen Ausgabe

Dann ist Sophie auch schon weg. Ich bestelle mir noch ein Bier. Was stört mich nur an ihrem Verhalten?

Schnaps statt Optimierung?

„Wir sind so optimiert, dass wir sogar darüber nachdenken, dass zu viel Optimierung nicht optimiert genug ist“, hatte mal ein Freund zu mir gesagt, der auch noch unter der Woche mit mir Schnaps trinkt.

Es geht eigentlich gar nicht um den Alkohol – den meine Generation ja immer weniger konsumiert. Es geht um mehr, denke ich, während ich mich leicht beschwipst durch Insta scrolle und ein Reel über ein Fastfoodlokal sehe, das für seine Hotdogs Handschuhe mit rausgibt, damit die Hände nicht schmutzig werden beim Essen.

Wir haben Angst, denke ich. Angst vor Schmutz. Vor Kontrollverlust. Vor Risiken. Davor, nicht zu wissen, was richtig ist. Haben Angst vor der Welt da draußen.

Eine Eilmeldung kommt rein: Inflation im Mai wieder angestiegen. Laut einer Studie ist die Inflation das, was jungen Menschen am meisten Sorgen macht. Dazu kommen die Kriege in Europa und Nahost, teurer und knapper Wohnraum, die Spaltung der Gesellschaft, die Klimakrise. Unsere Antwort darauf scheinen Vernunft, Rückzug in den Privatraum, Konservativismus, Spießigkeit zu sein, denke ich. Draußen ist gefährlich, wir bleiben lieber drinnen.

Niemand geht mehr feiern

„Überrascht hat die Autoren die geringe Feierlust der Jugend“, heißt es in der Studie weiter. Zu den liebsten Beschäftigungen der 14 bis 29-Jährigen zählten stattdessen unter den Frauen eher Paarzeit, Bücher lesen oder etwas mit der Familie unternehmen, bei jungen Männern seien es Gaming sowie Sport und Fitness. Und ein Drittel der Gen Zler schämt sich für ihre sexuelle Lust und Vorlieben, hatte ich letztens gelesen.

Eine Nachricht von Sophie kommt rein: „Hey du, ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich nicht noch länger geblieben bin. Du hast ein bisschen genervt gewirkt…“ Das ist wieder so verständnisvoll von ihr, dass ich das Handy knurrend weglege.

Wir sind die Generation, die vernünftig handelt. Die alles beredet, bevor sie handelt. Die alles und alle verstehen und Gespräche nach verhaltenstherapeutischer Manier führen kann. Wir fühlen keine Wut, nur Verständnis. Wir gehen nicht mehr feiern. Wir schauen uns lieber auf Insta und Tiktok an, wie die anderen ihr Leben richtig führen. Wir lassen nie richtig los, um uns zu verlieren. Unsere Zukunft ist so ungewiss, dass wir wenigstens die Gegenwart in Sicherheit leben wollen.

Ich bin echt besoffen, denke ich dann, als der Typ hinter der Theke mich fragt, ob ich noch eins will. Ich nicke.

Null Rentenpunkte für mich

Ich muss daran denken, dass ich letztens beim Weggehen gefragt wurde, ob und wie ich für meine Rente vorgesorgt hätte. Und, dass dann mein Gegenüber mir – ohne zu fragen – seinen kompletten Finanzierungsplan für später vorgerechnet hatte und ich jetzt weiß, was ein Rentenpunkt ist und wie er zustande kommt und dass ich vermutlich bei null Rentenpunkten bin.

„Ich will gar keine Rente“, texte ich den Thekentypen voll, als er mir das Bier hinstellt. „Ich will einfach jetzt leben, verstehst du?“

Er nickt verständnisvoll – warum sind sie nur alle so verdammt verständnisvoll heute?! Ich sage ihm, dass es mich so unglaublich ankotzt, dass alle so verdammt verständnisvoll sind. Und dass das ja überhaupt keinen Sinn macht, weil die Welt da draußen grade vor die Hunde geht.

Blut auf weißen Hemden

Und dann erzähle ich ihm weiter, dass es da zum Beispiel diese geleckten Typen auf Sylt gibt, denen ich einfach nur die Nase brechen möchte, dass das Blut nur so auf ihre weißen Hemden spritzt. Oder diese Leute im Grunewald, deren Villen ich am liebsten besetzen würde.

Und dass ich dann unbedingt ganz viel Geld ausgeben möchte, das ich nicht habe, für Spaß und Drogen, weil das doch eh nur bedrucktes Papier ist. Oder noch schlimmer: irgendwelche fiktiven Zahlen, an denen meine Bank sich bereichert. Und dass die wahren Kriminellen die Bänker sind und nicht die, die sie überfallen. „Ich will einfach meine Jugend verschwenden, okay?!“ sage ich viel zu laut.

Am nächsten Tag wache ich wie durch ein Wunder zuhause auf meiner Couch auf.

Ich bin sowas von verkatert. (Sophie hatte so Recht.)

Stimme meiner Generation“ – die Gen-Z-Kolumne unseres Magazins taz FUTURZWEI, geschrieben von Ruth Lang Fuentes und Aron Boks, erscheint in loser Folge auf tazfuturzwei.de.