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Kulturkampf ums Klima „Scheiß Klimakleber!“

Ein Mann im Späti wütet, dass er Klima-Aktivisten gerne mit dem Hochdruckreiniger „entsorgen“ würde. Ruth wird auch wütend, schweigt aber. Wie hätte sie reagieren sollen?

Sollte man da nicht dazwischen gehen und dem Autofahrer eine reinhauen? Cecilia Fabiano dpa LaPresse/AP

Von Ruth Lang Fuentes

taz FUTURZWEI | | Es ist Feierabend am Prenzlauer Berg. Da ich weder Lust auf vegane asiatische Küche noch auf überteuerten Aperol Spritz habe, stehe ich beim Späti vor den Glaskühlschränken und handle mit mir aus, ob ich zum Bier oder zur Mate greifen soll. Vielleicht Mate jetzt und Bier später? Ich mag den Laden, der Besitzer scheint jedenfalls noch ein Ur-Prenzlberger zu sein. Zumindest schwäbelt er nicht und spricht auch kein Englisch. Und er redet auch manchmal über ganz profane Dinge mit seinen Kunden – so wie jetzt gerade.

„Du, ich muss dir noch erzählen, dass ich letztens im Fernsehen war“, sagt der Kunde.

„Ja?“

„Da war’n wieder die scheiß Klimakleber. Da hab ich meinen Kärcher ausgepackt, weg damit und weitergefahren.“

„Hmm ...“

„Ja, da sieht man mal, wofür so ein Kärcher alles nützlich sein kann, wa? Meiner Meinung nach soll'n die die alle in den Knast stecken!“

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 28, ist Redakteurin des taz lab 2023

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

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Ich muss mich einfach umdrehen, um zu sehen, wer so redet, als seien klimapolitisch engagierte Menschen Schmutz, den man mit einfach dem Hochdruckreiniger entfernt. Da steht ein Mann, Engelbert-Strauss Hose, kurz vor der Rente, Glatze. Er zahlt seine Zigaretten, dreht sich um und geht – und ich sehe mich zum Bier greifen und auch zahlen.

Hätte ich etwas sagen sollen? Und wenn ja, was? Dass er ein autoritärer Fascho ist? Weiß nicht, ob ihn das umgestimmt hätte. Ich spüre Wut und Ohnmacht in mir aufsteigen und trinke das Bier viel zu schnell aus. Hätte ich das Bier an sich überhaupt kaufen dürfen? Bei einem Verkäufer, der auch nichts dazu gesagt hat? Sollte ich nächstes Mal lieber doch in einen dieser gentrifizierten Läden gehen, in denen die Leute hinter der Theke lieb sind und man Gewaltfantasien beim Awareness-Team melden kann?

Öko-Journalistin (28) verprügelt Autofahrer!

„Du hast also Wut und Ohnmacht verspürt?“, wiederholt meine Freundin Mia, die immer gerne einen auf Therapeutin macht, am nächsten Tag beim Kaffee, nachdem ich ihr erzählt habe, was mich an diesen Menschen alles ankotzt. Diese Leute, die so voller Wut und Hass gegen die Aktivisten der Letzten Generation vorgehen, das ganze faschistoide Gedankengut, das dadurch gepusht wird, die Hetze vonseiten bestimmter Medien und Politiker, die Klimakrise und die eigentlichen Forderungen der Aktivisten, die kaum Beachtung finden.

„Ich hoffe ja manchmal, dass ich an einer Blockade vorbei komme und sehe, wie ein Autofahrer jemandem eine rein haut. Ich stelle mir dann vor, wie ich den Typen selbst zusammenschlage“, sage ich. Und Bilder kommen mir in den Kopf: ich, wie ich dem Typen von gestern auf der Schönhauser Allee die Nase breche. Videos davon auf Social Media. Zustimmende Kommentare vonseiten der Klimabewegung, die B.Z., die titelt: „Öko-Journalistin (28) verprügelt Autofahrer! Was müssen wir uns noch alles gefallen lassen?“.

„Ja, es tut gut, wenn man ein klares Feindbild hat. Ein Gesicht.“, antwortet Mia.

Ich muss daran denken, wie ich mal auf dem badischen Marktplatz meiner Heimatstadt an einem AfD-Wahlkampfstand ein Plakat umgetreten hatte und den AfDler als Arschloch beschimpft hatte. Das tat gut! Einfach mal die ganze Wut rauslassen. Dieser AfDler, er stand damals für alle Nazis dieser Republik. So, wie der Autofahrer im Späti jetzt für alle CO2-Emissionen dieser Welt steht. Für Ignoranz, für den aufkommenden Populismus, für rechte Hetze.

„Die Aktivisten schlagen ihren Feinden nicht ins Gesicht. Sie entscheiden sich dafür, etwas Märtyrerhaftes an sich zu haben“, sagt Mia.

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Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

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„Aber die Autofahrer sind doch gar nicht ihre Feinde, sie setzen sich doch auch für deren Zukunft auf die Straße“, sage ich.

„… und doch werden sie durch die Blockade zu den Gegnern.“

„Aber die Aktivisten stehen wenigstens auf der richtigen Seite!“ Ich merke wie die Späti-Situation wieder in mir hochkommt. Der Besitzer, der nur geschwiegen hat und keine Kunden verlieren möchte. Dass es doch so schön einfach wäre, wenn ich den hasserfüllten Engelbert-Strauss-Typen wie einen bösen Drachen hätte bezwingen können und danach alles gut wäre. Und, dass das natürlich, wenn man drüber nachdenkt, nicht die Lösung ist.

Wohin mit der Wut?

Geht es mir eventuell doch nur um meine eigene Moral? Und war der Späti-Besitzer vielleicht gar nicht so dumm, weil er keinen weiteren Hass geschürt hat? Und warum bin ich trotzdem wütend? Und auf wen oder was wirklich?

Ich schweige. Und sage dann doch: „Aber … wie lösen wir dann die Klimakrise? Und wohin mit meiner Wut?“

Mia schweigt.

Auf dem Weg nach Hause muss ich bei Rot halten, zwei Polizei-Wannen stehen an der Ampel. Umzingeln etwa zehn Aktivisten in orangenen Westen, die auf dem Boden sitzen. Müde starren ihre Augen geradeaus – auf mich, die auf dem Fahrrad wartet, dass die Ampel auf grün schaltet – doch sie sehen mich nicht. Ich möchte ihnen irgendwie signalisieren, dass ich auf ihrer Seite bin und komme mir dann albern vor. Wütende Autofahrer gibt es auch keine mehr, der Verkehr fließt wieder.

Ich fahre weiter, wieder am Späti von gestern vorbei und beschließe, diesmal eine Mate zu kaufen und den Besitzer einfach mal zu fragen, wie er zu den Aktivisten steht, da vorne an der Ampel.

Als ich wieder vor den Glaskühlschränken stehe, fällt mir auf, dass es nur eine Mate-Marke gibt.

„Du hast nur die eine Marke?“ sage ich.

„Das ist die einzige, die fast klimaneutral produziert wird“, meint er und scannt die Flasche ein. „Und ein kleines Unternehmen sind sie auch. Bier versuche ich auch nur regionales zu verkaufen … Mit irgendwas muss man ja anfangen, wenn sich was ändern soll. Macht zwei fünfzig.“

Ich gehe aus dem Laden und merke, dass ich ganz vergessen habe, meine Gretchen-Frage zu stellen. Und, dass meine Wut weniger geworden ist.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.