piwik no script img

taz FUTURZWEI

Gemeinsinn und Engagement Wer macht's?

Die Frau unseres Autors schickt ihn zum Elternabend und sagt: „Aber lass dich bloß nicht wählen.“ Arno Frank sucht Entschuldigungen, warum er nicht Elternsprecher werden kann.

Wer macht's? Gemeinsinn scheitert oft schon beim Engagement für Elternsprecher*innen. Foto: dpa | Arno Burgi

taz FUTURZWEI | Er ist muskulös, glatzköpfig und wirkt latent gewaltbereit, hat aber mutmaßlich das Herz am rechten Fleck. Der Klassenlehrer am Gymnasium meiner Tochter sieht ein bisschen aus wie Vin Diesel aus der „Fast & Furious“-Reihe. Seine Kollegin ist noch cooler. Fälschlicherweise weisen ihre seitlich abrasierten Haare und der tätowierte Stacheldraht auf den Unterarmen sie als Bassistin einer Band namens „The Slits“ oder „Vertical Smile“ aus. Tatsächlich unterrichtet sie Geografie und Religion, und gerade referiert sie die Tagesordnung des Elternabends.

Elternabend ist Ernstfall, vermutlich nicht nur auf Elternseite („Gehst du?“ – „Och nö, ich war doch schon letztes Mal!“).

Der erste Tagesordnungspunkt betrifft das Grundgesetz der Klasse, die sich in Hinsicht auf gewisse Konflikte im Nahen Osten so etwas wie ein „neues Grundgesetz“ gegeben hat, „im Interesse des Gemeinwohls“. Es gehe darum, dass keine Diskriminierung aufgrund von Religion, Herkunft oder Sexualität stattfinde.

Vin Diesel und die coole Bassistin halten‘s allgemein, aber der Vater neben mir möchte genau wissen, worum es geht. Die türkischen, persischen und arabischen Eltern schauen zwischen ihren Knien auf den Boden. Von meiner Tochter weiß ich, dass es in der Klasse eine propalästinensische WhatsApp-Gruppe gibt, die durch intensive „Befragung“ der Mitschüler aufopferungsvoll gegen den „Babymord“ durch die jüdische Weltverschwörung kämpft. Im Grunde geht es den Lehrern darum, das Klassenzimmer irgendwie abzudichten gegen die Winde der Weltpolitik.

Die neue taz FUTURZWEI

taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°31: GEMEINSINN

Gemeinsinn gilt manchen als gut gemeint, salonlinks oder nazimissbraucht. Kann und wie kann Gemeinsinn zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen?

Mit Aleida Assmann, Armin Nassehi, Barbara Bleisch, Florian Schroeder, Jagoda Marinić, Wolf Lotter, Heike-Melba Fendel, Florence Gaub, Paulina Unfried, Tim Wiegelmann und Harald Welzer.

Erscheint am 10. Dezember 2024.

Jetzt im taz Shop bestellen

Der Vater neben mir ruft: „Laizismus! Bringen Sie den Kindern auch bei, was Laizismus ist?“ Dann verkündet er: „Unsere Demokratie beruht im Grund auf der Trennung von Religion und Gesellschaft“, also, genau, dem Laizismus.

Auf der Stirn von Vin Diesel pocht eine Ader. Die Bassistin sagt mit tödlichem Lächeln, dass dieser politologische Fachbegriff nicht Gegenstand des Unterrichts gewesen sei. Jetzt müsse übrigens, von wegen Demokratie und Politologie, ein neuer Elternsprecher ermittelt werden. Vin Diesel lässt die Gelenke seiner Finger knacken: „Wer will?“

Ich selbst kann mich nicht melden. Das heißt, ich könnte schon. Allerdings habe ich keine festen Arbeitszeiten, bin heute hier, morgen dort, muss sowieso 1.000 andere Sachen im Kopf behalten, wäre also nicht verlässlich genug für diesen Job, könnte aber vielleicht schon, theoretisch, streng genommen, will aber eigentlich nicht.

Ich denke: „Es dankt einem ja keiner!“ Und an die Worte meiner Frau: „Lass dich bloß nicht wählen!“ Ich denke ferner, dass, dächten alle so wie ich, nie ein Elternsprecher gewählt werden würde. Warum aber sollte ausgerechnet ich meine kostbare Zeit opfern? So denken vermutlich alle, und deshalb fliegen die Blicke hin und her, gehen zwischen den Knien auf den Boden, schweifen ins Leere. Elternabend ist im Grunde die Behauptung einer Gemeinschaft, die es nicht gibt.

Die Bassistin lächelt. Vin Diesel knackt. Wenn sich niemand melde, sagt er, könnten wir uns auch gerne kommende Woche noch einmal treffen. Schweigen. Ein Nervenkrieg, in dem verliert, wer sich zuerst räuspert und erweichen lässt. „Wenn niemand sich meldet“, sagt irgendwann eine Mutter, „kann ich das auch machen!“ Es wird applaudiert und die Mutter sogar ein bisschen rot. Die Erleichterung ist echt. Immer ist es eine Mutter, die sich am Ende für diesen Job meldet. Care-Arbeit am Gemeinwohl. Meldet sich ausnahmsweise mal ein Mann, ist der im Beruf offensichtlich wohl nicht ausgelastet.

Vin Diesel und die Bassistin teilen nun Zettel aus und fragen nach einem Wahlleiter. Der Vater neben mir hebt die Hand: „Wir können das abkürzen, wenn wir die Wahl per Akklamation durchführen!“ Der Vorschlag wird angenommen, und ich flüstere ihm zu: „Sie sind wohl ein gewiefter Demokrat, was?“, darauf er: „Als Mitglied in einer christlichen Partei habe ich da so meine Erfahrungen!“

Ich überlege kurz, ihn darauf hinzuweisen, dass Deutschland vielleicht säkular ist, keinesfalls aber laizistisch. Dann lasse ich das aber. Als Mitglied einer christlichen Partei ist ihm das bestimmt bekannt.

■ Dieser Beitrag ist im Magazin taz FUTURZWEI erschienen. Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI N°30 gibt es jetzt im taz Shop.