: Gemeinsame Erinnerungen
■ Opera stabile: Russisch-deutsches Theater über den Krieg
Ein enger schwarzer Raum, eine graue, schlammig zerwühlte Ebene, die von einem schmalen Graben geteilt wird, neigt sich bis kurz vor die Füße der Betrachterin. Aus dem Dunkel tauchen zwei Soldaten auf, blicken ängstlich um sich, erschrecken, als sie den anderen wahrnehmen, als Feind erkennen. Doch dann entdecken sie in ihrem Gegenüber den Menschen. Vorsichtig nähern sie sich einander an. Beide gehören nicht zur Elite ihrer Truppe. Das Bergen der Leichen nach der Schlacht ist kein Privileg. Der Deutsche gehört zu einem Strafbataillon – der Spieß hält ihn für verrückt, weil er sagt, er sähe die Seelen der Gefallenen –, der Russe ist nach einem Schädeltrauma nur bedingt einsatzfähig.
In ihrer Produktion Feindberührung – Vschivaja istorija (lausige Geschichte) hat die russisch-deutsche Theatergruppe gleichen Namens gerade diesen letzten Akt der Humanität im unmenschlichen Krieg – das Sammeln und Beerdigen der Gefallenen – zum Kristallisationspunkt ihres Stücks gemacht, das am Sonnabend in der Opera Stabile Premiere hatte. Ausgangspunkt war die Deutschen und Russen gemeinsame Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Den Text hat die Gruppe auf der Grundlage von Interviews mit deutschen und russischen Veteranen und Recherchen in russischen Archiven sowie im Militärmedizinischen Museum St. Petersburg über viele Monate gemeinsam entwickelt.
Unter der Regie des jungen Petersburgers Igor Krylow spielen Oliver Herrmann und Iwan Schwedow die zwei Soldaten, die die Erfahrung des Krieges als groteske Mischung aus Todesangst und alltäglichen Nöten – Läuse gehören dazu – verbindet. Mitten in diesem Szenario aus Leichen und zerwühltem Schlachtfeld versinken sie immer wieder in Erinnerungen an die Vorkriegszeit – Kinoträume, Zirkusbesuche, Krebse im See. Durch die große Nähe im kleinen Raum der Opera stabile und die intensive Körperarbeit wirken die Schauspieler fast überlebensgroß. Die leicht ins Groteske verzogene, oft pantomimische Darstellung scheint überdimensioniert und vermittelt doch gerade ein intensives Gefühl von Bedrohung.
Diese präzise Körperarbeit, bei der jeder Muskel der Akteure gespannt ist, steht in der Tradition der klassischen russischen Theaterausbildung, aber ohne das Pathos der sozialistischen Ära. Einen spannungsreichen Kontrast zur russischen Ästhetik der Darstellung bietet das von Gunnar Vagt gestaltete Bühnenbild, das von fünf in den Boden eingelassenen Monitoren mit Videoinstallationen von Jan Gerigk ergänzt wird.
Iris Schneider
täglich bis 8.4., 20 Uhr.
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