Gemeinderat hat Angst vor Journalisten: Die Abschaffung der Pressefreiheit
Weil dem Gemeinderat eines fränkischen Dorfs die Sitzungsberichte in der Lokalpresse nicht passten, hat er mal eben die Pressefreiheit abgeschafft - und kurz darauf zähneknirschend wieder eingeführt.
Gundelsheim, ein 3.500-Einwohner-Ort im Speckgürtel von Bamberg. Der Gemeinderat zählt 16 Mitglieder - je vier gehören CSU, SPD und der Bürgergemeinschaft BG an, je zwei den Grünen und den Freien Wählern. Eine ganz normale bayerische Bürgervertretung also?
Nicht ganz. Denn da gibt es noch Bürgermeister Jonas Merzbacher (SPD), mit 25 einer der jüngsten Ortschefs Bayerns. Seit seinem Amtsantritt 2008 hat er viele neue Ideen. So dürfen schon mal jüngere Leute in einer Sitzung erklären, was die Bürger von der Mitgliedschaft in der kommunalen Klimaallianz haben. Die erfahren davon aus der Lokalzeitung, dem Fränkischen Tag (FT).
Am 11. Februar allerdings kommt es zum Eklat, den ein 25-Jähriger aus dem Ort so erklärt: "Die wollten dem Bürgermeister zeigen, wo der Bartl den Most holt." An diesem Tag setzt die Ratsmehrheit aus CSU, Freien Wählern und Bürgergemeinschaft die Pressefreiheit in Gundelsheim aus. Dazu genügen zwei Anträge:
1) "In Berichten oder Auszügen aus dem Sitzungsprotokoll (dürfen) einzelne Gemeinderäte, Parteien oder Gruppierungen nicht mehr namentlich genannt werden."
2) "Wir fordern, die Berichterstattung des FT zu beenden und unsere Archivarin mit der Berichterstattung der Gemeinde Gundelsheim in der Tagespresse zu beauftragen."
Beide Anträge werden angenommen - mit Mehrheiten von 8:7 bzw. 9:6 Stimmen. Jeweils dagegen votieren Bürgermeister, SPD, Grüne und einzelne Bürgerlistenleute.
Dazu muss man wissen: Früher war es üblich gewesen, dass die Gemeindeprotokolle im FT abgedruckt wurden, jeweils geschrieben von besagter Archivarin - bis zum 30. Juli 2008. Da nämlich schlug Merzbacher vor, der Fränkische Tag solle die Berichte über die Ortsaktivitäten von Redaktionsmitgliedern schreiben lassen. Damals hoben alle 16 Gemeinderäte ihre Hand - und der neue Bürgermeister.
Doch nach jenem 30. Juli 2008 geschieht schier Unglaubliches: Die FT-Reporterin berichtet hintergründig; benennt Ross und Reiter, veröffentlicht, wer in Sitzungen was sagt. Das entspricht offenbar nicht der Vorstellung, die CSU, Freie Wähler und BG von "sachlicher und objektiver Berichterstattung" haben.
Bis zum 11. Februar lassen sie sich das bieten - dann erklären sie den Grundgesetzartikel 5, in dem Meinungs- und Pressefreiheit geregelt sind, in Gundelsheim für ungültig. Hinterher bekennen Bürgerlisten-, Freiwähler- und CSU-RätInnen öffentlich, der Artikel sei ihnen gerade nicht geläufig gewesen.
Dem jungen Bürgermeister Merzbacher glauben sie sowieso nicht, als der ihnen von der Presseaussperrung abrät: Ein solcher Beschluss sei weder von der Gemeindeordnung - die schreibt öffentliche Ratssitzungen vor - noch vom Grundgesetz gedeckt, erklärte er laut Protokoll.
So muss die Rechtsaufsicht einschreiten. "Selbst ein Gemeinderatsbeschluss kann einem Zuhörer, auch der Presse, nicht verbieten, jedes gesprochene Wort mitzustenografieren", schreibt Birgit Ramming-Scholz vom Landratsamt Bamberg den Gundelsheimer BürgervertreterInnen ins Stammbuch.
Und tatsächlich: Die Räte und Rätinnen zeigen Reue! Schon die nächstbeste Gelegenheit nutzen sie zur Buße: Eine Sitzung später revidieren sie ihre grundgesetzwidrigen Beschlüsse.
Wie zu hören ist, wurde in den Wochen dazwischen heiß diskutiert. Wohl auch, weil die Räte von derart heftigen Reaktionen überrascht wurden.
Und so schnellen am 4. März alle 17 rechten Hände in die Höhe, als Merzbacher den Rat aufruft, die Pressefreiheit in Gundelsheim wieder einzuführen. Doch in den Gesichtern der CSU-, FW- und BG-RätInnen ist zu lesen: Sie stimmen eher aus Angst zu, in der Zeitung zu stehen. Dazu sagen wollen sie in der Sitzung nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity