Geleakte PolitikerInnen-Daten: „Ein kurzer Blick muss reichen“
Dürfen JournalistInnen private Chatverläufe von PolitikerInnen lesen? Die Medienforscherin Jessica Heesen über Ethik und öffentliches Interesse.
taz am wochenende: Frau Heesen, persönliche Daten von Personen aus Politik und Unterhaltung wurden veröffentlicht, darunter zum Beispiel private Chatverläufe. Dürfen JournalistInnen da reinschauen oder verbietet sich das aus Gründen der Ethik?
Jessica Heesen: Sie müssen sich als Journalist natürlich ein Bild von der gesamten Lage machen. Es ist aus meiner und vor allem aus medienethischer Perspektive insgesamt durchaus gerechtfertigt, dass Sie sich solche Inhalte anschauen. Wie Sie damit umgehen, ist noch mal eine ganz anderes Thema.
Die Daten könnten Informationen enthalten, die spannend oder sogar von öffentlichem Interesse sind. Dagegen steht die Privatsphäre der Betroffenen, wie löst man das auf?
Ihnen steht als Journalist ein großer Spielraum zur Verfügung. Das hängt primär davon ab, wie Ihr Selbstverständnis ist. Sehen Sie sich als Teil der Yellow Press oder legen Sie gewisse Maßstäbe an Ihr journalistisches Handwerk an? Es ist ambivalent: Einerseits sind Persönlichkeitsrechte zu schützen, klar – das ist ja ein oberstes Prinzip. Andererseits kann es ein berechtigtes allgemeines, öffentliches Interesse geben. Die Abwägung liegt dann beim Journalisten selber.
Viele Arbeitsweisen des investigativen Journalismus unterlaufen streng genommen nach Pressekodex Persönlichkeitsrechte, wie zum Beispiel beim Filmen mit versteckter Kamera – oder schaut man sich etwa die WikiLeaks-Enthüllungen an, dann wurde hier im Sinne des öffentlichen Interesses gehandelt. Ich finde dagegen, dass die privaten Chats von Politikern mit Familienangehörigen damit auf keinen Fall auf eine Stufe gestellt werden können – das sind vertrauliche Angelegenheiten, die keinen, außer den Betroffenen, etwas angehen.
Jessica Heesen leitet den Forschungsschwerpunkt Medienethik und Informationstechnik am Ethikzentrum der Uni Tübingen. Sie forscht zu ethischen Debatten im Bereich Medien und Digitalisierung.
Was raten Sie JournalistInnen, die bereits an die geleakten Daten gelangt sind?
Als Journalist verfügen Sie über Informationen, die dem „normalen Bürger“ häufig nicht zugänglich sind. Damit haben Sie aber auch eine Filterfunktion! Schwierig wird es dann, wenn man etwa davon ausgehen muss, dass die Daten zum Beispiel private Absprachen zwischen Politikern aufdecken, die von öffentlichem Interesse wären. Problematisch ist, dass dafür die Inhalte genauestens angeschaut werden müssten.
Aber bei einer Unterhaltung zwischen einer prominenten Persönlichkeit und ihren Familienangehörigen würde ich aus medienethischer Sicht keine ausführliche Analyse betreiben, sondern allenfalls einen kurzen Blick darauf werfen, um den Vorgang einzuordnen. Das muss ausreichen.
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