Geld mit Geschichte: Legalisierte Verbrechen in Amtsstuben
Bei der Enteignung deutscher Juden spielten Berliner Finanzbehörden eine wichtige Rolle. Eine neue Studie räumt mit dem Vorurteil auf, die Steuerverwaltung in der Zeit des Nationalsozialismus sei politisch neutral gewesen.
Die Berliner Finanzbehörden hatten im Dritten Reich eine herausragende Rolle bei den Enteignungen der jüdischen Bevölkerung. Dies zeigt eine neue Studie, die am Montag von Finanzsenator Thilo Sarazzin (SPD) und dem Autor Martin Friedenberger, Doktorand am Zentrum für Antisemistismusforschung der Technischen Universität, vorgestellt wurde. "Es ist beklemmend, wie die Ideologie in das normale Beamtenleben einsickern konnte, sagte Sarrazin. "Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass so etwas heute nicht mehr passieren könnte."
3,5 Milliarden Reichsmark wurden deutschen Juden zwischen 1933 und 1945 geraubt. Für 40 Prozent davon, 1,4 Milliarden Reichsmark, waren Finanzbehörden in Berlin verantwortlich. Denn zum einen lebten in Berlin 170.000 der insgesamt rund 500.000 Juden Deutschlands. Zum anderen war das Finanzamt Moabit West ab 1933 für die Verwaltung des beschlagnahmten Hab und Guts von Ausgebürgerten aus dem gesamten Deutschen Reich zuständig, erklärte Friedenberger. "Mit der Ausbürgerung ging automatisch eine Enteignung einher."
Allein mit diesen gezielten Ausbürgerungen ab 1936 verschaffte sich der Reichsfinanzhaushalt fast 25 Millionen Reichsmark, hunderte Grundstücke und Wertpapiere.
Eine weitere Bereicherung des Staates durch Beamten der Berliner Finanzämter fand bei der Eintreibung der "Reichsfluchtsteuer" statt. Danach mussten Menschen, die ihren Wohnsitz ins Ausland verlegten, 25 Prozent ihres Gesamtvermögens an den Staat zahlen. Dazu kam die nach den Novemberpogromen 1938 verabschiedete "Judenvermögensabgabe". Alle Juden, die mehr als 5.000 Reichsmark besaßen, mussten 25 Prozent an den Staat abtreten. Zur Finanzierung der massiven Aufrüstung sollten die Finanzbehörden so 1 Milliarde Reichsmark zusammenbekommen.
Nach den Worten Sarrazins und seines Brandenburger Amtskollegen Rainer Speer (SPD) macht die Studie endgültig Schluss mit der Legende, dass sich die Steuerverwaltung in der NS-Zeit politisch neutral verhalten und sich nicht schuldig gemacht habe. Friedenberger selbst sagte über die Ergebnisse: "Es ist ein Lehrbeispiel für den blinden Gehorsam der Ämter gegenüber der Staatsführung. Nur wenige haben sich widersetzt, die Repressionen wurden als normale Steuern wahrgenommen." In vorauseilendem Gehorsam, teils aus eigenen antisemitischen Motiven hätten Finanzbeamte oft selbst die Initiative ergriffen, um Vorschriften so scharf wie möglich zu Lasten der jüdischen Bürger auszulegen, so der Autor. Auch Nichtjuden waren von Verfolgung durch Finanzbehörden betroffen.
So stellte ein Berliner Finanzamt beispielsweise dem Friedensnobelpreisträger und Regimegegner Carl von Ossietzky 1936 einen Steuerbescheid über mehr als 23.000 Reichsmark für sein Preisgeld zu, erzählte Friedenberger. In der Begründung hätten die Finanzbeamten von einem marxistisch besetzten und reichsfeindlichen Nobelpreis-Komitee gesprochen. Die Steuer wurde dann erst auf Veranlassung des Chefs der Geheimen Staatspolizei, Reinhard Heydrich, erlassen, der politischen Wirbel im Ausland vermeiden wollte.
Friedenbergers Doktorvater, der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, schlug vor, am Gebäude des einstigen Finanzamtes Moabit West künftig an die "fiskalische Endlösung" zu erinnern.
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