Gelato in Berlin: Das Eis hat seinen Preis
Wer sich die Kugel geben will, muss immer tiefer in die Tasche greifen. Warum ist das so? Zwei Eishersteller berichten.
Was Piccin aber immer schwerer fällt: Gelato günstig verkaufen. Als er 2019 seine Gelatiere Artigiani in Zehlendorf eröffnete, kostete eine Kugel Eis 1,40 Euro. Inzwischen sind es 2,20 Euro.
Für Berliner:innen ist Eis nicht nur Süßigkeit. Eis ist Sommer, ist Kindheit. Eis macht glücklich. Es zu bezahlen aber nicht. Inflation, Wucher, Wirtschaftskrise – kein Argument scheint zu billig, um zu erklären, warum die Kugel an der Eisdiele nebenan wieder teurer geworden ist.
64 Prozent der Deutschen fanden dieses Jahr den Kugelpreis überzogen. Etwa ebenso viele gaben an, deshalb weniger Kugeln zu kaufen. Das fand das Meinungsforschungsinstitut YouGov bei einer Umfrage im Auftrag der dpa heraus.
Eis-Preise steigen schneller als Inflation
Eis hat also seinen Preis. Wie genau dieser aber gestiegen ist, ist gar nicht so einfach herauszufinden. Die Union für italienische Speiseeishersteller Uniteis lehnt Presseanfragen zum Kugelpreis kategorisch ab.
Und das Statistische Bundesamt erfasst das Speiseeis lediglich zusammen mit anderen sogenannten gastronomischen Nachspeisen. Die stiegen in den vergangenen fünf Jahren etwa um 30 Prozent an – ähnlich stark wie auch das industrielle Eis am Stiel.
Enrico Piccin verlangt mit seinem Kugelpreis von 2,20 Euro mehr als die meisten Mitbewerber in seinem Kiez. Für Berlin liegt er aber nur leicht über den Durchschnitt. 2,17 Euro kostet die Kugel 2025 hier, wie das Sparfuchs-Portal Coupons.de herausgefunden haben will.
Das ist mehr als der Bundesschnitt mit 1,81 Euro. Seit 2024 stieg er um neun Cent, also knapp fünf Prozent. Die Inflation beträgt dagegen aktuell nur knapp zwei Prozent. Das bedeutet: Eispreise steigen schneller als die Inflation. Zumindest, wenn man dem Sparfuchs-Portal glaubt.
Zutaten werden teurer
„In nur fünf bis sechs Jahren hatten wir eine verrückte Steigerung von Kosten“, sagt Piccin. Er kramt eine Rechnung von 2019 hervor. Piccin liest vor: Damals zahlte er für ein Kilo Pistazien zwischen 20 und 25 Euro. Heute beträgt der Kilopreis 40 bis 50 Euro. Auch die Preise für Milch und Sahne, also zwei der Hauptzutaten für Gelato, haben sich mehr als verdoppelt. Und sein Kakao ist sogar dreimal so teuer.
Und das sind nicht alle Kosten, die gestiegen sind. In seiner Gelatiere Artigiani verfolgt Piccini eine „No Convenience“-Politik. Er verwendet also keine Zutaten, die bereits weiterverarbeitet sind.
Für sein Zitroneneis benutzt Piccin etwa kein Aroma oder ausgepressten Saft. Er importiert seine Zitronen aus Sizilien. Artigiani verarbeitet sie vor Ort weiter. Mandeln, Pistazien und Haselnüsse mahlt die Gelatiere auch selbst. Das alles kostet Zeit. Und die muss Piccin bezahlen. 2019 zahlte er seinen Mitarbeitern noch einen Mindestlohn von etwa 9,50 Euro. Heute liegt er bei fast 13 Euro.
„Da kommen schon Preise zusammen, wo man erst mal tief durchatmen muss“, sagt auch Olaf Höhn. Er ist Geschäftsführer von Florida Eis. Die Berliner Marke stellt besonders nachhaltiges Eis in größeren Mengen her und beliefert damit zwei eigene Eisdielen, Gastronomie und Supermärkte. Aktueller Kugelpreis: 1,70 Euro.
Weniger Gewinn trotz höherer Preise
Das ist ebenso etwas teurer als die Kugel im letzten Jahr. Als Großproduzent läppern sich auch bei ihm die Kosten zusammen. Das gilt insbesondere für Strom. Eismaschinen fressen viel davon. Und wie eine Gelatiere muss Höhn das Eis ununterbrochen kühlen. Nach dem statistischen Bundesamt stieg der durchschnittliche Gewerbepreis pro Kilowattstunde zwischen dem zweiten Halbjahr 2019 und 2024 um 67 Prozent.
Der wichtigste Faktor bleibt aber das Wetter: Verregnete Julitage oder ein kühler August wie in diesem Jahr können das Geschäft ebenso schwer treffen wie hohe Kakao- und Milchpreise. Eine kleine Gelatiere wie Artigiani trifft das besonders hart, denn sie ist darauf angewiesen, genau in diesen Monaten gut zu verdienen. Im Winter kauft kaum jemand Gelato. Eisdielen haben also geschlossen. Die Miete müssen sie dann aber trotzdem zahlen.
„Dieser Sommer hätte besser laufen können“, sagt Olaf Höhn von Florida Eis. Seine Firma kann vermutlich dieses Geschäftsjahr trotzdem im Plus abschließen. Das hat der Eishersteller dadurch geschafft, indem er nicht alle Kosten, die entstehen, an die Kunden weitergibt. Höhn glaubt: Ist die Kugel günstig, beglücken Eltern nicht nur ihre Kinder mit einem Eis. Sie leisten sie sich dann auch selbst eins. „Manchmal muss man zurückhaltend sein, um überhaupt noch Umsatz zu machen“, sagt Höhn.
Enrico Piccin kam zu einem ähnlichen Schluss. Eigentlich müsste seine Gelatiere Artigiani alles in allem 2,80 Euro pro Kugel verlangen, um noch die gleiche Gewinnmarge wie mit den 1,40 Euro von 2019 zu erzielen. Ein doppelt so hoher Kugelpreis also, und das nur innerhalb von fünf Jahren. Wenn er aber so viel verlangt, gehen seine Kunden vielleicht zur Konkurrenz, fürchtet Piccin.
Billigeis im Kiez
Und die gibt es in seinem Kiez an jeder Straßenecke. Bei vielen kostet die Kugel weniger als zwei Euro. Piccin versteht nicht, wie die Konkurrenz solche Preise anbieten kann. Er selbst würde damit Verluste machen. „Vielleicht haben sie ja bessere Lieferanten“, sagt Piccin ratlos.
Oder sie sparen an anderer Stelle. In der Branche sollen Eispasten, Pulver oder künstliche Aromen beliebt sein, um frische Zutaten zu ersetzen und Personalkosten zu senken. Gerne mischt die Großindustrie auch mehr Emulgatoren in die Eismasse, um mit den Maschinen viel Luft in das Eis zu schlagen.
Bei handwerklichem Gelato dient meist Eigelb als Emulgator, damit schlägt die Maschine zwischen 10 und 30 Prozent Luft hinein. Das macht das Eis cremig. Bei Industrieprodukten kann Luft aber bis zu 80 Prozent des Inhalts ausmachen. Da die Eispackung mit Liter- statt Grammangaben in der Gefriertheke vom Supermarkt landet, ist der Unterschied für Kunden schwer zu erkennen.
Das bedeutet nicht, das mit handwerklichen Gelato kein Geld zu verdienen wäre. Mit den 2,20 Euro, die Piccin von seinen Kunden verlangt, kommt er zurzeit gut über die Runden. Es ist ein Preis, bei denen sich die meisten Menschen noch eine zweite oder dritte Kugel leisten können. Und das ist Teil des Geschäftsmodells einer Eisdiele.
Berlin will ausgefallene Sorten
Denn der Kugelpreis von 2,20 Euro gilt für jede Sorte – die Kosten in der Herstellung liegen aber unterschiedlich hoch. Pistazien- und Schokoladeneis sind etwa Must-have-Sorten, auf die Eisdielen nicht verzichten können, sie werfen aber vergleichsweise wenig Gewinn ab.
Deutlich besser rechnen sich Fruchteissorten – insbesondere, wenn sich die Zutaten aktuell in der Saison befinden. Kombinieren die Kund:innen Sorten in ihrem Eisbecher, so das Kalkül, kommt die Eisdiele auf eine Gewinnmarge, von der sie leben kann.
In Berlin lockt ein Gelatiere schon lange keine Kundschaft nur mit Schokoladen- und Pistazieneis an. Es braucht auch ausgefallene Eigenkreationen wie „Cheesecake“ oder „Moscow Mule“. „Die Menschen hier sind sehr experimentierfreudig“, sagt Piccin.
Wie man sich da noch abhebt? Mit Olivenöl-Gelato mit einer Rosmarin-Fusion und Zitronenschalen-Garnitur etwa, eine gefragte Eissorte bei Artigani. 2021 war auch sein Marihuana-Eis beliebt. Er mixte sogar schon mal eine Art Tomatensoßen-Sorbet inklusive Küchenkräuter und Focaccia zusammen.
Anzeichen einer Eis-Preis-Stabilisierung
Gut verkauft hat sich das nicht. Nach zwei Wochen verschwand es aus der Theke. „Aber die Leute reden immer noch darüber“, sagt Piccin lächelnd. Und Mundpropaganda ist wichtig. Sie lockt Kund:innen vielleicht nach der Winterpause wieder an, auch wenn die Kugel wieder um ein paar Cent teurer geworden ist.
Vielleicht erwartet Eisliebhaber nächstes Jahr aber auch eine Überraschung. Olaf Höhn von Florida Eis glaubt, Anzeichen einer Preisstabilisierung bei Produkten wie Kakao zu erkennen. Billiger wird der Kugelpreis so zwar nicht. „Aber er könnte sich auf dem aktuellen Niveau halten“, hofft Höhn.
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