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Gekränkte Ehre?

■ Angeklagter bestreitet Mordanschlag

Drei tote Familienangehörige, sexueller Mißbrauch, Wiederherstellung gekränkter Ehre mit Waffengewalt – der gestrige Prozeß vor der 27. Großen Strafkammer des Schwurgerichts begann unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Die 17jährige Zeugin Eylem Y. wurde im Gerichtssaal von drei Polizeibeamten vor eventuellen Übergriffen geschützt.

Ihr Onkel, der 29jährige Orkan I., ist angeklagt, am 9. Mai letzten Jahres drei Menschen heimtückisch getötet zu haben. Durch eine Handgranate und eine Pistole waren der Ehemann von Eylem und dessen Eltern ums Leben gekommen. Sie hatten ihm Vorhaltungen wegen des nach Angaben von Eylem stattgefundenen sexuellen Mißbrauchs gemacht. Der Angeklagte, der von dem Münchner Anwalt Rolf Bossi vertreten wird, bestritt gestern alle Vorwürfe. Er habe seine Nichte, für die er sich als einziger in Deutschland lebender Verwandter verantwortlich gefühlt habe, geliebt wie eine Schwester. Ihren Vorwurf, sie als Kind mißbraucht und vergewaltigt zu haben, könne er sich nicht erklären. „Ich habe das nie getan“, sagte er gestern. „Wenn ich das gemacht haben soll, warum hat sie das nicht früher gesagt?“ fragte er.

Seine Nichte hatte sich erst 1994, etwa zehn Jahre nach dem von ihr angegebenen Mißbrauch, ihren Schwägerinnen sowie ihrer Schwiegermutter anvertraut. Von da an gab es einen regen Telefonverkehr zwischen der Familie Y. und den Eltern von Eylem. Im Mai letzten Jahres entschloß sich der in Duisburg lebende Angeklagte, nach Berlin zu fahren, um seine Nichte dazu zu bewegen, mit ihm zu kommen. Die Anklage geht davon aus, daß er dadurch auch beabsichtigt habe, seine vermeintlich verletzte Ehre wiederherzustellen.

Mit einer jugoslawischen Handgranate mit einem Splitterradius von zwanzig Metern und einer Browning-Pistole im Gepäck fuhr der Angeklagte nach Berlin. Als er in der Wohnung der Schwiegereltern seiner Nichte in der Manteuffelstraße erkannte, daß er sein Ziel nicht erreichen würde, zündete er die Granate. Er selbst legte sich auf das Sofa im Wohnzimmer, um der Sprengwirkung zu entgehen. Der Ehemann seiner Nichte und ihr Schwiegervater erlagen noch am Tatort ihren Verletzungen, ihre Schwiegermutter starb wenige Tage später im Krankenhaus.

Orkan I., der den Besitz der Pistole damit begründete, daß sie ihm ein „Gefühl der Sicherheit“ gegeben habe, bestritt sowohl den Besitz als auch das Zünden der Handgranate. Er habe lediglich aus Angst die Pistole gezogen. Dann habe er einen „Riesenknall, wie eine Bombe“ gehört. Ab dem Moment könne er sich an nichts mehr erinnern. Barbara Bollwahn

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