: Geistes-Heldenleben
■ „Von Liebe noch nicht der Beweis“ als Uraufführung in den Kammerspielen
Ach, die Liebe. Oh, die Kunst. Oder: Sie küßten und sie schlugen sich – und das schriftlich und über einen langen Zeitraum. Jahrzehntelang schrieben sie sich Briefe, der Schriftsteller Carl Sternheim und seine spätere zweite Frau Thea. Zuerst, als sie ihre Liebe noch geheimhalten mußten, schrieben sie Sehnsuchts- und Bettelbriefe nebst kleinen Abhandlungen über die Kunst (er), Liebes- und Bewunderungsbriefe (sie); später, nach Heirat, unzähligen Ehebrüchen und künstlerischem Erfolg seinerseits, Frustrationen und Emanzipationsversuchen ihrerseits, schrieben sie sich nur noch Haßbriefe.
Als guter Ehemann zeigt sich Sternheim in dieser Korrespondenz ganz gewiß nicht, eher erscheint er als Fall für Theweleits erstes Buch der Könige: Sein Erfolg war zu einem guten Teil auch auf den Verbrauch von Frauenkörpern gebaut – den Verbrauch Theas, die er erst heiratet, nachdem sie reich geerbt hat, und den von unzähligen Geliebten. Von Thea wiederum echot lange Zeit nicht viel mehr zurück als sein Genieglaube an sich selbst – es ist der deutsche Dichter und Denker, den sie in ihm verehrt.
So lag alles bereit für eine funkelnde Fallgeschichte aus dem deutschen Geistes- und Frauenleben. Doch Egon Karter und Wolfgang Wendler, die aus dem Briefwechsel von Carl und Thea Sternheim (unter Zuhilfenahme von Theas Tagebuch) das Stück Von Liebe noch nicht der Beweis arrangierten, waren allzu sehr auf die Entlarvung des Dichters aus. Die Dokumente ordnen sie vom Zeitpunkt der bereits gescheiterten Beziehung aus an, die anfängliche Liebestaumelei zeigen sie als Rückblende – falls sich Thea tatsächlich in so einen Hanswurst und Wichtigtuer verliebt haben sollte, hat sie wirklich nichts anderes als selbst schuld.
Und Uwe Hergenröder, der die Uraufführung am Sonntag in den Hamburger Kammerspielen inszenierte, ließ zwischen den beiden Figuren auch auf der abschüssig gebauten Bühne keine Spannung aufkommen. Heinrich Giskes spielt Carl Sternheim als egozentrischen, von antibürgerlichen Attitüden zehrenden, linkischen Mann. Christine Ostermayer spielt Thea Sternheim als erst entzückte, dann enttäuschte, aber auch lebenskluge Frau. Und beide spielen sie aneinander vorbei. Mag sein, daß dies historisch korrekt ist, spannend ist es nicht. Dirk Knipphals
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