: Geisterbeschwörung in Kaltern
Fußball-Europameisterschaft in Italien: Die deutschen Frauen wollen den dritten EM-Titel in Folge holen und spielen im Halbfinale zuerst einmal wie gewöhnlich gegen die Gastgeberinnen ■ Von Matthias Kittmann
Keine Atempause – Fußballgeschichte wird gemacht. Bei der Europameisterschaft der Fußballdamen in Italien (29. Juni – 4. Juli) wollen die deutschen Ladies zum dritten Mal in Folge den Titel holen. Damit würden sie ihre männlichen Kollegen locker überflügeln. Doch zuvor muß am 30. Juni in Rimini die heimische Mannschaft im Halbfinale besiegt werden. Aus unerfindlichen Gründen trafen noch bei jeder EM diese beiden Teams im Halfinale aufeinander. Im anderen Semifinale stehen sich Dänemark und Norwegen gegenüber – auch das keine Überraschung.
Um das Finale am 4. Juli in Cesena zu erreichen, hat der DFB nichts dem Zufall überlassen. Nach der bekannten deutschen Tradition der Geisterbeschwörung soll diesmal der „Geist von Kaltern“ helfen, jener Ort, in dem sich schon die deutschen Herren zum WM- Titel trainierten. Dort in Südtirol muß es tatsächlich recht nett sein, denn Co-Trainerin Tina Theune- Meyer ist sehr angetan von den guten Bedingungen: „Hier ist kein Rummel, der Fußballplatz liegt vor der Tür und die Landschaft ist traumhaft.“ Das war bei der Weltmeisterschaft in China letztes Jahr noch ganz anders. Dort hatte es erstmals einen öffentlich gewordenen Zwist über die Vorbereitung und Auswahl der Mannschaftsmitglieder gegeben. „Die Vorbereitung in diesem fremden Land war viel zu kurz. Während wir noch über die chinesische Mauer staunten, hatten die Amerikanerinnen schon das erste Tor geschossen“, erzählte eine Spielerin. Auch empfanden es die Kickerinnen nicht gerade als aufmunternd, daß Chef- Coach Gero Bisanz mal wieder davon sprach, den Job aufzugeben, um endlich eine Männermannschaft zu trainieren – was er genauso regelmäßig dann doch nicht tut. Diesmal kann das Trainerduo aus dem vollen schöpfen, nicht zuletzt, weil Tina Theune-Meyer unermüdlich durch die Lande reist, um die Spielerinnen zu beobachten und dabei auch noch die Juniorinnen betreut. Dort hat sich auch die kurzfristig nachnominierte Steffi Jones (SG Praunheim) empfohlen, „sie hat in der U20 tolle Spiele gemacht und sich mit ihrer Leistung einfach aufgedrängt“. Bis auf Martina Voss, die ein Babyjahr nimmt, sind in Italien alle Topspielerinnen dabei. Auch die an einer Achillessehnenverletzung laborierende Silvia Neid wird zum Halbfinale wieder fit sein. Die 70fache Nationalspielerin ist im Mittelfeld der Dreh- und Angelpunkt. Ihr zur Seite steht die erst 21jährige Bettina Wiegmann, deren Stern für die breitere Öffentlichkeit beim Berliner Pokalfinale aufging, als sie die beste Akteurin auf dem Platz war. Hinter den beiden steht mit Doris Fitschen „die beste Libera Europas“ (Theune-Meyer). Zwischen den Pfosten ist nach dem Abschied der langjährigen Klassetorfrau Marion Isbert eine Lücke entstanden, die nur schwer zu füllen ist. Doch die Trainerin ist sicher, daß Silke Rottenberg vom Pokalsieger TSV Siegen und Manuela Goller von GW Brauweiler mehr als nur Ersatz sind, „die beiden sind Deutschlands beste Torhüterinnen. Wir können uns sogar erlauben, sie taktisch einzusetzen, je nach Gegner“.
Ja, und dann gibt's da ja noch Heidi Mohr, deren Trefferquote mit einem Mann zu vergleichen, klar zu Lasten des Herren gehen würde. Fast im Alleingang hat sie Ihren TuS Niederkirchen zur Meisterschaft geschossen. Sie hat die ehrenvolle Aufgabe, den „young guns“ des Teams das Toreschießen vorzumachen, denn keine ihrer Angriffskolleginnen ist älter als 21 Jahre. Überhaupt ist erstaunlich, daß das Durchschnittsalter lediglich 23 beträgt, obwohl sechs Spielerinnen schon mehr als 30 Länderspiele absolviert haben.
Vor dem Halbfinale ist erst einmal Entspannen angesagt, „besonders die Siegener Mädchen kamen nach der anstrengenden Saisonendphase, mit zwei Finals über die Verlängerung, hier völlig platt an“, erzählt Tina Theune-Meyer verständnisvoll, „die konnten keinen Ball mehr sehen.“ Deshalb wurde am Kalterer See in zwei Gruppen wohldosiert trainiert, bevor es in das EM-Quartier nach Forli ging. „Wir machen auch mal einen halben Tag Pause, um auf andere Gedanken zu kommen.“ An Freunde, Freundinnen und Ehemänner darf dabei allerdings nur platonisch gedacht werden, vor allem anderen ist der DFB vor.
Wenn das Halbfinale wie geplant läuft, erwartet die Trainerin im Endspiel Vizeweltmeister Norwegen, „die sind für mich die eindeutigen Favoritinnen“. Doch so leicht will sich das deutsche Team nicht den Triumph nehmen lassen, den Herren um eine Nasenlänge voraus zu sein – die wurden erst zweimal Europameister, und das noch nicht einmal hintereinander.
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