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Geisterbahn in der Eislandschaft

■ Der Regisseur Thomas Bischoff verwandelt Schillers „Kabale und Liebe“ in ein frostig-schönes Schauerstück

Hallo Ihr da. Hat jemand unter Euch einmal etwas gegen dieses Regietheater vorzubringen gewußt? Hat sich über eigenwillige, eigensinnige und selbstherrliche SpielleiterInnen beklagt, die ein Stück nur als Steinbruch benutzen und drauf herumschlagen, bis vom Original kaum etwas bleibt? Hat sich über die Herren Jungregisseure schon gefreut, die neuerdings wieder die Geschichten in den Klassikern erzählen wollen und denen das Wort Strichfassung nur noch ein Lexikonbegriff ist? Dann, ja dann müssen wir warnen. Denn am Bremer Schauspielhaus ist das Regietheater wieder auferstanden in einer Konsequenz wie seit Jahren nicht: „Kabale und Liebe“ steht da noch drüber, doch der Regisseur Thomas Bischoff hat vom Stück nur ein „Luisen-Material“ gelassen, auf daß manche „ihren“ Schiller nicht wiedererkennen werden. Die meisten anderen aber, die keinen Vergleich haben, werden das, was sie da sehen, möglicherweise für Schiller halten. Doch vor allem werden sie eine Erfahrung machen: Wie schön nämlich eine Expedition zum Nordpol sein kann, wenn man weiß, daß das wunderbar milde, angenehme, liebliche, frühherbstliche Bremen nur ein paar Schritte entfernt liegt.

„Kabale und Liebe“ galt einmal als drittes Jugendwerk des damaligen Jungdramatikers Friedrich Schiller (1859-1805). Es war einmal ein Trauerspiel von der Liebe zwischen der bürgerlichen Luise und dem adligen Ferdinand. Und es erzählte einmal halb kolportagenhaft, halb wie ein (Schiller-) Thriller, wie Ferdinands Vater, der Präsident von Walter, und der Schreiber Wurm diese Liebe mit ihrer Kabale (sprich: mit Ränken und Intrigen) angreifen und zerstören bis zum tödlichen Ende. Von all diesem Rasen und Glühen, Eifern und Vernichten ist im Schauspielhaus nichts mehr geblieben. Denn Thomas Bischoff hat das Jugendwerk abgekühlt auf Temperaturen weit unter Null. Er hat dem Stück eine Konzeption aufgezwungen oder abgewonnen, die von der tragisch verlaufenden Romanze und dem religiösen Pathos, von dem es durchdrungen ist, nichts mehr läßt. Für die Jahreszeit zu früh, nämlich schon Wochen vor der Freimarktsaison, ist es hergerichtet als Geisterbahnfahrt für den gehobenen Geschmack.

Die Bühne ein „öffentlicher Raum“: Schwarze Wände mit Durchlässen an den Seiten grenzen einen Platz aus schiefen Treppenkaskaden ein (Bild und Kostüme: Ute Kala). Ganz anders als im Original steht die Lady Milford, mit der Ferdinands Vater seinen Sohn erst im Verlauf der Kabale verheiraten will, gleich zu Beginn da. Eng geschnürt, aber innerlich bebend spricht, nein phantasiert diese Mätresse Lady Milford (Henriette Cejpek) von Liebe und von Ferdinand. Und sie wird die einzige bleiben, der man zutraut, aus ihrem Korsett auch herausplatzen zu können. Denn nach diesem nicht erfundenen, das Stück aber doch umdeutenden Prolog, folgt – an Schillers Handlungsfaden entlang – ein Reigen von und mit lebenden Toten, wie sie zugeschnürter und säulenhafter kaum je zuvor zu sehen waren. Da ist Ferdinands Vater, der Präsident (Andreas Hermann), nichts anderes als ein Eisklotz von Schreibtischtäter. Und Luises Vater, der Musikus Miller (Sebastian Dominik), steht ihm darin nicht nach. Und doch sind dies nur Nebensachen gegen die Hauptsache, die Thomas Bischoff an der „Kabale und Liebe“ ändert.

Die Liebe zwischen Luise und Ferdinand ist bei ihm allenfalls etwas Gewesenes. Zwar kommt auch Schiller schnell zum tragischen Teil der Sache, doch bei Bischoff fehlt die Romeo-und-Juliade ganz. Möglicherweise haben sich die beiden einmal gemocht, doch was sie in dieser Inszenierung noch bindet, sind unsichtbare Ketten und blanker Haß. Statt dessen läßt Bischoff das Haßpaar die bei Schiller nur einseitige Zuneigung der Lady Milford für Ferdinand und des Schreibers Wurm für Luise durch kleinste Gesten und spärlichste Blicke erwidern.

Diese Umdeutung ist so radikal, daß der Text dem Konzept eigentlich permanent zuwiderlaufen und es vor Stolperfallen unfreiwillger Komik nur so wimmeln müßte. Doch die Inszenierung hält das Unmögliche in der Schwebe des vielleicht doch Möglichen: Wenn Luise (Anika Bauer) und Ferdinand (Alexandre Pelichet) einander (bei Schiller) von Liebe sprechen, betreiben sie (bei Bischoff) eine Politik der Nadelstiche und wälzen ihre Worte in kühlster Berechnung als Verhandlungsmasse. Selbst das zärtlichste Sätzchen wird jeder Bedeutung enthoben oder, wenn es anders nicht lösbar ist, irgendwohin ins Leere gesprochen.

Thomas Bischoff, der die vergangene Spielzeit mit Heiner Müllers Titelbandwurm „Verkommenes Ufer, Medea Material, Landschaft mit Argonauten“ eröffnete, bringt seinen strengen Inszenierungsstil hier so sehr zur Entfaltung, daß sich die Beklemmung schon körperlich wahrnehmbar auf das Publikum überträgt. Er folgt einer so einfach benennbaren wie schwer in letzter Konsequenz auf die Bühne zu bringenden Technik: Jeder Affekt ist aus den Handlungen der Personen getilgt, alle Taten sind vorsätzlich. Das reift hier zu einer Form heran, in der ein Händedruck von Luise und Ferdinand eine tödlichere Wirkung hat als jede Waffe und jedes Aneinanderlehnen ein traurigeres Bild abgibt, als es Worte auf der Bühne beschreiben könnten.

Bischoffs Regietheater wäre jedoch nichts ohne diese Bremer SchauspielerInnen. Neben den vertrauten Gabriele Möller-Lukasz, Andreas Hermann. Sebastian Dominik und (dem Gast?) Alexandre Pelichet debütieren mit Anika Mauer, Henriette Cejpek, Fabian Gerhardt und Franz Sodann gleich mehrere der Neuen im Ensemble. Und wenn die halten, was sie in diesem zweistündigen Schauerstück versprechen, dann ist im Bremer Schauspielhaus ein Ensemble tätig, das seinesgleichen sucht.

Warmer, lang anhaltender Beifall für die Mitwirkenden, das Regieteam und eine so spannende wie eiskalte Inszenierung.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 25., 26. und 30. September sowie am 7., 9., 11., 14., 17., 20., 22. und 31. Oktober jeweils um 20 Uhr im Schauspielhaus

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