Geht’s noch: Stets ein guter Rat
Die Bertelsmann Stiftung hat zu fast allem etwas zu sagen – und veröffentlicht zu jedem Thema eine „Studie“
Dieser Tage geht die Saure-Gurken-Zeit zu Ende, die nachrichtenarmen Wochen während der Sommerferien und die Saison, in der Politiker mit der Forderung, Mallorca zum 17. Bundesland zu machen, in die Presse kamen. In vergangenen Jahren unterhielten uns die „Sommertiere“ wie das Ungeheuer von Loch Ness, das zuletzt berichterstattungstechnisch Konkurrenz von Problembären und diversen Schwänen bekam. Und dann waren da noch das Alienbaby in Mexiko und der spukende Spucknapf von Regensburg. In diesem Sommer wurde man stattdessen immer wieder von Meldungen aus der Ferienstimmung gerissen, die von einer Institution stammten, die Problembär, Alienbaby und spukender Spucknapf in einem ist: der Bertelsmann Stiftung.
Fast jede Woche warf die Gütersloher Denkfabrik eine ihrer berüchtigten „Studien“ auf den Markt der Meldungen. Und die Bertelsmann Stiftung hat zu fast allem etwas zu sagen: zum Beispiel zur Altersarmut oder der Haushaltslage der Kommunen. (Mit Geld kennt man sich bei der Stiftung aus und veröffentlicht darum keine Informationen über die eigenen Finanzen.) Andere Untersuchungen thematisieren den Populismus in Deutschland, das Fehlen von Klassenzimmern und besonders gerne und immer wieder die Muslime in Deutschland, die „nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung“ so gut in den Arbeitsalltag integriert seien wie andere Deutsche – eine überraschende These, der die zahllosen muslimischen Bankdirektoren, Chefredakteure, Aufsichtsratsvorsitzenden und Ministerpräsidenten hierzulande voll zustimmten.
Zum Glück hat die Stiftung immer einen guten Rat auf Lager: Man fordert eine Ausbildungsplatzgarantie und rät von kostenloser Kitabetreuung ab, empfiehlt, „Alterssicherungssystem zukunftsfester und weniger krisenanfällig“ zu gestalten, und mahnt, dass „die Entwicklung digitaler Kompetenzen mit technologischen Innovationen Schritt“ halten muss. Geht klar, Bertelsmann Stiftung!
Wahrscheinlich hätte die steuerbegünstigte Truppe auch einen Tipp parat, wie man Flecken am Hemdkragen entfernt. Vielleicht könnte sie aber auch mal untersuchen, warum die deutsche Presse eigentlich immer wieder über die Stöckchen springt, die ihnen die Bertelsmann Stiftung hinhält, und über jede „Studie“ berichtet – und das nicht nur in der Saure-Gurken-Zeit. Tilman Baumgärtel
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