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„Geh doch zurück nach Afrika!“

Mit Genuß verjagt ein Thüringer Dorf einen schwarzen Briefträger. Seit sich die Fernsehkameras für die rassistischen Dörfler interessieren, beginnen einige sich zu schämen, andere sind empört  ■ Von Thorsten Schmitz

Berlin (taz) – Vachdorf in Thüringen ist eines dieser 500-Seelen- Käffer, in denen Straßenschilder und Hausnummern Raritäten sind. Eine Hölle für Postboten, denn außerdem tragen 40 Prozent der Vachdorfer den Nachnamen Werner. Oft kommt es vor, daß richtige Briefe im falschen Briefkasten stecken. Für Julio Zime, 32, wurde der schöne Ort inzwischen zur Tabuzone. Er betritt ihn nicht mehr, er lädt nur noch Pakete im örtlichen Postamt ab. Dann macht er sich aus dem Staub.

Vor anderthalb Wochen hatte Zime angefangen, als Aushilfsbriefträger für zwei Wochen die Post zuzustellen. Im Radio hatten sie nach Hilfskräften gesucht, das Suhler Arbeitsamt entsandte ihn nach Vachdorf. Und weil sich Zime, der seit fünfzehn Jahren in Suhl lebt, in Vachdorf nicht auskennt, mußte er zuweilen Passanten nach dem Weg fragen. Oder nach den Hausnummern – die fehlen an jedem zweiten Gebäude. Zime konnte noch so freundlich fragen, er wurde immer wieder in falsche Richtungen geschickt. Nicht ohne Vachdorfer Wegbeschreibungen für Ausländer: „Du Stinker!“, „Geh nach Afrika!“, „Du Aids-Schleuder!“

„Man hat mich bewußt in die Irre geführt“, sagt Zime heute geknickt. Die Vachdorfer machten aus ihrem Vachdorf ein Labyrinth – weil der neue Postbote eine andere Hautfarbe hat als sie. Eine Woche lang häufte der aus Mosambik stammende und mit einer Deutschen verheiratete Mann Überstunden an, er wollte schließlich die Post richtig zustellen. So kam er immer erst spät abends nach Hause. Sein Vorgesetzter findet: „Er hat die Arbeit sehr gut gemacht.“ Genutzt hat das Zime nichts. Manche Vachdorfer verweigerten sogar die Annahme der eigenen Post. „Von einem Neger lasse ich mir keine Post bringen.“

„Von einem Neger will ich keine Post“

Inzwischen wurde Zime auf eigenen Wunsch versetzt. Er fährt nun Pakete vom Zentralen Postamt Meiningen in andere Dörfer aus, auch in das Dorf, das ihn verstoßen hat. Für den Meininger Postchef, Arthur Piotrowski, ist der fein gestreute Haß gegen einen schwarzen Postboten „eine völlig neue Erfahrung“. Er hätte nie gedacht, sagt er, daß „das solche Formen annehmen kann“.

Auch Brigitte Ullrich findet es „unglaublich, daß so etwas überhaupt noch zum Thema werden kann“. Als die Pressesprecherin der Deutschen Post AG, Sektion Erfurt, von „dem Fall“ zum erstenmal hörte, ließ sie den Kuli fallen vor Schreck: „Ich bin ja jetzt noch geschockt.“ Es sei doch völlig normal, daß bei der Post Ausländer arbeiteten. „12.000 immerhin aus über 100 Ländern“, das sagt sie dreimal. Wobei sie einräumt, daß die wenigsten in Ostdeutschland Briefe austragen. Ullrich findet nicht, daß die Post nachgegeben hat und auf rassistischen Druck hin eingeknickt ist: „Es war der Wunsch von Herrn Zime, versetzt zu werden. Er ist im Prinzip eingeknickt.“ Man könne ihn schließlich nicht nach Vachdorf zwingen.

Zime hätte nie mit „so was“ gerechnet, in Suhl lebt er „integriert“, wie er sagt. Er habe sich bemüht, freundlicher zu sein. „Aber davon wird man auch nicht weiß.“

Die Stimmung im Dorf selbst schwankt zwischen Scham und Empörung, Protest und Planlosigkeit. Fernsehteams aus aller Welt haben die Vachdorfer eingeschüchtert, erst recht Lothar Obst. Der verheiratete Vater zweier Kinder besitzt zwei Sportgeschäfte („Loob“) in Meiningen und spielt in der ortsansässigen Kreisliga Fußball. Obst, dessen Einfamilienhaus in der Poststraße steht, hatte sich letzte Woche in einer Vachdorfer Kneipe darüber aufgeregt, daß die Postboten ständig wechselten – und daß nun, ausgerechnet, „auch noch ein Neger“ den Job mache. Obst hat einen gewissen Einfluß im Dorf, den kostete er aus. Zusammen mit Gesinnungsgenossen soll er sich zum Ziel gesetzt haben: Wenn der Postmann gar nicht mehr klingelt. Obst jedenfalls legt den Hörer auf, wenn man ihn dazu befragt.

Es wäre ungerecht, alle Vachdorfer zu verdammen. Seit gestern muckt die Obst-Opposition auf. Jugendliche des Dorfes sammeln Unterschriften. Sie wollen, daß Zime wieder die Post austrägt. Sogar die Behörden wollen sich heute bei ihm „offiziell“ entschuldigen und den Ruf der Gegend zurechtpolieren.

Doch so bald wird Zime nicht wieder nach Vachdorf kommen. Meiningens Postchef Piotrowski schwört: „Wir würden es ihm nicht noch mal zumuten, nach Vachdorf zu gehen.“

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