: Gegenpol zur Superstar-Manie
Der Kölner Musiker Frank Sackenheim will mit der Konzertreihe „Homegrown“ im Stadtgarten ein neues Forum aufbauen. In der lokalen Szene hapere es am Willen zur kreativen Zusammenarbeit
VON INGO PETZ
Erfolgreiche Musik aus Köln ist erstmal BAP, Karneval und „Superstars“, produziert im Ossendorfer Zentralkomitee für Kultur mit nationalen Folgen. Daneben gibt es gute Klassik, eine Elektronik-Szene, ein alterndes Jazz-Image, Punk-/Rock-/Pop-Bands, die es nie, mal oder fast geschafft haben (das „Rausch“-Syndrom). Vor allem aber gibt es sehr viele begabte Musiker, die es zwar schaffen wollen, aber entweder nicht um jeden Preis oder nicht für jeden Preis. Oft selbst verschuldete Lethargie und Frustration sind groß in einer Stadt, die sich zudem nur wenig um ihre lokale Musikkultur schert.
Der Saxofonist Frank Sackenheim (28) hat ein Gegenmittel entwickelt. „Homegrown“ ist eine neue Konzertreihe im Studio 672 des Stadtgarten. Das Konzept: Einmal im Monat präsentieren zwei Bands oder Künstler aus Köln und Region ihre Arbeit. Als Haupt-Act spielt die Homegrown-Band, besetzt mit jungen, hochkarätigen Musikern, die sich zu jeder Show einen Überraschungsgast einladen. „Der Clou ist, dass wir die Stücke komplett für eine Band mit Bläsern arrangieren“, sagt Sackenheim. „Stilen ist keine Grenze gesetzt. Es geht nicht nur um Jazz, Rock, HipHop. Es kann auch Indie, Punk, Soul oder Schlager sein.“ Die Kreuzung solle etwas Neues, Überraschendes schaffen.
Sackenheim will so ein neues Forum für Köln aufbauen. Viele Auftrittsmöglichkeiten gibt es neben Underground, Loft, Gebäude 9, Arttheater und MTC nicht mehr – für eine Stadt mit einer der besten Musikhochschulen und der größten Universität Deutschlands ein Trauerspiel. Auch wenn gerade im Zuge der Kulturhaupstadt-Euphorie diskutiert wird, die Lärmschutzschranken abzubauen. „Die Leute sollen raus aus den Löchern“, sagt Sackenheim und er weiß, dass dies eine Scheuklappenfreiheit und Risikofreude voraussetzt, die in den verschiedenen Genres oft nicht vorhanden ist. „Warum gibt es in Köln keine kreativen Kollektive wie in Hamburg oder Berlin?“, fragt er. „Weil es keine Szene gibt. Die Leute müssen miteinander reden.“
In den Neunzigern gingen viele Kölner Musiker nach Berlin. Die Kölner Band „Angelika Express“ hat dem Phänomen das ironische Lied „Geh doch nach Berlin“ gewidmet. „Viele Musiker sind auch wieder zurück gekommen“, fährt Sackenheim fort. „Weil das musikalische Potenzial in Köln scheinbar größer ist als in Berlin. Nur hapert es am Kreativitätswillen. Jeder macht irgendwas für sich, aber zusammen passiert wenig.“
„Homegrown“ sei auch eine Anti-Bewegung „zur talentfreien Superstar-Manie.“ Sackenheim: „Wir müssen uns endlich wieder den Arsch abarbeiten und kleinere Brötchen backen. Jeder will von heute auf morgen berühmt sein. Warum nutzen wir nicht einfach das starke Potenzial aus der Umgebung, sondern denken stattdessen immer national?“
Ein guter Anspruch, es bleiben Zweifel. Denn zwar lässt sich nach drei starken Konzerten nur sagen, dass nirgendwo in Köln an einem Dienstagabend so gute Musik auf einer sehr kleinen Bühne geboten wird. Aber längerfristig müssten als Überraschungsgäste auch bekanntere Künstler zur „Homegrown“-Kreuzung. Warum nicht Krätzje-Sänger Gerd Köster, „Angelika Express“ oder Markus Berges von „Erdmöbel“ einladen? Oder vielleicht Klaus Cornfield, einst Sänger von „Throw that Beat in the Garbage Can“ und heute Macher der wunderbaren Indie-Band „Katze“. Das erfordert Kampf an der Angst- und Allüren-Front und vor allem den Abbau von Scheuklappen.
Morgen startet „Homegrown Teil 4“ im Studio 672. Beginn ist 20 Uhr. „Deutsche Texte“ ist das Motto des Abends. Neben der Hausband, die sich den Bassisten Krischan Frehse eingeladen hat, spielen die Deutsch-Popper Luka Neuser und die Band „Stillgruppe“. Als Schmankerl kann sich jeder Zuschauer demnächst sofort nach der Veranstaltung das Konzert seiner Lieblingsband als Direktmitschnitt auf CD mit nach Hause nehmen. Und im Sommer soll „Homegrown“ auch an die Luft in die Parks gehen.