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Gegen die Skeptiker

■ Vor dem Einzelhandelsverband demonstrierte der Senat grenzenlosen Optimismus / Viel Verkehr macht Kasse

Es gibt unverbesserliche Skeptiker. Der Vorsitzende des Einzelhandel-Verbandes Nordsee, Helmut Zorn, scheint so einer zu sein. „Ein bißchen Herumkurieren an Symptomen bringt nichts“, erklärte er am Dienstag abend den knapp 200 Gästen im Bremer Parkhotel, „das wäre nur weiteres Managementversagen.“ Am ersten Tisch neben dem Redner saßen die, die sich angesprochen fühlen mußten: Henning Scherf und Wirtschaftssenator Hartmut Perschau.

Die beiden Poltiker wollten dies offenbar auf keinen Fall auf sich sitzen lassen. „Demonstrativ“ würden SPD und CDU zusammenrücken, versicherte Scherf, und kam beinahe ins Schwelgen, wie wunderbar dies am Fall des Vulkan sich erwiesen hat, vom ersten Tag an, als der frisch ins Amt gekommene Senat die Hiobsbotschaft erhielt: „Im August war die Firma plötzlich pleite, das haben wir von den Banken erfahren.“ Nie habe es da nur eine Idee von Zwist oder Konkurrenz zwischen SPD und CDU gegeben. Ist das nicht vorbildlich, wie der Senat mit dem Vulkan-Thema umgeht? So will der Senat, versprach Scherf, auch „mit Ihnen zusammen“ nach vorne gucken.

Niemand investiert soviel wie Bremen, 4,3 Milliarden Mark sollen in vier Jahren ausgegeben werden. Das will Scherf durchhalten, „obwohl auf der Straße Kindergärten und Schulen demonstrieren“ und meinen, bei ihnen würde es am ehesten fehlen. Der inzwischen bundesweit als Stück Stadtkultur anerkannte Klangbogen, gegen den anfangs alle waren, zeigt für Scherf, worauf es ankommt: „Mut zur Zuversicht ausstrahlen.“

Wirtschaftssenator Perschau konnte da nur zustimmen. „Man muß die Boote über die Brandung heben“, das ist sein Slogan gegen die Kritiker und berufsmäßigen Skeptiker. In der Stadt muß was los sein, wer die Stadt zur Metropole machen will, der „muß die Verkehre lieben“. Musical? Nichts zieht soviel Geld in eine Stadt wie sowas. Space-Park? Vorvertrag ist unterschrieben. Ocean-Park? Vorvertrag wird demnächst unterschrieben. „Wir haben keinen Mangel an Geld, es spricht vieles dafür, es auszugeben - möglichst für die richtigen Dinge.“

Die Rede des Einzelhandel-Chefs Zorn konnte mit diesem senatorischen Optimismus kaum mithalten. Bremen wird keine Chance haben, seine Selbständigkeit zu erhalten, „wenn es nicht gelingt, die Suburbanisierung umzukehren“, formulierte er ultimativ – und der einschlägige wissenschaftliche Sachverstand sagt, daß dies nie und nirgends gelingen wird. Linie 4? Unsinn. Das Gerede über den ÖPNV ist für Zorn geradezu schädlich. Warum? „Über 50 Prozent des Einzelhandel-Umsatzes sind nicht unbedingt lebensnotwendig, sondern dienen dem Genuß und der Lust am Leben.“ Luxus und Mode ziehen die Leute in die Großstädte, aber wer Luxus einkaufen will, quält sich dafür nicht in eine Straßenbahn, sondern will im PKW vorfahren. „Wer die Selbständigkeit Bremens will, muß den dadurch ausgelösten Verkehr wollen“, bekräftigt Zorn, die „Angstmacherei“ der „Propheten des Untergangs“ (wegen CO2 und so) sei häufig verknüpft mit „mangelhafter Genuß- und Lustfähigkeit“. Irgendwie schien der Verbandsvertreter noch nicht ganz überzeugt, daß auch Scherf und Perschau nur noch von Lust und Genuß getrieben sind. K.W.

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