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Gegen den Zwang zur Protestkunst

■ Der türkische Maler Tamer Serbay stellt in der Galerie El Patio aus und wehrt sich gegen die erstarrte Erwartungshaltung, türkische Künstler müßten „politisch engagiert“ malen

Was malt ein türkischer Maler, der in Deutschland lebt? Gewiß „engagiert“ er sich, zeigt sozialkritisch und offenen Auges die Probleme zwischen Türken und Türken, zwischen Deutschen und Türken, und das in realistisch -naturalistischer Pinselführung. Ein türkischer Maler in Deutschland nutzt die Kunst vor allem als politisches Instrument. Klischee oder Tatsache? Beides, wie sich im zweiten Galeriegespräch der Galerie El Patio herausstellte. In deren Räumen stellt derzeit Tamer Serbay, in Kiel lebender Maler aus Ankara, seine sensiblen und sehr ästhetischen Bilder aus, die dem gängigen Klischee in keiner Weise entsprechen.

Auch Serbay kennt die erstarrten Erwartungen eines Publikums, das dem hierzulande arbeitenden ausländischen Künstler weniger die Auseinandersetzung mit künstlerischen als mit politischen Problemen zugesteht. Die Gesprächsteilnehmer konstatierten damit eine doppelte Diskriminierung: die des Fremden, weil sein Status als Ausländer noch betont wird, und die des Künstlers, weil seine Arbeit weniger unter künstlerischem Aspekt als unter dem der politischen Tauglichkeit bewertet wird. Dann allerdings wird ihr gerne applaudiert, und Serbay versteht ebenso wie er es kritisiert -, daß sich viele seiner Landsleute durch solch zweifelhaften Erfolg verleiten lassen,

auf dem einmal eingeschlagenen plakativ-kritischen Gleis weiterzumalen. Dadurch aber entstehe ein höchst einseitiges Bild zeitgenössischer türkischer Kunst.

Dabei klammert Tamer Serbay keineswegs Sozialkritisches aus seinen Bildern aus, wie das problematische Miteinander von Menschen und Kulturen, die sich fremd sind, das emotionale Hin-und Herpendeln zwischen dem Land, in dem er aufwuchs, und

dem, das ihm zur zweiten Heimat wurde. „Das sozial Feststellende“, wie er es nennt, ist allgegenwärtig in seinen Bildern, doch es ist differenziert und äußerst verfeinert. Ihm geht es nicht um die Dokumentation, sondern um die künstlerische Reflexion von von Zuständen, die durchaus individueller Natur sein können und unabhängig von ethnologisch-nationalen Unterschieden: die Vereinzelung des Menschen in der

Masse, seine Sehnsüchte, seine Träume nach Licht und Geborgenheit.

Tamer Serbay gestaltet diese Sehnsüchte in Farbe und Ornamentik, die an alte türkische Kelims und Buchmalerei erinnern. Blau-und Rottöne fließen strahlend-intensiv oder brüchig und transparent zusammen, akzentuiert mit wenig Gelb, unterlegt mit Weiß. Ornamentik und Transparenz werden betont durch

den Malgrund. Entweder japanische Rollos mit ihren quergelegten Holzstäbchen oder Papier, in das Serbay Schnüre eingezogen hat.

In diesen Reihen drängen sich stilisierte Menschenfiguren, eine um die andere, zunächst gut erkennbar, in neueren Bildern immer kritzeliger, gelöster, kaum noch zu identifizieren. „Das sozial Feststellende löst sich auf“, kommentiert der Serbay; die Gemeinsamkeit wird so brüchig wie die einst einheitliche nationale Identität.

Tamer Serbay malt seit seiner Kindheit, studierte in Kiel jedoch zunächst Agrarwissenschaften. Im Prüfungsstreß der Diplomarbeit nahm er die unterbrochene Malerei wieder auf. Nach zwei Jahren als landwirtschaftlicher Berater entschied sich Serbay 1982 für eine Existenz als freiberuflicher Künstler. Auf dem kommunal unterstützten Hof Akkerbom in Kiel leitet der 41jährige außerdem eine Galerie.

Mit seinen manchmal fast ein wenig zu ästhetischen Bildern will er nicht das Trennende zwischen den Völkern, sondern das Verbindende zeigen, und er appelliert an seine hier lebenden Landsleute, die Chance wahrzunehmen, aus zwei Kulturen zu schöpfen.

Beate Naß

El Patio Am Dobben 58. Die - Fr: 11-18.30 Uhr; Sa: 11-14 Uhr; Bis 30. Juli.

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