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Gegen den 175er hat er keine Chance

■ Porträt des offen schwulen Stadtverordneten Ulf Dahlmann, der heute seine Arbeit im Ostberliner Stadtparlament aufnimmt

Ost-Berlin. Gegen „Integration“ hat er was. Sicher lassen er und seine politische Karriere sich auch deshalb so schlecht ins gewohnte linke (West-)Raster pressen. Ulf Dahlmann, Jahrgang 1965 und Physikstudent in der Hauptstadt, ist der einzige offen schwule Stadtverordnete in Ost-Berlin. Als solcher wurde er für die Initiative Frieden und Menschenrechte im Bündnis 90 (Listenplatz 1, Berlin Weißensee) ins Stadtparlament gewählt.

Sein schwules Coming-out hatte er ausgerechnet bei der Volksarmee („Männerverein der patriarchale Strukturen potenziert“). Dort verbrachte Dahlmann freiwillig drei Jahre. Die nächste große Aufgabe wartete dann in der Blockpartei LDPD auf ihn, in die er eingetreten war „weil man in der SED nichts ändern konnte“. Als hauptamtlicher „politischer Mitarbeiter“ versuchte er, die verschiedenen Parteiebenen auch für schwule Belange zu interessieren doch mit der Toleranz der liberalen Staatspartei war es vorbei, als er begann sich auch in kirchlichen Friedenskreisen zu engagieren. Dahlmann wurde von seinem Posten entfernt.

Die kirchennahe Schwulenarbeit führte zum „Arbeitskreis Schwule in der Kirche“ in der Bekenntnisgemeinde in der Treptower Plessestraße. „Das allererste Anliegen war, das Selbstbewußtsein der Schwulen zu stärken“. Erfolgreich: zu Diskussionen und Vorträgen, auch über Tabuthemen wie Klappen -Sexualität und Pornographie, kamen trotz Polizeikontrollen und Schnüffeleien mehr als 150 Leute. So blieb man immer auch auf Distanz zu den Integrationsbemühungen des Staates und der Partei, die Mitte der achtziger Jahre Wissenschaftler auf das Thema losließen und mit Aufklärungsaktionen die Homosexuellen in den Schoß der sozialistischen Gesellschaftsordnung holen wollten. Dahlmann dazu: „Der Staat hatte zwar das Problem erkannt und versuchte sich um die Schwulen zu kümmern, aber immer auch, um sie rauszukriegen aus dieser Kirche, damit keine Solidarisierung stattfinden konnte“.

Auch heute noch, nachdem Dahlmann die LDPD verlassen hat („Nach dem 9. November war klar, da wird 'ne FDP draus“) und Mitglied des Berliner Sprecherrates des im Februar gegründeten Schwulenverbandes der DDR ist, geht sein Engagement gegen die staatliche „Heterosexualisierung“ der Schwulen. Sein Programm ist die Selbstemanzipation „beider Seiten, der Homosexuellen und der Heterosexuellen, um zu einem anderen Umgang mit sich zu kommen, dann passiert die Integration von selbst“.

Auf kommunalpolitischer Ebene ist Dahlmann optimistisch, die Interessen seiner Lobby durchsetzen zu können: nichtkommerzielle Schwulenclubs sollen bestehen bleiben, für Gruppen und Initiativen will er Geld locker machen, eine sozialpsychologische Beratungsstelle für Lesben und Schwule soll her und „die Polizei soll ihrer Pflicht nachkommen, schwule Treffpunkte vor Belästigungen und Überfällen zu schützen“. Nur an einem Punkt muß schwule Stadtverordnete passen, der West-Paragraph 175 kann beim Anschluß wieder zur Übernahme anstehen: „Da sehe ich vom Ostberliner Parlament aus überhaupt keine Möglichkeit, darauf Einfluß zu nehmen.“

kotte

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