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■ Gegen Sibylle Tönnies' Essay über Rabin, den Pazifismus und die „Schuld an Auschwitz“-Legende (Spiegel 49/95)„Schönheit der Wehrlosigkeit“?

Die Grünen mögen sich über die Inhalte des Pazifismus noch streiten, die Professorin für Recht, Sibylle Tönnies, hat es im Spiegel bereits erkannt: Der Pazifismus, von böswilligen Bellizisten als Verweigererungshaltung Kerzen tragender Schwächlinge abgetan, ist rehabilitiert, und zwar durch die Ermordung des israelischen Premierministers Itzchak Rabin. Der nämlich war ein „gestandener Mann, der wußte, wie man sich zu wehren hat – und der trotzdem den Weg des Nachgebens und Verhandelns einschlug“. Der Pazifismus allgemein, besondes aber der jüdische Pazifismus, schließt Frau Tönnies, brauche solche gestandenen Männer.

Der jüdische Pazifismus? Es gibt außer jüdischer Tradition, Religion oder Geschichte auch einen jüdischen Pazifismus? Und wie, auch wenn dieser feine Zug der Juden zwischendurch nicht so recht zur Geltung kam. „Fest verwurzelt in der jüdischen Kultur, hat er unter der Holocaust-Erfahrung gelitten. Die heutigen Juden“, gesteht Frau Tönnies nachsichtig zu, „können begreiflicherweise die Schönheit der Wehrlosigkeit nicht mehr erkennen. Nachgiebige Friedensbereitschaft steht für Juden in der Nähe von Demütigung“, schließt Tönnies, „und für ihre Identität wurde militante Wehrhaftigkeit unverzichtbar.“

Drei Sätze, vier Fehler. Fest verwurzelt in der jüdischen Kultur war kein – normalerweise freiwilliger – „jüdischer Pazifismus“, sondern höchstens unfreiwillige, tragische Wehrlosigkeit, die mit Pazifismus soviel zu tun hat wie ein Junggesellendasein mit dem Zölibat. Man fragt sich, was die „pazifistischen“ Juden vor dem Holocaust, als sie nur von ein paar Kreuzfahrern oder Kosakenhorden massakriert wurden, von der „Schönheit der Wehrlosigkeit“ gehalten hätten. Es ist anzunehmen, daß mancher dieses ästhetische Vergnügen lieber gegen ordentliches Verteidigungsgerät eingetauscht hätte. Ebensowenig ist anzunehmen, daß für die Israelis, die Frau Tönnies vermutlich in diesem Zusammenhang mit „die Juden“ meint, „nachgiebige Friedensbereitschaft in der Nähe von Demütigung steht“, es sei denn, man bezeichne mit „Demütigung“ das, was sechs feindliche arabische Armeen wohl im Unabhängigkeitskrieg 1948 getan hätten, wenn sie gekonnt hätten, wie sie wollten oder zumindest großspurig ankündigten: den Judenstaat von der Landkarte auszuradieren.

Und die „militante Wehrhaftigkeit“ war mindestens für die ersten zwei Jahrzehnte der Existenz des Staates Israel weniger eine Frage, an der Israelis ihre „Identität“ klärten (damit beschäftigen sich meist nur Gesellschaften, die sonst nix Besseres zu tun haben), sondern eine Frage des Überlebens.

So holpert und stolpert sich Tönnies durch die Geschichte, zieht fröhlich schräge Vergleiche oder überrascht uns mit erstaunlichen psychoanalytischen Fertigkeiten. Da konnte die „jüdische Männlichkeit“, durch den „Holocaust traumatisch gekränkt“, in „einem militärisch durchsetzungsfähigen Staat gesunden“, auch wenn manche Israelis ihre Männlichkeit lieber nicht während des vierwöchigen Reservedienstes beweisen würden, den sie jährlich ableisten müssen, sondern statt dessen im nicht ganz so militärisch durchsetzungsfähigen Nahkampf an der Heimatfront.

Und sogleich kommt die Frage, die wir uns täglich nach dem Aufwachen stellen: Was ist mit den Kerzen? Diese Form der pazifistischen Demonstration, während des Golfkrieges als müslihaft und handgestrickt geschmäht, ist nun durch die Kerzen tragenden und singenden israelischen Kinder rehabilitiert, freut sich Tönnies. Prima.

Nur macht es einen kleinen Unterschied, aus welchem Anlaß zu den mittlerweile unerläßlich gewordenen Kerzen gegriffen wird. Die Kinder in Israel betrauerten einen Staatsmann, der versucht hatte, sie vor dem nächsten Krieg zu bewahren, den sie nicht mit dem Schwenken von Bettüchern und einem Liedlein auf den Lippen hätten ausfechten können. Die deutschen Friedensbewegten, die gerade so taten, als sei zwischen Wanne-Eickel und Neukölln die Apokalypse ausgebrochen, demonstrierten gegen den bewaffneten Einsatz gegen einen Tyrannen, der ein Nachbarland überrannt hatte und zwischendurch ein paar Scud-Raketen auf die Metropolen eines unbeteiligten Landes abfeuerte.

Wenig jedoch war von den Köpfen der Friedensbewegung zu hören, als UN-Beobachter Ekeus kürzlich von einer Inspektionsreise nach Bagdad zurückkehrte und von biologischen Waffen berichtete, die ohne den Einsatz der Alliierten Streitkräfte „einen unermeßlichen Schaden“ hätten anrichten können. Vielleicht sollte sich die Friedensbewegung lieber noch einmal ein paar Gedanken über ihre politische Naivität machen, anstatt sich über die Rehabilitation ihrer Wachserzeugnisse zu freuen.

Doch nichts da. Frau Tönnies sieht Angriffe auf den Pazifismus allerorten. Der schlimmste komme im vielzitierten Geißler-Wort, in der „Der Pazifismus ist schuld an Auschwitz“-These daher. Über diese in der Verkürzung reichlich unzulängliche These mag man sich trefflich streiten, denn schuld an Auschwitz tragen zuvörderst diejenigen, die die Tat begingen, und dann erst diejenigen, die sie nicht verhinderten. Und schon hat Frau Tönnies die Bellizisten, nein, eigentlich sind es doch gute, alte Militaristen, am Wickel: „In dem Übertritt zu der Holocaust-begründeten Militanz“ nämlich sieht mancher nur die „Chance, seiner Zugehörigkeit zur Täterseite zu entfliehen“. Auschwitz aber war einmalig, setzt Frau Tönnies wieder einmal die Meßlatte, unter der wir gehobenen Hauptes und an jedem etwas kleineren und etwas weniger durchorganisierten Völkermord vorbei hindurchmarschieren dürfen. Denn „das Merkmal der ,ethnischen Säuberung‘ ist ungenügend, um eine Analogie zu Auschwitz herzustellen“. „Jawohl“, mögen wir da den bosnischen Muslimem zurufen, die von Serben gemeuchelt, oder den Tutsi, die von Hutu-Horden massakriert werden, ein paar Massengräber sind leider noch kein ausreichendes Merkmal, damit müßt ihr schon alleine zurechtkommen.“

Und falls sie sich mit unseren historisch-dialektischen Begründungen nicht ganz abfinden mögen, müssen wir ihnen leider erklären, daß „ethnische Säuberungen das böse, alte Lied der Welt“ sind, daß sich eine Haltung, die sie nicht mit den rehabilitierten Kerzendemonstrationen, sondern mit „Bomben und Gewehren“ bekämpfen will, leider nicht eingrenzen läßt und daß sie doch auf „polizeiliche, laserstrahlartige, chirurgische Eingriffe“ warten sollen, die eines Tages „die Aufgabe der Völkerbundzentrale“ sein werden. Bis dahin können die Überlebenden einer kleinen ethnischen Säuberung ja schon einmal ihre Toten begraben. Sylke Tempel

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