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Gegen Rassismus und gegen das Patriarchat

Was ist eine „beurette“? Man fand sie erstmals in der Studentenbewegung zu Beginn der achtziger Jahre, die sich den Namen „beur“ gab: Ein Wortspiel der nunmehr zweiten Generation der nordafrikanischen Immigranten in Frankreich. Die „beurettes“ sind die Frauen der Bewegung. Hayette Boudjema, 23 Jahre, ist heute Vize–Präsidentin von SOS–Racisme, der großen Antidiskriminierungsbewegung Frankreichs. Mühelos bewegt sie sich in diesen Tagen über die Bühnen von Politik und Medien. Ihr Selbstbewußtsein ist ungetrübt. „Eine der großen Überraschungen der Studentenbewegung vom Dezember 1986 war die sehr aktive Präsenz und Beteiligung der Frauen, und besonders der beurettes, an der Spitze der Bewegung“, schreibt Hayette Boudjema in dem von ihrer Organisation kürzlich herausgegebenen Sammelband. „Die Beurettes sind in einer besonderen Situation“, erklärt Hayette. „In der maghrebinischen Familie stehen sie am Rande, konfrontiert mit den zahlreichen paternalistischen Autoritäten sowohl der Väter wie auch der Brüder, die die Außenwelt als eine Bedrohung erleben, die sie weitestgehend zu reduzieren versuchen. So befinden sie sich unter ständiger Überwachung, Kontrolle, in einem extrem repressiven Mikrokosmos.“ Die Kritik der beurettes ist auch, anders als bei den Männern, eine Selbstkritik. „Um zu kämpfen, muß man zuallererst gegen die Eltern kämpfen“, spricht Nejia, eine Freundin Hayettes aus Erfahrung. Hier redet eine beurette anders als ein beur. Während ihre männlichen Genossen gegen Staat, Polizei und feindliche Außenwelt kämpfen, sehen die Frauen die Fesseln, derer sie sich entledigen müssen, zunächst zu Hause in ihren eigenen familiären Strukturen. Die beurettes haben einen schweren Weg. Die nordafrikanische Familientradition zwingt sie in ein Rollenschema, das ihre Suche nach einer Integration in die französische Gesellschaft doppelt behindert. Doch die beurettes verstehen es, auch aus ihrer Benachteiligung Profit zu ziehen. „Paradoxerweise ist die strenge Erziehung der Mädchen durch die orthodoxen Eltern ein Pluspunkt für die Emanzipation. Sie bewahrt die beurettes anders als die Jungen vor zwei großen Versuchungen, der Bandenbildung und der Kriminalisierung“, schreibt Hayette. Sie selbst ist eine erfolgreiche Studentin. Und viele ihrer Kolleginnen setzen heute die anerzogene Disziplin für die eigene Ausbildung ein. Sie wissen, nur der eigene Arbeitsplatz rechtfertigt eines Tages die Loslösung von den herkömmlichen familiären Strukturen - auch ohne Heirat. Trotzdem fühlen sich die beurettes keiner autonomen Frauenbewegung zugehörig. „Vor allem machen wir eine Antirassismuspolitik. Das reicht.“ So erklärt Hayette ihr Engagement für SOS– Racisme. Doch weiß Hayette, auf wen sie sich berufen kann. „Ohne Simone de Beauvoir wäre unsere Generation nicht das, was sie ist.“

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